Future Mobility 2021

Warum Elon Musk nur noch selten anruft

Von der Gigafactory bei Berlin will Tesla ganz EUROPA MIT E-AUTOS BELIEFERN. Zuletzt häuften sich Negativschlagzeilen. Wo steht das Projekt?

Von Thorsten Metzner

Tesla hat Ende Mai diesen Aufruf veröffentlicht: „Wenn Sie mithelfen wollen, Giga Berlin mit großartiger Graffiti-Kunst zu überziehen, schicken Sie uns Ihr Werk an GigaBerlin-Art@Tesla.com.“ Klar, dass das über den Kurznachrichtendienst Twitter lief, den Elon Musk als Hauptkommunikationskanal des Konzerns nutzt. Musk verbreitete den Post unter seinen weltweit 56,1 Millionen Followern. Die subtile Subbotschaft: Die neue Gigafactory für Elektroautos in Deutschland muss bald fertig sein, wenn Tesla schon die Kunst am Bau vorbereitet. Vollgas, alles Paletti?

Kurz vorher hatte Musk erneut persönlich die Großbaustelle im brandenburgischen Grünheide östlich von Berlin inspiziert und die „großen Fortschritte“ gelobt. Von hier aus, von der weltweit vierten Gigafactory, will das Unternehmen im Rahmen seines als „Mission Energiewende“ propagierten Geschäftsmodells den europäischen Kontinent mit einer erneuerten Version der Y-Modellreihe beliefern. Geplante Stückzahl: 500 000 Fahrzeuge im Jahr, 12 000 Jobs, eine Investition von vier bis fünf Milliarden US-Dollar. Aber wie steht es um das Projekt im Frühsommer 2021, knapp 19 Monate nach der ersten Ankündigung?

Statt im Juli soll die Produktion zum Jahresende starten

Die Musk-Aussagen stehen im Kontrast zu bekannt gewordenen Problemen und Verzögerungen, zu Vorwürfen um Umweltauswirkungen, die zumindest in Deutschland die Schlagzeilen dominieren. Der Tesla-Zeitplan, im Juli 2021 die ersten Fahrzeuge vom Band rollen zu lassen, ist passé. Laut Musk soll es nun Ende 2021 so weit sein. Nach Musks anfänglicher Euphorie („Deutschland rock’s“) hat Tesla in einem Brandbrief die hiesige Genehmigungsbürokratie beklagt. Brandenburg hatte sich mit dem 2001 als Industriegebiet ausgewiesenen 300-Hektar-Areal am Berliner Ring gegen Konkurrenz aus Europa durchgesetzt – auch gegen Berlin, das in einer eigenen Offerte an Tesla mit den Standorten Adlershof, Tegel und Berlin-Buch geworben hatte.

Im Frühsommer 2021, knapp ein Jahr nach Baubeginn, stehen die Werkhallen. Aktuell werden drinnen die Roboter der Endmontage, die Anlagen der Lackiererei und des Presswerkes für die Karosserien installiert, während die Hauptgenehmigung auf sich warten lässt. Jetzt wird der Genehmigungsantrag neu ausgelegt, zum dritten Mal – erweitert um die von Elon Musk angekündigte Fabrik für Batteriezellen einer neuen Generation. Tesla baut und baut weiter, auf eigenes Risiko, im „worst Case“ alles wieder abreißen zu müssen. Gerade gaben die Behörden grünes Licht, dass rund um die Uhr gearbeitet werden darf. „Die Realisierung des Projekts steht unter erheblichem Zeitdruck. Die Nachfrage auf den europäischen Märkten nach günstigen Elektrowagen ist hoch. Insbesondere der Mark für Mittelklasse Cross-overs ist in Europa extrem beliebt. Mit einem in Deutschland produzierten Model Y kann das europäische Marktpotential dafür rechtzeitig bedient werden, wenn ein Produktionsstart in 2021 realisiert werden kann“, heißt es Bescheid des Landesumweltamtes vom 27. Mai. „Aufgrund der Komplexität und des Umfanges des Vorhabens und des engen Zeitplanes ist die Antragstellerin sehr darum bemüht, Verzögerungen im Bauablauf zu vermeiden.“
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Doch das Werk ist bisher noch nicht einmal richtig erschlossen. Der Bau der fünf Kilometer langen Abwassertrasse nach Erkner hat erst begonnen, Werkstraßen, Versorgungsrohre und Regenwasserbecken fehlen auch noch. Umweltverbände laufen inzwischen Sturm, bereiten Klagen gegen die Fabrik vor. Vor allem der hohe Wasserverbrauch der Fabrik, der dem einer Kleinstadt entspricht, sorgt für Befürchtungen. Es gab Vorwürfe um angebliche Dumpinglöhne, die sich nach Untersuchungen der Behörden aber nicht bestätigten. Zuletzt offenbarte ein Gutachten, dass die Fabrik ungenügend auf Störfälle beim Umgang mit Chemikalien vorbereitet ist.

Noch ist man ungenügend auf Chemieunfälle vorbereitet

Und trotzdem zeigt sich Brandenburgs SPD-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach hochzufrieden, wie weit diese Gigafactory bereits ist, die aus seiner Sicht die industrielle Basis der Hauptstadtregion, ja Ostdeutschlands fundamental verändern kann. Er schätzt, wie er dem Tagesspiegel sagte, dass der Bau etwa „zu 80 Prozent fertig“ ist. „Dieses Tempo dürfte es noch nie bei einem Projekt dieser Größenordnung in Deutschland gegeben haben“. Und das Störfallgutachten? Steinbach, selbst promovierter Chemieingenieur, winkt ab: Das war sein Fachgebiet als Professor für Anlagen- und Sicherheitstechnik an der TU Berlin. All die Mängel seien mit klassischer, bewährter Technik zu beheben, sagt er. Die Chemikalien, etwa das Lösemittel, seien vielerorts in der Industrie im Einsatz. Dank der Einwendungen werde der Umwelt- und Sicherheitsstandard der Fabrik noch höher sein, sagt Steinbach. „Das Projekt steht viel besser da als viele glauben.“ Er rechne damit, dass „das erste verkaufsfähige Auto aus Grünheide noch 2021 vom Band rollen kann.“ Der „Zeit“ hatte Steinbach einmal gesagt, dass Musk ihn bei Problemen persönlich anrufe. Also klingelt jetzt ständig das rote Telefon? Im Gegenteil, antwortet Steinbach, „Elon Musk ruft nur noch selten an“.
Foto: Michele Tantussi/Reuters
Erschienen im Tagesspiegel am 05.06.2021