UN-Klimakonferenz

Wenn der Motor stottert

Viele Landkreise in Deutschland leben gut vom Verbrenner. Doch dessen Zeit ist abgelaufen. Für Zulieferer schafft das soziale Probleme

Von Henrik Mortsiefer

Wenn Herbert Diess von Klimaneutralität spricht, bricht in Oberfranken manchem Unternehmer der Schweiß aus. In der nordbayerischen Region haben 250 kleine und mittelständische Autozulieferer ihren Sitz. Viele von ihnen produzieren für Volkswagen und andere Autohersteller sowie große Zulieferer Komponenten für Verbrennungsmotoren. Noch. Denn in zehn, 15 Jahren ist damit Schluss. Benziner und Diesel sind Auslaufmodelle, Kolben, Vergaser und Getriebe werden nicht mehr gebraucht.

VW-Chef Diess hat, wenn er die Transformation zur Elektromobilität und Vernetzung beschwört, vor allem den Multimilliarden-Konzern Volkswagen im Blick. „Kleine namenlose Autozulieferer haben keine Lobby, können aber nicht selbst umsteuern“, sagt Lisa Badum. Die klimapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion hat ihren Wahlkreis in Oberfranken. Hier hängen 40 000 Arbeitsplätze von der Zulieferindustrie ab. „Sie sind darauf angewiesen, dass ihre großen Kunden sie mitziehen“, erklärt Badum.

Oberfranken, insbesondere die Region Bamberg, ist nur einer von vielen Hotspots der Branche, die am Verbrennungsmotor hängen. In 40 von 401 Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland konzentriert sich die örtliche Wirtschaft größtenteils auf den konventionellen Antriebsstrang einschließlich aller daran hängenden Komponenten wie zum Beispiel der Abgasreinigung. Dies zeigt eine kürzlich erschienene Studie von IW Consult im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Von den 260 000 Beschäftigten in verbrennernahen Tätigkeitsfeldern arbeiten allein in den 40 Regionen etwa 139 500 – mehr als die Hälfte. In der Transformation gibt es hier viel zu verlieren. Bis heute sei der Verbrenner für diese Regionen vor allem „ein Motor für Wachstum und Wohlstand“, heißt es in der Studie. Gemessen an Produktivität und der Arbeitslosenquote schnitten die 40 Kreise besser ab als der bundesdeutsche Durchschnitt.

Kleine Betriebe können nicht von alleine umsteuern

Um zu verhindern, dass die Branche einen Strukturbruch mit Pleitewellen und Massenentlassungen erlebt, hat der Bund milliardenschwere Hilfsprogramme aufgesetzt. In dem 2020 angekündigten Förderpaket „Zukunftsinvestitionen der Fahrzeughersteller und der Zulieferindustrie“ stehen zwei Milliarden Euro zur Verfügung, eine weitere Milliarde kam nach dem Autogipfel im Herbst 2020 im „Zukunftsfonds Automobilindustrie“ hinzu.

Doch die Corona-Pandemie hat das Inkrafttreten verzögert, administrative Hürden zwischen Ankündigung und Umsetzung tun ihr übriges, es gelten Haushaltsvorhalte für die Legislaturperiode 2021 bis 2025.Leidtragende sind die Unternehmen vor Ort. „Ich bekomme Rückmeldungen aus der Region, dass die Mittelvergabe zu bürokratisch ist, dass kleinere Betriebe Hilfe bei der Antragstellung brauchen“, berichtet Lisa Badum. Im Sommer wollten die Grünen in einer Kleinen Anfrage von der Bundesregierung wissen, wie viel Geld schon abgeflossen ist. Stand Juli waren es aus dem ersten Förderpaket nur gut ein Zehntel der Gesamtsumme.

Dass die Transformation den Standortwettbewerb neu entfacht, räumt man in der Industrie ein. „Es gehört zur Ehrlichkeit, dass unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel abverlangen wird“, so ein Sprecher des Autoverbands VDA. „Wir werden neue Jobs schaffen, aber es werden auch viele verloren gehen.“ Wie die Bilanz unterm Strich ausfällt, ist offen. Verschiedene Studien prognostizieren einen mehr oder weniger großen Stellenverlust. Viel hänge davon ab, „ob Deutschland es angesichts der ambitioniertesten Klimaziele der Welt auch schafft, die besten weltweiten Standortbedingungen zu etablieren“, so der VDA. „Dann werden die neuen Jobs auch hier Zuhause sein.“
Proteste. Beschäftigte des Autozulieferers Mahle bei einer Kundgebung der IG Metall vor der Firmenzentrale in Stuttgart.
Proteste. Beschäftigte des Autozulieferers Mahle bei einer Kundgebung der IG Metall vor der Firmenzentrale in Stuttgart.
Doch Job ist nicht gleich Job. Ein Mechatroniker wird nicht über Nacht ein Programmierer. Das gilt oft auch für ganze Betriebe, die mit kleiner Belegschaft nur ein oder zwei Produkte herstellen, die in Verbrennerfahrzeugen gebraucht werden. „Man darf sich nichts vormachen: Alle kann man nicht transformieren“, räumt ein Industrievertreter ein. „Das Bestehende lässt sich nicht immer umbauen.“

Schwierig wird es, wenn den Unternehmern das Problembewusstsein fehlt. Die Geschäfte der Automobilindustrie liefen lange hervorragend, ein Ende von Benzinern und Diesel schien in weiter Ferne, Bestellungen rissen nicht ab. Auch die großen Autobauer selbst haben lange gehofft, „dass der Verbrennungsmotor noch ein paar Jahre überlebt – und sei es in Hybridfahrzeugen“, sagt Lisa Badum. Auch mit der Entwicklung synthetischer Kraftstoffe würden einige Hersteller gerne das Leben klassischer Antriebe verlängern. Aber damit wird sich die diversifizierte Zuliefererlandschaft nicht in Gänze retten lassen. „Die Förderung unterstützt vor allem Betriebe, die sich schon auf den Weg der Transformation gemacht haben“, heißt es bei Unternehmensvertretern. Häufig seien es Unternehmen, die eine eigene Forschungsabteilung haben.

Die IW Consult-Studie hat einige zentrale Faktoren für eine erfolgreiche Transformation erarbeitet. Themenbezogene Cluster und Netzwerke seien wichtig für den Austausch zwischen Unternehmen und Wissenschaft, natürlich komme es auf Aus- und Weiterbildung sowie Umschulungen an. Kooperation, regelmäßiger Austausch, im besten Falle gemeinsame Forschung seien ratsam.

Es wäre sinnvoll, größer zu denken, Regionen als Ganzes zu betrachten, sagt Lisa Badum. Hilfe sei zudem ganz praktisch nötig: Servicebüros und Fördermanager sollten Betriebe direkter unterstützen, „auch Kammern und Wirtschaftsförderer können noch mehr tun“. Fördergeld aus Berlin müsse schneller fließen, Regionen und Branchencluster stärker einbezogen werden, vor Ort gebe es Know-how. Und: „Der Bund wird weiteres Geld in die Hand nehmen müssen, um die Transformation zu begleiten.“
Foto: Marijan Murat/dpa
Erschienen im Tagesspiegel am 01.11.2021