UN-Klimakonferenz

Erhitzte Körper

Mehr Wärme, mehr Allergien, mehr Herzinfarkte und gefährlichere Viren: Der Klimawandel macht krank. Vorsorge und Anpassung sind dringend erforderlich

Von Katja Trippel

Inuit leiden an der Klimaerwärmung, weil ihre Heimat wegschmilzt, Menschen von Australien bis Südeuropa, weil die ihre verbrennt. In Deutschland verdorrten in den vergangenen Jahren Felder und Wälder, diesen Sommer rissen Fluten fast 200 Menschen in den Tod. Doch alle jene hier, die nicht in Feld und Flur arbeiten oder an Flüssen leben: keine akuten Beschwerden bislang. Oder täuschen wir uns?

Sehr sogar. Wir spüren die Erderwärmung längst am eigenen Leib. Sie greift unsere Gesundheit an, direkt wie indirekt, weil selbst wenige Zehntel Grad mehr unser Ökosystem verändern. Allergien nehmen zu, tierische Krankheitsüberträger wie Mücken und Zecken haben mehr und auch neue Erreger. Am tödlichsten wirken die immer häufigeren Hitzewellen: Über 6000 Menschen sind laut Berechnungen des Robert-Koch-Instituts in den jüngsten heißen Sommern an Hitzefolgen verstorben – doppelt so viele wie im Straßenverkehr, allerdings in nur wenigen Tagen.

„Der Klimawandel ist ein medizinischer Notfall“, hieß es daher im April 2021 beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Das Ärzte-Netzwerk Marburger Bund bezeichnet die Erderhitzung gar als „die größte Gefahr für die Gesundheit der Menschen heute und in der Zukunft“.

Die gute Nachricht: Wir können (noch) viel tun. Effektiver Klimaschutz bekämpft die Ursache des Übels. Vorsorge und Anpassung mildern die Effekte, die wir nicht mehr verhindern können. „Bereits heute leiden 40 Prozent der Bevölkerung an mindestens einer Allergie, meist gegen Pollen“, weiß Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin des Helmholtz-Zentrums für Umweltmedizin in München. „Diese Zahl wird massiv zunehmen, weil die steigenden Temperaturen das Pflanzenwachstum verändern.“ So haben sich mit den milderen Wintern, trockeneren Frühjahren und längeren Sommern die Phasen, in denen Blütenpollen Allergikern das Leben schwer machen, deutlich verlängert. Frühblüher wie Birke oder Hasel verursachen bereits ab Januar Beschwerden, Sommergräser oder die eingewanderte Ambrosia, eine der aggressivsten Allergiepflanzen weltweit, bis in den Herbst.
– Katja Trippel und Claudia Traidl-Hoffmann: Überhitzt: Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Was wir tun können.Duden Verlag 2021, 304 Seiten, 20 Euro.
– Katja Trippel und Claudia Traidl-Hoffmann: Überhitzt: Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Was wir tun können.
Duden Verlag 2021, 304 Seiten, 20 Euro.
Die höhere Kohlendioxidkonzentration in der Luft wirkt zudem wie Doping für die Pollenproduktion: Allergene Pflanzen produzieren nachweislich mehr Pollen als früher. Zuletzt bilden Ursache und Folge der Klimakrise ein teuflisches Duo: In von Abgasen verschmutzter Luft hängen sich Feinstaubpartikel an Blütenpollen, was deren Reizpotenzial für unsere Luft- und Atemwege massiv steigert. Umweltmedizinerin Traidl-Hoffmannempfiehlt, Kommunen wie Privatpersonen sollten bei Neupflanzungen konsequent auf allergene Pflanzenarten verzichten. Und Ausschau halten nach Ambrosia, um zu verhindern, dass sie – wie etwa in der Lausitz – unkontrolliert wuchert.

Die Zahl der Hitzetage (über 30 Grad) hat sich in Deutschland seit 1950 von drei auf neun verdreifacht. Bis 2050 werden wir, je nach Region, zehn bis 20 mehr pro Jahr erleben. Das Problem: Unsere Körper sind nicht sehr Hitze-tolerant. Nur bei einer Kerntemperatur zwischen 36 und 37,5 Grad funktionieren sie optimal, schon mit 1,5 Grad mehr können wir nicht mehr klar denken, bauen körperlich und motorisch ab.

Kranke Menschen macht Hitze kränker, manche auch sterbenskrank: Nach dem Sommer 2018 zählte allein Berlin über 500 Hitzetote. „Herz- und Lungenkranke sind besonders gefährdet“, weiß Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann. „Hitze verschlimmert aber auch andere Krankheiten – von Bluthochdruck über Diabetes bis zur Demenz. Bei Neurodermitis-Patienten brennt die Haut unerträglich, Nierenkranke drohen zu dehydrieren, Menschen mit Multipler Sklerose können sich kaum mehr bewegen.“ Bei Kleinkindern funktioniert das körpereigene Abkühlsystem noch nicht, bei Älteren nicht mehr richtig. Ihr Risiko, einen Hitzekollaps zu erleiden, ist daher am höchsten.

In Innenstädten, wo Beton und Asphalt die Hitze wie ein Backofen speichern, wird es bereits heute zehn Grad heißer als in locker bebauten Quartieren. Statt 32 Grad herrschen dann 40. Umso wichtiger ist es, Frischluftschneisen zu erhalten. Und Grün zu pflanzen, wo immer es geht. „Pflanzen wirken wie eine natürliche Klimaanlage“, erklärt Werner Lang, Leiter des Zentrums für nachhaltiges Planen und Bauen an der TU München. Bäume spenden Schatten, begrünte Dächer kühlen die Wohnungen darunter um bis zu vier Grad, mit Efeu oder Wein bepflanzte Fassaden haben für Innenhöfe fast den doppelten Effekt.
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PwC
Claudia Traidl-Hoffmann fordert zudem Hitzeschutzpläne, wie sie fast alle unsere Nachbarländer aufgestellt haben: Kündigt sich eine Hitzewelle an, warnen dort die Wetterdienste Medien, Kindergärten, Pflegeheime undsoweiter, die ihrerseits aktiv werden, etwa Räume kühlen, Wasserflaschen verteilen oder alleinstehende Ältere kontaktieren. „Hitze-Vorsorge rettet Leben“, betont die Umweltmedizinerin. „Die neue Bundesregierung muss dringend aktiv werden.“

Mehr Wärme heißt auch: mehr Mücken und Zecken, die sich bei uns wohlfühlen und Krankheiten übertragen. Die Asiatische Tigermücke ist am Oberrheim bereits Dauergast und wird mit riesigem Aufwand bekämpft, damit sie kein Dengue-Fieber oder Zika verbreitet. Beim West-Nil-Fieber ist der Ernstfall bereits eingetreten. Zugvögel haben das gleichnamige Virus „importiert“, heimische Stechmücken übertrugen es im heißen September 2019 in Sachsen erstmals auf Menschen, auch in Berlin kam es zu Infektionen. Bei schwerem Verlauf drohen Hirn- und Hirnhautentzündungen.

Auch die Zecken-Saison beginnt früher im Jahr, und ihre Zahlen steigen – entsprechend auch das Risiko, sich nach einem Stich das FSME-Virus (Frühsommer-Meningoenzephalitis) einzufangen: 2020, nach drei Trockenjahren, meldete das Robert-Koch Institut 700 schwere FSME-Erkrankungen – ein Rekord. Die tropische Riesenzecke Hyalomma wiederum, ebenfalls ein Mitbringsel von Zugvögeln, überwintert inzwischen bei uns und hat Fleckfieber im Gepäck.

„Nicht nur für Patienten, auch für Gesundheitssprofis in Praxen wie Behörden sind diese Krankheiten neu“, weiß Claudia Traidl-Hofmmann. „Sie richtig zu diagnostizieren und zu behandeln sollte daher dringend in die Aus- und Fortbildung integriert werden.“
Foto: dpa/picture alliance
Erschienen im Tagesspiegel am 01.11.2021