Impfen & Immunsystem

Der Schutz der anderen

Dritte Covid-Impfung – nötig oder nicht? Israel wird es in den nächsten Monaten zeigen

Von Beatrice Hamberger

Als erstes Land der Welt hat Israel im Juli die dritte Impfung eingeführt. Zunächst wurde der Booster – Israel impft mit Biontech – den über 60-Jährigen angeboten, seit Ende August allen Israelis über zwölf Jahren, sobald die zweite Impfung mindestens fünf Monate zurückliegt.

Während Labordaten einen Anstieg der neutralisierenden Antikörper belegen, zeigen Daten des israelischen Gesundheitsministeriums aus dem August bereits erste Effekte im richtigen Leben: Die nur zweimal Geimpften über 60-Jährigen infizierten sich zehn Mal häufiger mit Covid als die dreimal geimpften. Gleichzeitig sank die Zahl der schwer Erkrankten durch das Dritte-Dosis-Programm um den Faktor 20, wie im New England Journal of Medicine nachzulesen ist.

Israel geht inzwischen so weit, dass nur noch Bürger mit Booster den Grünen Pass bekommen – die Eintrittskarte fürs öffentliche Leben. Dass dabei nicht nach Altersgruppen unterschieden wird, erbost vor allem junge Israelis. Die Regierung von Premierminister Naftali Bennett argumentiert unterdessen so: Wenn eine dritte Dosis das individuelle Infektionsrisiko deutlich reduziert, wird auch die Übertragung ausgebremst. Und weniger Infektionen bedeuten insgesamt weniger schwer verlaufende Infektionen. Die sinkenden Fallzahlen geben der Regierung Recht: Zwischen dem 16. September und dem 14. Oktober ist die 7-Tages-Inzidenz von 709 auf 144 gefallen. Damit ist nun auch die Krankenhausbelastung wieder unter Kontrolle.
Was in Israel gerade passiert, bezeichnen Fachleute als „Übertragungsschutz“. Das heißt, die zusätzliche Impfung schützt vor allem andere. Doch dieser Schutz hält nicht ewig, da die durch den Booster hervorgerufenen Antikörper auf den Schleimhäuten nicht sehr langlebig sind. Christian Drosten geht von zwei bis drei Monaten aus. Danach, erklärte der Virologe von der Charité im NDR-Podcast, seien die IgA wahrscheinlich wieder weg. Die reduzierte Weiterverbreitung in Israel hält er darum nur für einen „momentanen Effekt“. Zumal 35 Prozent der israelischen Bevölkerung noch gar nicht geimpft sind.

Mit einer Impfquote von rund 65 Prozent steht Deutschland praktisch vor der gleichen Ausgangssituation. Dennoch empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) die dritte Impfung nur bestimmten Risikogruppen. Neben immungeschwächten Personen und Pflegeheimbewohnern gehören dazu neuerdings auch alle über 70-Jährigen.

Damit liegt die Kommission auf einer Linie mit einem internationalen Team von führenden Wissenschaftlern, das sich nach Auswertung der Studienlage ebenfalls gegen eine generelle Auffrischungsimpfung ausspricht. Wegen mangelnder Evidenz und möglicher Nebenwirkungen sei eine dritte Impfung für die Gesamtbevölkerung derzeit nicht angezeigt, heißt es in der Lancet-Publikation vom 13. September. Die Grundimmunisierung biete ausreichenden Schutz vor schwerer Covid-Erkrankung, die Impfstoffe sollten vielmehr ungeimpften Menschen zur Verfügung gestellt werden, betonen die Autoren.

Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat Anfang Oktober anders entschieden: Alle Erwachsenen über 18 Jahren, die seit sechs Monaten vollständig geimpft sind, dürfen sich nun ein drittes Mal impfen lassen, und zwar mit dem mRNA-Vakzin von Biontech/Pfizer. Dabei handelt es sich allerdings weniger um eine Empfehlung als vielmehr um eine Legitimierung dessen, was in vielen Ländern längst Praxis ist. Inwieweit die dritte Covid-Impfung wirklich sinnvoll ist, wird vor allem das Real-World-Labor Israel in den kommenden Monaten zeigen.
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Sputnik bleibt am Boden

Die Russen trauen dem Impfstoff nicht
Die Corona-Lage in Russland mit über 900 Toten am Tag, Zehntausenden Neuinfektionen und niedriger Impfquote kann Präsident Wladimir Putin nicht zufriedenstellen. „Die Zahlen sind sehr schlecht, und tatsächlich löst das Besorgnis aus“, so Sprecher Dmitri Peskow. Hauptursache für die bisher höchsten Todeszahlen sei die schlechte Impfquote. „Das Virus wird immer bösartiger“, sagt Peskow. Bei den Corona-Toten nimmt Russland international eine Spitzenstellung ein. Zwar verkündete Putin im August 2020, dass Russland mit Sputnik V als erstes Land der Welt einen wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt habe. Der 69-Jährige lobt ihn immer wieder als „besten“ weltweit – und ließ sich selbst damit impfen. Zusätzlich haben russische Forscher noch vier weitere Vakzine entwickelt.

Doch haben bisher keine 50 Millionen Menschen oder gerade einmal 30 Prozent der russischen Bevölkerung mindestens eine Dosis erhalten. „Nur Impfen schützt vor dem Tod“, mahnt Peskow. Aber viele Russen glaubten weiter nicht den Beteuerungen der Regierung, dass die Impfungen sicher seien. Westliche Impfstoffe sind in Russland nicht zugelassen. Und auch ein möglicher Vertrauensschub durch die seit langem erhoffte EU-Zulassung von Sputnik V bleibt bisher aus. Für den deutschen Diplomaten Markus Ederer, Botschafter der EU in Moskau, ist die geringe Impfquote auch ein Grund, weshalb die EU noch immer nicht die Grenzen komplett öffnet für russische Touristen. Deutschland hat Russland als Hochrisikogebiet eingestuft. Zwar beklagt sich der Machtapparat in Moskau immer wieder darüber, dass Sputnik V – mit Ausnahme von Sonderwegen in Ungarn – aus politischen Gründen nicht in der EU zugelassen werde. Ederer aber weist das zurück.

Klar ist vielmehr, dass Russland noch immer nicht die von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und von der WHO geforderten Unterlagen geliefert hat. Russland selbst sagte sogar eine für Oktober geplante Reise von EMA-Experten wieder ab, „weil man noch nicht so weit sei“, wie die dpa aus Diplomatenkreisen in Moskau erfuhr. Westliche Diplomaten gehen davon aus, dass sich eine EU-Zulassung bis zum Frühjahr 2022 hinziehen könnte. Immer wieder ärgern sich Menschen, die Sputnik V erhalten haben, dass sie etwa in Deutschland als nicht geimpft gelten und in Quarantäne müssen, obwohl das Vakzin in mehr als 70 Ländern anerkannt ist. Ulf Mauder, dpa
Foto: Sebastian Scheiner/dpa
Erschienen im Tagesspiegel am 21.10.2021