Impfen & Immunsystem

Es hilft Mutter und Kind

Der Winter kommt – und Frauenärzte rufen Schwangere zur Impfung gegen Grippe auf

Von Gisela Gross, dpa

Für Schwangere ist eine Impfung gegen Grippe in diesem Herbst laut Experten besonders wichtig. Nach der quasi ausgefallenen Welle vergangene Saison sei in diesem Jahr wieder mit mehr Erkrankten zu rechnen, sagte Cornelia Hösemann vom Vorstand des Berufsverbands der Frauenärzte. „Denn das Immunsystem muss erst wieder trainiert werden. Außerdem fällt bei 2G- oder 3G-Regelungen die Pflicht zum Tragen der Maske weg, so dass Infektionen, die über Tröpfchen verbreitet werden, generell wieder mehr vorkommen werden.“ Schwangere könnten sich durchaus überlegen, ob sie zum eigenen Schutz unabhängig von geltenden Vorgaben einen Mund-Nase-Schutz tragen möchten.

Schwangere sind laut der Medizinerin, die auch Mitglied in der Sächsischen Impfkommission (Stiko) ist, besonders gefährdet, wenn sie sich mit bestimmten Krankheitserregern anstecken: „Eine echte Influenza in der Schwangerschaft kann lebensbedrohlich sein.“ Der Berufsverband spricht auch von möglichen stärkeren Fieberattacken und heftigeren Lungenentzündungen durch das Grippe-Virus sowie von Einweisungen ins Krankenhaus. Bei schweren fieberhaften Infektionen steige generell die Gefahr für frühzeitige Wehen und eine Frühgeburt, hieß es. In ihrer Praxis in Großpösna bei Leipzig werde seit Ende September gegen Grippe geimpft, berichtet Hösemann. Teils bekämen Schwangere gleichzeitig auch den Piks gegen Covid-19, wenn sie diesen nicht schon früher erhalten hatten.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Corona-Immunisierung mit mRNA-Vakzinen für noch ungeimpfte Schwangere seit Mitte September, während sich die Sächsische Impfkommission bereits im Mai für diesen Schritt ausgesprochen hatte. Daraufhin seien impfwillige Frauen auch aus anderen Bundesländern in ihre Praxis gefahren, erzählt Hösemann. Inzwischen erhalte sie Baby-Fotos und Dankesbriefe dieser Frauen. In manch anderen Ländern wie Israel und den USA konnten sich Schwangere noch früher immunisieren lassen, während sich viele Ärzte in Deutschland ohne Stiko-Empfehlung dagegen sträubten.
Fieber. Eine echte Influenza kann für Schwanger lebensbedrohlich sein.
Fieber. Eine echte Influenza kann für Schwanger lebensbedrohlich sein.
Trotz der mittlerweile breiten Erfahrung international: Unwissenheit und Fehlinformationen rund um die Covid-19-Impfung bekommt Hösemann in ihrer Arbeit häufig mit. Ungeimpfte Frauen fragt sie nach den Gründen. „Bei den Schwangeren bei uns in der Praxis war etwa die Hälfte schon vorher gegen Covid-19 geimpft, die andere Hälfte hatte die Schwangerschaft geplant und die Impfung deshalb erst einmal nicht machen lassen. Dieses Abwarten wäre natürlich nicht notwendig gewesen.“ Wegen des mRNA-Impfstoffs müsse man sich keine Sorgen machen, betonte Hösemann. Viele Frauen hätten irgendwo aufgeschnappt, die Impfung mache angeblich unfruchtbar. Sie halte dagegen, dass nach der Logik dieser Falschinformation auch die vielen Millionen Corona-Infizierten unfruchtbar sein müssten, was aber nicht der Fall sei.

Auch das Robert Koch-Institut(RKI) betont mittlerweile auf seiner Webseite ausdrücklich: Die Behauptung zu Unfruchtbarkeit nach Impfung sei falsch. Manche Menschen glaubten auch, Impfungen in der Schwangerschaft seien generell schädlich für das Ungeborene, sagte Hösemann. Tatsächlich sollen Lebendimpfstoffe wie gegen Masern, Mumps und Röteln in der Schwangerschaft nicht verabreicht werden. Bei sogenannten Totimpfstoffen jedoch, die abgetöteten Erreger oder deren Bestandteile enthalten, gebe es keine derartigen Bedenken, die Impfreaktionen seien gering, sagte die Ärztin. „Impfen in der Schwangerschaft ist nichts grundsätzlich Gefährliches. Manche Impfungen sollten nach Beratung unbedingt gemacht werden.“

Grund für das erhöhte Risiko von Schwangeren bei Krankheiten wie Grippe, Keuchhusten und Covid-19 sei vor allem das Immunsystem, erklärt Hösemann. Es sei gedrosselt, da es sich sonst gegen das Ungeborene richten würde. Die Sauerstoffaufnahme der Mutter sei zudem lebensnotwendig für das Kind. Ist die Atmung der Schwangeren etwa durch eine Lungenerkrankung beeinträchtigt, schädige dies auch das Kind. Bei Impfungen gehe es um den Schutz von Mutter und Kind: Über den Mutterkuchen würden Antikörper weitergegeben, so dass das Baby auch im ersten halben Jahr nach der Entbindung über den sogenannten Nestschutz verfügt.
          

„So wichtig wie bei Erwachsenen“

Kinderärzte: Impfung der über 12-Jährigen richtig
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin rief Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren auf, sich gegen Corona impfen zu lassen. „Nachdem Daten von über zehn Millionen Kindern und Jugendlichen erhoben wurden, empfehle ich die Impfung den über 12-Jährigen heute allgemein und uneingeschränkt, ich werbe dafür so dringlich wie bei Erwachsenen“, sagte Verbandspräsident Jörg Dötsch. Die Risiko-Nutzen-Abwägung falle eindeutig zugunsten der Impfung aus.

Nach wochenlanger Stagnation scheint das Infektionsgeschehen in Deutschland wieder etwas Fahrt aufzunehmen. Die 7-Tage-Inzidenz liegt erstmals seit dem 20. September im Bundesdurchschnitt wieder über 70. Aktueller Spitzenreiter ist weiter Thüringen (129,1), gefolgt von Bayern und Sachsen (je 105,2). Am Ende der Skala liegt Schleswig-Holstein mit 27,1. Das Robert Koch-Institut hat vergangene Woche von besonders vielen Corona-Ansteckungen bei Kindern und Jugendlichen in einzelnen Regionen berichtet. In acht Landkreisen und einer kreisfreien Stadt liege die Sieben-Tage-Inzidenz derzeit bei den 10- bis 19-Jährigen bei über 500. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zeigte sich besorgt über die hohen Corona-Inzidenzen bei Kindern und die Langzeitfolgen. Parallel zur Lockerungen von Auflagen würden die Zahlen weiter steigen, sagte er. „Das ist eine Gefahr, denn wir werden große Probleme mit Long Covid bei Kindern bekommen.“ Ein Hauptgrund für Infizierungen von Kindern und Jugendlichen sei mangelndes Lüften in Schulen.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, sagte: „Auch wenn die allgemeinen Infektionszahlen derzeit noch stagnieren, nehmen gerade an Schulen die Infektionsausbrüche aktuell in einem Ausmaß zu, wie wir es bislang im Pandemieverlauf nicht kannten, vor allem nicht zu einem so frühen Zeitpunkt vor dem Winter.“ Ein Licht am Ende des Tunnels sei, dass die Impfquote bei 12- bis 17-Jährigen schnell ansteige. Dötsch sagte mit Blick auf die Corona-Situation in Schulen: „Wir wollen weiterhin keine Durchseuchung der Kinder – aber wir wollen auch unbedingt vermeiden, dass die Jüngsten nochmal unter den Folgen der Schulschließungen und Isolationsmaßnahmen leiden müssen.“ Die Infektionszahlen seien „nicht mehr das Entscheidende, auch nicht dann, wenn sie regional sehr hoch sind.“ Uta Winkhaus, dpa
Fotos: Clora Torrence/Pixy, O. Wong/Getty
Erschienen im Tagesspiegel am 21.10.2021