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Team Regenbogen

Die Olympischen Spiele in Tokio starten – mit so vielen offen queeren Sportler*innen wie nie zuvor. Einige von ihnen sind große Stars in ihren Disziplinen und Heimatländern. Sie nutzen ihre Bekanntheit auch, um sich für LGBTI-Rechte einzusetzen

Von Tilmann Warnecke

Homosexualität und Sport – lange war das eine Geschichte des Tabus. Im Männer-Profifußball gilt das noch heute, auch das hat die Aufregung um Regenbogenfahnen bei der Fußball-EM eindrücklich klargemacht. Doch für die Olympischen Spiele zeichnet sich ein fundamentaler Wandel ab.

Denn in Tokio gehen so viele offen queere Sportler*innen wie nie an den Start. Gut 160 zählt das US- amerikanische Magazin „Outsports“. Das sind mehr als bei allen anderen Olympischen Spielen zusammengerechnet. In Rio 2016 waren es keine 60, in London 2012 gut 20. Team Regenbogen ist damit schon vor dem ersten Wettkampf ein Gewinner der Spiele. Sogar die erste trans Athletin der olympischen Geschichte ist gemeldet.

Endlich – so scheint es – schlagen sich im Olympischen Sport gesamtgesellschaftliche Entwicklungen nieder. Zwar gibt es bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Acht von zehn der bei „Outsports“ aufgeführten Athlet*innen sind lesbisch. Der Druck auf männliche Sportler, ihre Homosexualität geheimzuhalten, ist also offenbar immer noch größer.
In Aktion. Die Fußballerin Megan Rapinoe.
In Aktion. Die Fußballerin Megan Rapinoe.
Dennoch: Einige queere Olympionik*innen gehören zu den größten Stars ihrer Heimatländer und Sportart. Das beste Beispiel ist die US-Fußballerin Megan Rapinoe, bereits Olympiasiegerin und zweifache Weltmeisterin und Kapitänin ihres Teams. Die 36-Jährige ist eine Ikone – wegen ihrer sportlichen Erfolge und ihres gesellschaftlichen und politischen Engagements. Als erster weißer Sport-Star kniete sie 2016 auf dem Spielfeld, um die Black Lives Matter-Bewegung zu unterstützen. Sie kämpft für gleiche Bezahlung von Frauen und Männern im US-Fußball. Legendär wurde ihr Protest gegen Donald Trump bei der WM 2019, ihre Jubelpose mit weit ausgetreckten Armen zum Anti-TrumpMeme in den sozialen Medien.

2012 machte Rapinoe ihr Lesbischsein öffentlich – und so offensiv, wie sie sich für andere Themen einsetzt, macht sie sich für queere Menschen stark. Sie wolle Grenzen überwinden, hat sie gesagt: „Es gibt noch so viele Klischees und Stereotype, die queere Menschen einschränken.“ Wenn man Rapinoes Wirken verfolgt, fragt man sich, ob der Männer-Profi-Fußball wirklich oft so hasenfüßig bei politischen Fragen sein muss.

Rapinoe ist nicht die einzig offen lesbische oder bisexuelle Frau in ihrem Team, wie überhaupt in den Teamsportarten viele queere Frauen auflaufen, sei es beim Hockey, Volleyball, Basketball oder Rugby. Ein Star im Basketball ist Brittney Griner. Mit ihren Dunkings und Blocks gehört sie zu den spektakulärsten Spielerinnen der US-Profiliga WNBA, in Rio gewann sie vor vier Jahre bereits Gold.
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In Aktion. Die Gewichtheberin Laurel Hubbard, die Basketballerin Brittney Griner und der Wasserspringer Tom Daley.
Dass sich mehr Sportler*innen outen, könnte auch mit den sozialen Medien zu tun haben. Auf ihren eigenen Kanälen wenden sie sich direkt an ihre Fans und können so ungefiltert ihre Geschichte erzählen. Das Coming-Out-Video des britischen Wasserspringers Tom Daley von 2013 wurde bis heute auf YouTube fast 13 Millionen Mal angeschaut. Daley, obwohl erst 19 bei seinem öffentlichen Coming Out, hatte damals schon an zwei Olympischen Spielen teilgenommen und war in Großbritannien bekannt wie ein Fußballspieler.

Jetzt, mit 27, zählt er beim Turmspringen erneut zu den Favoriten. Mit seinem Mann hat er einen Sohn, Daley dürfte der erste offen schwule Vater sein, der bei Olympia antritt. Wie Rapinoe und Griner nutzt er seine Bekanntheit, um auf queere Themen hinzuweisen: Bei den Commonwealth-Spielen kritisierte er, dass in vielen Teilnehmerländern Homosexualität noch immer kriminalisiert werde. Dank Instagram und Youtube hat er sich eine Art Marken-Imperium aufgebaut – darunter ein Strick- und Häkel-Kanal. Auch das ein Weg, um mit Männlichkeitsvorstellungen zu brechen.
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Zu tun bleibt in Sachen LGBTI natürlich trotzdem einiges. Beim Thema Intersexualität zeigten das die endlosen Prozesse um die Läuferin Caster Semenya, die über ihre Paradestrecke nicht antritt, weil sie sonst zwangsweise ihr Testosteronlevel hätte senken müssen.

Immerhin: Die Gewichtheberin Laurel Hubbard aus Neuseeland wird als erste trans Athletin Olympias Geschichte schreiben. Rund um die Nominierung der 43-Jährigen gab es die üblichen Diskussionen, ob das nicht unfair sei; Hubbert musste nachweisen, dass ihre Testosteronwert eine bestimmte Grenze nicht überschreiten. Das IOC hat ihre Nominierung ausdrücklich unterstützt. Hubbard gibt nur selten Interviews, auch um Anfeindungen zu entgehen. „Ich wünsche mir einfach nur, mit Respekt behandelt zu werden, egal wie Menschen zu Leuten in meiner Situation stehen“, sagte sie 2017 bei einem ihrer wenigen öffentlichen Auftritte.

Und Deutschland? Die Regenbogenfahne halten laut „Outsports“ Sportschützin Jolyn Beer und Judoka Jasmin Grabowski hoch. Am Samstag geht Beer in ihren ersten Wettkampf, am Wochenende darauf Grabowski. Glückauf!
Fotos: imago images/Sports Press Photo/Shutterstock/Icon/Reuters
Erschienen im Tagesspiegel am 23.07.2021