Der digitale Tagesspiegel-Impfgipfel entwickelt Strategien, wie man die Impfquoten in Deutschland steigern kann – und welche Lehren für künftige Kampagnen aus der Covid-19-Pandemie gezogen werden können
Von Udo Badelt
68,8 Prozent. Soweit sind wir gesprungen, so viele Menschen haben sich mindestens einmal gegen Covid-19 impfen lassen, Stand Mitte Oktober. So weit hat der Impfenthusiasmus aus dem Frühjahr getragen. Zu kurz gesprungen? Was ist mit dem Rest, der ja nur zu einem kleinen Teil aus unüberzeugbaren, in ihrer eigenen Blase brütenden Hardcore-Impfverweigerern besteht? Sondern, neben den Kindern, vor allem aus Unentschlossenen, Uninformierten, Zauderern? Wie erreicht man sie? Und, weiter gedacht, welche Lehren können wir generell aus der Pandemie ziehen für andere Impfkampagnen? Denn die quoten etwa bei Grippe, HPV oder Pneumokokken sind im Schatten von Corona zurückgegangen.
„Impfung ist kein Selbstläufer“ sagt Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff, Moderator des digitalen Tagesspiegel-Impfgipfels in der vergangenen Woche. Es braucht neue, andere, bessere Strategien, um die Quoten zu heben – welche, das haben Vertreter und Vertreterinnen der wichtigsten Impfakteure jetzt auf dem Gipfel diskutiert. Klaus Holetschek, Bayerns Staatsminister für Gesundheit und Pflege, appelliert in seiner Eröffnungs-Keynote: „Lassen Sie uns den Spirit, den Schwung aus der Covid-Impfkampagne erhalten und weiter nutzen.“
Als direktes Resultat des Impfgipfels vom vergangenen Jahr ist jetzt das „Nationale Aktionsbündnis Impfen“ ins Leben gerufen worden, das der Tagesspiegel medial unterstützt. Das Bündnis will vernetzen und koordinieren, ihm gehören etwa der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte an, die Apothekerverbände, die Ständige Impfkommission, der Verband Forschender Arzneimittelhersteller oder Vertreter der Krankenkassen. Ein „Code of Conduct“, eine Selbstverpflichtung, bildet die Grundlage, sie wurde erstellt unter Federführung von Heidrun Thaiss, Juristin, Humanmedizinerin und Honorarprofessorin an der TU München – und bis Anfang 2021 Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
„Impfung ist kein Selbstläufer“ sagt Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff, Moderator des digitalen Tagesspiegel-Impfgipfels in der vergangenen Woche. Es braucht neue, andere, bessere Strategien, um die Quoten zu heben – welche, das haben Vertreter und Vertreterinnen der wichtigsten Impfakteure jetzt auf dem Gipfel diskutiert. Klaus Holetschek, Bayerns Staatsminister für Gesundheit und Pflege, appelliert in seiner Eröffnungs-Keynote: „Lassen Sie uns den Spirit, den Schwung aus der Covid-Impfkampagne erhalten und weiter nutzen.“
Als direktes Resultat des Impfgipfels vom vergangenen Jahr ist jetzt das „Nationale Aktionsbündnis Impfen“ ins Leben gerufen worden, das der Tagesspiegel medial unterstützt. Das Bündnis will vernetzen und koordinieren, ihm gehören etwa der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte an, die Apothekerverbände, die Ständige Impfkommission, der Verband Forschender Arzneimittelhersteller oder Vertreter der Krankenkassen. Ein „Code of Conduct“, eine Selbstverpflichtung, bildet die Grundlage, sie wurde erstellt unter Federführung von Heidrun Thaiss, Juristin, Humanmedizinerin und Honorarprofessorin an der TU München – und bis Anfang 2021 Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
„Es ist ganz einfach: Impfen hilft“, so Thaiss bei der Vorstellung des Code of Conduct. „Impfen ist eine der wichtigsten primärpräventiven Maßnahmen, die uns zur Verfügung stehen, und gerade deshalb ist es mir unbegreiflich, dass wir immer noch Impfskeptiker unter uns haben.“ Auch wegen ihnen könne etwa das Ziel, Masern auszurotten, nicht erreicht werden. Die Menschen müssten, so Thaiss, noch mehr über Impfungen wissen, über Risiken und Nebenwirkungen und auch über das eigene, persönliche Risiko. Es gehe darum, Vertrauen zu stärken durch wissenschaftlich fundierte, verständlich aufbereitete Informationen.
Laut Umfragen, die das Berliner Meinungsforschungsinstitut Civey für den Tagesspiegel durchgeführt hat, sind bei der Mehrheit der Befragten (48,9 Prozent) der eigene Hausarzt oder die eigene Hausärztin die bedeutendste Informationsquelle zu Impfungen. „Doch dazu müssen die Menschen ja den Weg in die Praxis bereits gefunden, den ersten Schritt also bereits getan haben“, so Thaiss. Das Wesentliche passiere davor, und hier müssten Strategien zur Steigerung der Impfquoten ansetzen: bei der Aktivierung der Bevölkerung. Neben einer genauen Analyse des Medienverhaltens verschiedener Bevölkerungsgruppen schlägt Thaiss viele konkrete Maßnahmen vor: Impfaktionen an Schulen, Aktionswochen in Betrieben, in Freizeiteinrichtungen oder Universitäten, eine lange Nacht des Impfens, regelmäßige Kontrolle des Impfstatus in Pflegeheimen. „Wir müssen das Momentum der Pandemie nutzen und ein Bewusstsein für den Mehrwert der Impfungen schaffen.“
Bei der anschließenden Diskussion darüber, wie man eben dieses Momentum in Routine überführen kann, plädieren unter anderem Mathias Arnold von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände dafür, die Apotheken noch stärker mit einzubeziehen: „Apotheken sind gefühlt direkt neben dem Bordstein präsent, sie besitzen das Vertrauen der Menschen und können authentisch argumentieren. Sie bringen die Schlagkraft der Impfkampagne auf die Straße.“ Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Arzneimittelhersteller – der übrigens seine Karriere bei Astrazeneca begann – kritisiert die zu strengen Datenschutzbestimmungen in Deutschland, gerade bei der Medikamentenentwicklung: „Es kann nicht sein, dass wir dabei auf Erhebungen zurückgreifen müssen, die aus Israel kommen.“
Laut Umfragen, die das Berliner Meinungsforschungsinstitut Civey für den Tagesspiegel durchgeführt hat, sind bei der Mehrheit der Befragten (48,9 Prozent) der eigene Hausarzt oder die eigene Hausärztin die bedeutendste Informationsquelle zu Impfungen. „Doch dazu müssen die Menschen ja den Weg in die Praxis bereits gefunden, den ersten Schritt also bereits getan haben“, so Thaiss. Das Wesentliche passiere davor, und hier müssten Strategien zur Steigerung der Impfquoten ansetzen: bei der Aktivierung der Bevölkerung. Neben einer genauen Analyse des Medienverhaltens verschiedener Bevölkerungsgruppen schlägt Thaiss viele konkrete Maßnahmen vor: Impfaktionen an Schulen, Aktionswochen in Betrieben, in Freizeiteinrichtungen oder Universitäten, eine lange Nacht des Impfens, regelmäßige Kontrolle des Impfstatus in Pflegeheimen. „Wir müssen das Momentum der Pandemie nutzen und ein Bewusstsein für den Mehrwert der Impfungen schaffen.“
Bei der anschließenden Diskussion darüber, wie man eben dieses Momentum in Routine überführen kann, plädieren unter anderem Mathias Arnold von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände dafür, die Apotheken noch stärker mit einzubeziehen: „Apotheken sind gefühlt direkt neben dem Bordstein präsent, sie besitzen das Vertrauen der Menschen und können authentisch argumentieren. Sie bringen die Schlagkraft der Impfkampagne auf die Straße.“ Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Arzneimittelhersteller – der übrigens seine Karriere bei Astrazeneca begann – kritisiert die zu strengen Datenschutzbestimmungen in Deutschland, gerade bei der Medikamentenentwicklung: „Es kann nicht sein, dass wir dabei auf Erhebungen zurückgreifen müssen, die aus Israel kommen.“
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Mit der ganz konkreten Erfahrung desjenigen, der seit eineinhalb Jahren zu den zentralen Akteuren dieser Pandemie gehört, spricht Stiko-Vorsitzender Thomas Mertens. Er macht auf die elementare Bedeutung von Kommunikation aufmerksam machte: „In der Pandemie ist eine zu große Meinungsvielfalt entstanden, die nicht durch Evidenz gestützt war.“ Mertens sagt, er plädiere nicht für Gleichschaltung, aber um die Unruhe im System zu reduzieren, sei es wichtig, dass jeder und jede die Selbstdisziplin habe, nicht diese unnötige Meinungsvielfalt auch noch zu befördern. Auch bestimmte Aspekte des föderalen Systems in Deutschland, dessen Anhänger er grundsätzlich sei, wären in der Pandemie nicht hilfreich gewesen.
Eigenverantwortung – ein Schlüsselbegriff auch bei der Frage, wie man aus dem Teufelskreis ausbrechen kann, immer andere verantwortlich zu machen: „Wenn jeder Akteur sich seiner Aufgabe bewusst ist und sie so gut wie möglich umsetzt, kommen wir weiter“, erklärt Ute Teichert vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens. In dieser Funktion plädiert sie dafür, Impfkampagnen wieder, wie bei den Schluckimpfungen der 70er Jahre, an die Gesundheitsämter zurückzuholen.
Ein Riesenberg an Herausforderungen wartet also auf alle Beteiligten. In einem weiteren Panel hat sich der Impfgipfel Themen wie der Digitalisierung oder der elektronischen Patientenakte gewidmet. Denn neben hoffentlich erfolgreichen Impfkampagnen werden sie die Zukunft des Gesundheitswesens prägen.
— Der Impfgipfel 2021 online: https://veranstaltungen.tagesspiegel.de/Impfgipfel
Eigenverantwortung – ein Schlüsselbegriff auch bei der Frage, wie man aus dem Teufelskreis ausbrechen kann, immer andere verantwortlich zu machen: „Wenn jeder Akteur sich seiner Aufgabe bewusst ist und sie so gut wie möglich umsetzt, kommen wir weiter“, erklärt Ute Teichert vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens. In dieser Funktion plädiert sie dafür, Impfkampagnen wieder, wie bei den Schluckimpfungen der 70er Jahre, an die Gesundheitsämter zurückzuholen.
Ein Riesenberg an Herausforderungen wartet also auf alle Beteiligten. In einem weiteren Panel hat sich der Impfgipfel Themen wie der Digitalisierung oder der elektronischen Patientenakte gewidmet. Denn neben hoffentlich erfolgreichen Impfkampagnen werden sie die Zukunft des Gesundheitswesens prägen.
— Der Impfgipfel 2021 online: https://veranstaltungen.tagesspiegel.de/Impfgipfel
Fotos: Laurin Schmid
Erschienen im Tagesspiegel am 21.10.2021
Erschienen im Tagesspiegel am 21.10.2021