Future Mobility 2021

Endlich automatisch

AUTONOME BUSSE mussten bisher zur Sicherheit einen Fahrer an Bord haben. Ein neues Gesetz erlaubt mehr Freiheiten und hilft vor allem den Verkehrsunternehmen

Von Jana Kugoth

Bald sollen Berlinerinnen und Berliner wieder ausprobieren können, wie es sich anfühlt, von einem hochautomatisierten Kleinbus gefahren zu werden. Ein Shuttle im BVG-gelb drehte von Sommer 2019 bis Anfang 2020 seine Runden im Bezirk Reinickendorf an der Tegeler See-Promenade. Rund 16 000 Fahrgäste haben das Gratis-Angebot genutzt. Mit Beginn der Pandemie verschwand das Fahrzeug aus dem Verkehr. Sobald es die Infektionslage zulässt, soll der Fahrgastbetrieb wieder starten, stellt eine Sprecherin der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz in Aussicht. Insgesamt drei Shuttles sollen dann auf zwei Linien im 15-Minuten-Taktin Tegel unterwegs sein. Das Bundesverkehrsministerium fördert das Projekt mit knapp zehn Millionen Euro. In der ersten Phase kam das Angebot bei den Fahrgästen gut an. 95 Prozent haben die Fahrt in dem Shuttle, das aussieht, wie ein geschrumpfter BVG-Bus, mit gut oder sehr gut bewertet. Knapp 90 Prozent würden den Service wieder nutzen, vor allem bei Menschen jenseits der 60 Jahre war er beliebt, wie eine Umfrage unter den Fahrgästen zeigte.

Auch auf dem Gelände der Berliner-Charité auf dem Campus Virchow und auf dem Campus Mitte haben bereits entsprechende Kleinbusse ihre Runden gedreht. Deutschlandweit wird das hochautomatisierte Fahren nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in mehr als 40 Projekten erforscht. „Das ist ein prima Angebot, das sich noch ausweiten wird“, sagt Siegfried Brockmann vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) dazu. „Sicherheitstechnisch halte ich solche Shuttles für unproblematisch, wenn sie mit geringen Geschwindigkeiten bis zu 20 Stundenkilometern unterwegs sind“, meint Brockmann im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Doch um im normalen Verkehr mithalten zu können, müssten die Busse schneller sein. Deshalb warnt der Unfallforscher: „Man darf nicht tollkühn werden, sodass das am Ende nicht mehr beherrschbar wird.“
Gut unterwegs. Das Shuttle der BVG war bis zum Ausbruch der Pandemie in Tegel unterwegs und soll sobald wie möglich wieder fahren. Die rund 16 000 bisherigen Fahrgäste waren zufrieden
Gut unterwegs. Das Shuttle der BVG war bis zum Ausbruch der Pandemie in Tegel unterwegs und soll sobald wie möglich wieder fahren. Die rund 16 000 bisherigen Fahrgäste waren zufrieden
Deutschland könne „zum Reallabor“ für automatisierte und vernetzte Systeme im regulären Flottenbetrieb von Verkehrsunternehmen werden, glaubt Jörg Niemann. Der Jurist leitet das Kompetenz-Center Mobilität der Beratungsgesellschaft Rödl und Partner. Zuversichtlich machen Niemann nicht nur die bereits gestarteten Projekte. Er erhofft sich vor allem einen Schub durch das neue Gesetz zum autonomen Fahren, das Ende Mai von Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde. Schon in den nächsten Wochen könnte es in Kraft treten, sodass im Herbst das erste Fahrzeug auf Grundlage der neuen Regelungen zugelassen werden könnte – dann auch deutlich schneller als mit 20 km/h. „Ich bin mir sicher: Wir werden autonomes Fahren bald erleben. Mit unserem neuen Gesetz sorgen wir dafür, dass Deutschland dabei die Nummer Eins ist“, ist Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) überzeugt. Die Bundesrepublik setze internationale Standards, „wir machen Schluss mit umständlichen Einzelgenehmigungen“.

Mit den neuen Regelungen entfällt auch die Vorgabe, einen Sicherheitsfahrer mit an Bord zu haben. Die Shuttles können dann ganz ohne menschliches Zutun durch die Gegend kurven, also wirklich autonom. Allerdings müssen dafür von den Landesbehörden zuvor bestimmte Straßen und Autobahnen freigegeben werden, die Fahrzeuge dürfen nicht überall fahren. Vorgesehen ist zudem, dass der Fahrzeughalter eine technische Aufsicht einsetzt, die den Betrieb überwacht und alternative Manöver freigeben kann. Zum Beispiel, wenn das Fahrzeug über eine Seitenlinie fahren muss, um ein Hindernis zu umfahren und damit eigentlich gegen die Regeln verstößt. Verkehrsunternehmen könnten das aus einer Leitzentrale heraus steuern lassen. Auf wen eine private Halterin oder ein Taxianbieter die Aufgabe delegieren kann, bleibt offen.
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Nicht nur aus diesem Grund gehen Expertinnen und Experten wie Jörg Niemann davon aus, dass von dem neuen Gesetz vor allem ÖPNV-Betreiber wie die BVG profitieren. Die Begrenzung des automatisierten Verkehrs auf festgelegte Gebiete verschaffe ihnen zusätzliche Vorteile im Wettbewerb mit anderen Anbietern, glaubt Jurist Niemann. Für Betreiber großer Roboflotten, wie sie der US-Mobilitätsplattform Uber oder der in Hamburg und Hannover aktiven Volkswagen-Tochter Moia vorschweben, rechneten sich solche „Inselbetriebe“ nicht, weil sie nur ein sehr begrenztes Angebot erlauben. Für private Flottenbetreiber ergäben sie erst Sinn, wenn das Gesamtsystem automatisiert sei. Bisher hat noch kein Hersteller ein Datum genannt, zu dem er ein hochautomatisiertes Shuttle verkaufen will. Kameras, Sensoren und Hochleistungsrechner an Bord machen die Fahrzeuge teuer, erst mit einer Serienfertigung ist mit fallenden Preisen zu rechnen. Bisher sind alle Projekte subventioniert.

Autonome Shuttle könnten die Attraktivität des Nahverkehrs insgesamt steigern

Verkehrsunternehmen haben den Vorteil, autonome Shuttles in das bestehende ÖPNV-Netz integrieren zu können, die Fahrgäste profitieren davon, an Haltestellen oder Bahnhöfen auf ein anderes Verkehrsmittel umsteigen zu können. „Das kann die Gesamtattraktivität des ÖPNV steigern“, meint Jörg Niemann. Denkbar ist, dass die Shuttles nachts, an Wochenenden und im ländlichen Raum ÖPNV-Lücken schließen könnten. BVG-Chefin Eva Kreienkamp rechnet allerdings nicht damit, dass die Technik zeitnah im regulären Linienverkehr zum Einsatz kommt. Auf dem Betriebshof könnte das autonome Fahren früher Realität werden, glaubt Kreienkamp. Zum einen, weil auf privatem Gelände die Risiken wesentlicher geringer sind. Andere Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer und Fußgängerinnen gibt es dort nicht. Mit den dort gesammelten Erfahrungen könne man später „wieder auf die Straße gehen“, so die BVG-Chefin.

Langfristig hofft die Branche, mit den fahrerlosen Bussen auch ihre Schwierigkeiten bei der Suche neuer Busfahrer und Lokführer in den Griff zu bekommen. Auf der Schiene wollen die Berliner Verkehrsbetriebe ebenfalls Ende des Jahrzehnts ohne Fahrerinnen und Fahrer auskommen. In Nürnberg, Paris und Kopenhagen etwa sind schon heute auf einigen Linien U-Bahnen unterwegs, bei denen das Führerhaus leer ist. In Berlin soll bis 2030 ein Viertel der U-Bahnen autonom fahren.
Fotos: Fabrizio Bensch/Reuters; Christoph Soeder/dpa
Erschienen im Tagesspiegel am 05.06.2021