Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg

Raus aus dem Versteck

Ostbrandenburg lag bisher im Schatten von Potsdam und dem Südwesten des Bundeslandes. Mit der Ansiedlung von Tesla ändert sich das. Die Unternehmen profitieren von der Aufmerksamkeit

Von Christoph M. Kluge

Noch in diesem Jahr soll das Tesla-Werk im brandenburgischen Grünheide mit der Produktion des vollelektrischen Mittelklasse-SUV „Model Y“ beginnen. Das hat Konzernchef Elon Musk beim großen Publikumstag im Oktober verkündet. Allerdings handelt es sich um einen reinen Produktionsstart. Es dürfte lange dauern, bis das Werk seine volle Auslastung erreicht und bis zu 500 000 Fahrzeuge pro Jahr herstellen kann. Dennoch wirkt sich die bloße Anwesenheit des US-Unternehmens bereits jetzt auf den Osten Brandenburgs aus.

„Viele Unternehmen profitieren von der gesteigerten Aufmerksamkeit für die Region“, sagt Robert Radzimanowski von der Industrie- und Handelskammer Ostbrandenburg. Unmittelbare Vorteile hätten zunächst zwar nur wenige Branchen. Das seien vorrangig Bauunternehmen, die am Bauprojekt beteiligt sind, sowie Hotels und andere Firmen des Gastgewerbes. Aber die mediale Aufmerksamkeit zeige vielen Investoren die Potenziale der Region. „In der Vergangenheit lag Ostbrandenburg etwas versteckt zwischen Berlin und Polen“, sagt Radzimanowski. Investitionen seien zum größten Teil im Süden und Südwesten Brandenburgs getätigt worden. Das habe sich seit der Tesla-Ansiedlung spürbar geändert. Die Nachfrage nach Gewerbeflächen und Produktionshallen sei enorm gestiegen. So sehr, dass in einigen Landstrichen kaum noch solche Flächen vorhanden seien.

In einigen Landstrichen sind kaum noch freie Flächen vorhanden

Das liege aber auch an zu zaghafter Planung in der Vergangenheit, meint Radzimanowski: „Leider haben einige Kommunen bisher zu wenige Gewerbegebiete gebaut.“ In den 1990er Jahren hätten einige Gemeinden schlechte Erfahrungen gemacht. Damals seien die Gewerbegebiete wie Pilze aus dem Boden geschossen in Erwartung eines schnellen Booms. Doch der kam nicht, vieles blieb leer. Daher hätten die Kommunen fortan mehr Flächen für Wohnungsbau ausgewiesen. Ein Trend, der sich durch den seit einigen Jahren verstärkten Zuzug von Berlinern sogar noch verstärkt habe.

Das alles führe dazu, dass die Standorte für mittelständische Unternehmen knapp seien. Inzwischen gebe es zwar Unterstützung vom Land, doch „von heute auf morgen kann man das nicht umsetzen“. Auf der anderen Seite, sagt Radzimanowski, löse die Tesla-Ansiedlung und der daraus folgende Boom auch Sorgen aus bei den Firmen, die bereits in Ostbrandenburg ansässig sind. Zum Beispiel hätten einige die Befürchtung, dass sich der Fachkräftemangel verschärfen könnte in der dünn besiedelten Region. Und andere seien skeptisch, ob die Verkehrsinfrastruktur den höheren Belastungen standhalten werde, sagt er.

Auch Alexander Gallrein von der Wirtschaftsförderung Berlin-Brandenburg (WFBB) sieht ein deutlich gestiegenes Interesse bei Wirtschaftsvertretern: „Die Tesla-Ansiedlung hat Brandenburg als internationalen Investitionsstandort markiert.“ Die Wirtschaftsförderung erhalte viele Anfragen von Unternehmen, die als Zulieferer für den berühmten US-Autobauer tätig werden wollen. „Die Anfragen geben wir unkommentiert an Tesla weiter“, sagt er. Dort werde darüber entschieden. Fest stehe jedoch: Die gesamte Metropolregion erlebe einen regelrechten „Schub“.
Vorreiter. Roboter fertigen das Tesla Model Y beim Tag der offenen Tür in der Gigafactory in Grünheide.
Vorreiter. Roboter fertigen das Tesla Model Y beim Tag der offenen Tür in der Gigafactory in Grünheide.
Neuere Ansiedlungen wie die von Rock Tech Lithium (siehe Kasten) zeigten zudem, dass sich Brandenburg insgesamt zu einem Standort für die Elektromobilität und andere Zukunftstechnologien entwickle. „Die Wertschöpfungskette baut sich zunehmend auf “, sagt Gallrein. Es gibt bereits Batteriehersteller wie BASF in Schwarzheide oder Microvast in Ludwigsfelde. Nun kommt auch einen rohstoffverarbeitenden Spezialhersteller hinzu. Auch wichtige Forschungsstandorte wie die BTU Cottbus-Senftenberg oder die Dekra-Teststrecke für autonomes Fahren auf dem Lausitzring sieht Gallrein als Vorteile. Um weitere Investoren anzulocken, habe die WFBB nun eine Kampagne gestartet in den Vereinigten Staaten, Japan und Südkorea, sagt er.

Doch in einigen Bereichen gibt es auch noch erheblichen Handlungsbedarf, etwa bei der Digitalisierung. Das zeigt eine aktuelle Studie der Universität Potsdam. „Um die Digitalisierung voranzutreiben, sind eine weitere Netzabdeckung und der Breitbandausbau nach wie vor wegweisend“, sagt die Marketing-Professorin Uta Herbst, die die Untersuchung leitete. In Auftrag gegeben wurde sie von der Mittelbrandenburgischen Sparkasse (MBS). Ernüchterndes Ergebnis: Die Mehrheit der Brandenburger Unternehmen ist unzufrieden oder wenigstens geteilter Meinung, was Themen wie den Fortschritt des Breitbandausbaus, die Mobilfunknetzabdeckung oder die Verfügbarkeit von Fachkräften angeht. Was könnte aus Sicht der befragten Unternehmen die Digitalisierung in Brandenburg beschleunigen? „Bürokratie abbauen, Prozesse von Förderprogrammen verschlanken und Fachkräfte anlocken.“ Als bremsende Faktoren nannten sie vor allem behäbige Verwaltungen, den Fachkräftemangel, aber auch Probleme beim Datenschutz oder bei der Cybersicherheit.
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Elektromobilität in Brandenburg

Ein Standort mit ausgezeichneten Entwicklungschancen

Seit der E-Autobauer Tesla seine Pläne für eine „Gigafactory“ in Grünheide vorgestellt hat, sind auch andere Firmen aus dem Bereich der Elektromobilität auf Brandenburg aufmerksam geworden.

Im Oktober kündigte der deutsch-kanadische Spezialhersteller Rock Tech Lithium eine Großinvestition in der Lausitz an. Die Firma plant, einen Lithiumhydroxid-Konverter in Guben zu bauen – eine Produktionsanlage, die den Rohstoff Lithium in batteriefähiges Lithiumhydroxid umwandelt. Der Stoff wird unter anderem in Batterien von Elektrofahrzeugen verwendet, aber auch in Akkus von Smartphones und anderen Geräten. Insgesamt will Rock Tech Lithium 470 Millionen Euro in Guben investieren. Nach Unternehmensangaben sollen in Zukunft jährlich 24 000 Tonnen Lithiumhydroxid produziert werden – genug, um LithiumIonen-Akkus für 500 000 Elektroautos zu produzieren. 160 Fachkräfte sollen in der Produktion vor Ort arbeiten, vor allem Techniker und Ingenieure.

Einer Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung für die Deutsche Rohstoffagentur (Dera) wird der Bedarf an Lithium in den kommenden Jahren stark steigen. Das Alkalimetall wird heute vor allem in Australien, Argentinien, Chile und China abgebaut. Die Veredlung zu Lithiumhydroxid erfolgt zum größten Teil in China. Das Rohmaterial für die Gubener Produktion von Rock Tech Lithium soll aus einem Vorkommen im kanadischen Ontario kommen, an dem die Firma beteiligt ist. Langfristig soll jedoch etwa die Hälfte des Lithiumhydroxids aus Recyclingmaterial hergestellt werden. Das ist wichtig, denn die Lithiumvorkommen auf der Welt sind begrenzt – und die Nachfrage steigt kontinuierlich. Die französische Energieberatungsagentur Avicenne beziffert das globale Wachstum im Marktsegment der Lithium-Ionen-Batterien auf 25 Prozent jährlich.

Im kommenden Jahr wird außerdem das neue Batterienwerk des Chemiehersteller BASF im brandenburgischen Schwarzheide mit der Produktion beginnen. In der Anfangsphase soll in der Lausitz Kathodenmaterial für bis zu 400 000 Elektrofahrzeuge pro Jahr entstehen. Doch BASF hat bereits weitere Investitionen und einen Ausbau der Produktionsanlage angekündigt. Das passt zur globalen Strategie des Konzerns, der aggressive Wachstumsziele verfolgt: 2023 will das börsennotierte Unternehmen insgesamt 1,5 Milliarden Euro mit Batterie-Kathoden umsetzen, 2023 sollen es schon sieben Milliarden Euro sein.

Was bedeutet der weltweite Boom für Brandenburg? Im Moment ist die Branche sehr stark abhängig von China. Die Expert:innen von Avicenne gehen jedoch davon aus, dass Europa in den nächsten Jahren zum zweitgrößten Markt für Batterien aufsteigen wird. 2030 soll ein Viertel des globalen Marktvolumens auf Europa entfallen. Das wäre deutlich mehr als auf die Vereinigten Staaten. Wenn der Trend anhält und weitere Ansiedlungen die Wertschöpfungskette im Bereich Elektromobilität in Brandenburg ausbauen, könnte die Mark als Standort ausgezeichnete Entwicklungschancen haben. cmk
Foto: Patrick Pleul/dpa
Erschienen im Tagesspiegel am 22.10.2021