UN-Klimakonferenz

Verschwunden im tiefen Blau

Kiribati, der winzige Inselstaat im Pazifik, ist vom Untergang bedroht. Für die Küstenbewohner ist die Klimakrise real

Von Lena Bodewein

Wäre das hier ein Trickfilm, dann sähe die Szene so aus: Blauer Himmel, Abendsonne, sanftes Südseelicht, eine Frau mit glänzendem schwarzen Haar steht zwischen rot und rosa blühenden Bougainvilleen, über ihr Palmen, hinter ihr palmstrohgedeckte Hütten, vor ihr der Strand. Dann ratsch! Die Fototapete zerreißt. Denn das Idyll ist ein trügerisches. Auf dem Strand stehen nämlich Männer und schaufeln Sand, sie versuchen, das Land zu befestigen, das Land der Insel Abaiang, eines von 33 Atollen des Inselstaates Kiribati, gesprochen Kiribass.

Die Pazifiknation hat traurige Berühmtheit erlangt als das Land, das mit als erstes durch die Klimakrise verschwinden wird. Es gehört zu den Inselnationen wie Tuvalu, Vanuatu oder den Marshall Islands, die seit vielen Jahren schon versuchen, die internationale Gemeinschaft zu alarmieren: Ihre Heimat wird unbewohnbar, Sturmfluten nehmen zu, das Salzwasser zerstört ihre Ernten und ruiniert die Süßwasserquellen, das Land erodiert, und der Sand, den die Bewohner aufschaufeln, hilft da wenig. Für sie ist die Klimakatastrophe real – und lebensbedrohlich. Für den Westen schien sie lange Zeit noch so weit weg wie diese Inseln selbst.
Zwischen Himmel und Meer. Der Großteil von Kiribati liegt nur zwei Meter über dem Meeresspiegel. Jede Sturmflut hat hier leichtes Spiel.
Zwischen Himmel und Meer. Der Großteil von Kiribati liegt nur zwei Meter über dem Meeresspiegel. Jede Sturmflut hat hier leichtes Spiel.
Kiribati ist 14 000 Kilometer und mindestens 50 Flugstunden von Deutschland entfernt. Die schmalen Atolle liegen links und rechts des 180. Längengrades, ober- und unterhalb des Äquators; der einzige Staat auf allen vier Hemisphären, verteilt über eine riesige Wasserfläche, groß wie die Vereinigten Staaten, aber nur 0,2 Prozent davon sind Land – weniger als die Fläche Berlins. Wer Kiribati anfliegt, sieht es plötzlich aus dem unendlichen Tiefblau des Pazifiks auftauchen, fragile Inseln zwischen Himmel und See. Die Hauptinsel Tarawa, auf der die meisten der 100 000 Einwohner leben, ist an der breitesten Stelle nur ein paar Hundert Meter breit. Sogenannte Schutzmauern sind aus Sand, Autoreifen, Zementsäcken, Korallenstücken und allem, was verfügbar ist, zusammengesetzt.

Jede Sturmflut hat hier leichtes Spiel, denn der Großteil von Kiribati liegt nur zwei Meter über dem Meeresspiegel. Und wenn der weiter steigt, dann „können wir nicht ausweichen“, sagt Claire Anterea, die Frau vom Anfangsidyll in den Bougainvilleen. „In höher gelegenen Ländern können die Küstenbewohner ins Landesinnere ziehen. Aber bei uns gibt es nur die Kokospalmen – und sowieso mehr Menschen als Palmen. Wie sollen wir überleben?“ Das meint sie nicht ernst, aber mit diesem so absurden wie bitteren Bild versucht sie, die Welt auf das Los der Inselbewohner aufmerksam zu machen. Denn Claire Anterea ist Klimakämpferin, sie hat das Kiribati Climate Action Network mitgegründet, weil das bestehende weltweite Netzwerk der Kämpfer gegen den Klimawandel bis dahin keine Vertreter aus dem Pazifik hatte, ausgerechnet die meistbetroffene Region hatte keine Stimme. Claire trifft Verbündete auf den anderen Pazifikinseln, reist auf internationale Konferenzen, trägt ihr Schicksal vor. Aber: „Die Menschen, die so viel Macht haben, dass sie wirklich etwas ändern könnten für die Welt, die hören mir nicht zu. Weil es ihnen in ihrem Leben zu gut geht. Sie sind reich.“

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„Die reichen Länder im Westen hören uns nicht zu“, sagt Claire Anterea

Claire Anterea ist eine stolze Kiribati-Frau. Sie hat ein offenes freundliches Gesicht, trägt Ohrringe mit dem Wappentier, dem Fregattvogel, Wickelrock, Lava-Lava genannt, und hinterm Ohr eine Frangipani-Blüte, die sie unterwegs gefunden hat. Wenn die Reichen in den anderen Ländern sich über sie lustig machen, dann versucht sie eben in ihrem Land, etwas gegen die Klimakrise zu tun. Sie fährt von Insel zu Insel und fragt ihre Landsleute nach ihren Erfahrungen. „Wenn ich die Dörfer besuche, dann frage ich die Bewohner, ob sie Veränderungen sehen, seltsame Dinge auf ihrem Land. Sie wissen nichts vom Klimawandel, aber sie erzählen, dass sie noch nie so eine heftige Dürre erlebt haben.“

Selbst auf den nördlichen Inseln, auf denen es sonst immer regne, werden die Trockenzeiten heftiger. Kaetara, der Küster einer Dorfkirche, beschreibt die Kultur der Inseln und wie sie sich verändert: „Wir machen Zucker aus Kokosnüssen. Aber sie werden vom Meerwasser angegriffen, das Kokoswasser wird weniger. Früher waren die Nüsse groß, aber jetzt werden sie immer kleiner.“ Auch Zwergbananen und Tarowurzeln, die ebenfalls zur traditionellen Ernährung gehören, sind betroffen. Taropflanzungen, die normalerweise im Wasser sind, liegen trocken. Das Grundwasser versalzt während der Dürre.

Deshalb sammeln Claire Anterea und ihre Mitstreiter Spenden für Regenwassertanks. Aber dann wieder kommen die Sturmfluten, erzählt sie: „Wenn ein Sturm kommt und eine hohe Flut, dann sieht es so aus, als wäre das Meer viel höher als das Land. Es zerstört viele Gebäude und die Häuser der Menschen. Wir wollen nicht übertreiben, aber die Menschen hier sehen die Veränderung, die ihr Leben gefährdet.“
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Der frühere Präsident des Landes, Anote Tong, hat bereits vor einigen Jahren Land auf Fidschi erworben. Der Inselstaat hat bergigere Gebiete, die vom Klimawandel nicht unmittelbar bedroht sind. Dorthin, so die Idee, sollen seine Landsleute, die I-Kiribati, in Würde auswandern können, anstatt in heller Panik flüchten zu müssen.

Die Zukunft von Kiribati spielt also nicht mehr auf diesen Atollen? Claire Anterea wünscht sich, dass ihre kleine Tochter hier groß wird. Sie besucht die Taakenbairiki Grundschule auf Tarawa. Der Schulhof liegt hinter einer hohen Schutzmauer direkt am Ozean. Die Kinder der ersten Klasse unterhalten sich mit ihrer Lehrerin darüber, ob sie bald nach Neuseeland oder Australien, Fidschi oder China auswandern werden. Denn die Fluten werden immer höher. „Und woran liegt das?“, fragt die Lehrerin. „Klimawandel!“, rufen die Kinder im Chor. Und dann singen sie das Lied vom Mangrovenpflanzen; sie bewegen ihre Hände, zeigen, wie sie die Mangrovensetzlinge einpflanzen oder wie die Wurzeln der Bäume sich im Boden festhalten. Sie bewegen ihre Hände schnell, wie Fische, die zwischen den Wurzeln durchschwimmen, breiten ihre Arme aus – so wie die Baumkrone sich schattenspendend ausbreitet. Mangroven sind wahre Wunderbäume, die das Land festhalten, die Wucht von Sturmfluten verringern und CO2 speichern können. Und darum pflanzen die Kinder, die Menschen vom Klimanetzwerk Kirican und auch Claire Anterea immer wieder und an vielen Orten Mangrovensetzlinge. Sie pflanzen Hoffnung.
Fotos: David Gray/Reuters, Lena Bodewein
Erschienen im Tagesspiegel am 01.11.2021