Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg

„Mit einem hellblauen Auge davongekommen“

Arbeitsagentur-Leiterin Ramona Schröder über den Aufschwung in der Wirtschaft und Erfolge der Integration

Von Matthias Matern

Frau Schröder, die Zahl der Arbeitslosen geht in Brandenburg zurück. Die Quote sinkt auf 6,0 Prozent. War es das mit den Folgen der Pandemie für den Arbeitsmarkt?
Unsere Einschätzung ist tatsächlich positiv. Sowohl, was die Datenlage im Mai hergibt, als auch was die Prognosen unseres Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ergeben. Wir haben im Mai das erste Mal wieder weniger als 80000 Menschen in der Arbeitslosigkeit. Besonders erfreulich ist, der Rückgang vollzieht sich nicht nur im Vergleich zum Vormonat. Wir haben auch einen signifikanten Rückgang zum Mai des Vorjahres. Aktuell sind 7 000 Menschen weniger arbeitslos. Das sind acht Prozent. Was uns noch Hoffnung macht, ist die Entwicklung der gemeldeten freien Stellen. Wir haben sechs Prozent mehr als im Vorjahr und der Zugang ist im Mai nochmal deutlich stärker geworden. Das heißt, wir sehen eine gute wirtschaftliche Wiederbelebung.

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Ramona Schröder, 61, ist seit Dezember 2020 Vorsitzende der Geschäftsführung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit. Zuvor arbeitete sie in Potsdam.

Wen hat die Coronakrise am stärksten getroffen?
Am stärksten betroffen waren natürlich die Hotellerie und die Gastronomie. Wir haben aber auch zeitweise eine relativ hohe Betroffenheit im verarbeitenden Gewerbe gehabt. Das konnten wir an der Kurzarbeit ablesen.

Insgesamt waren die Auswirkungen aber moderat, sagt auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD). Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Das hängt mit der Gesamtstruktur in der brandenburgischen Wirtschaft zusammen. Wir haben in den vergangenen Monaten immer besonders auf die notleidenden Branchen geblickt. Insgesamt ist die Beschäftigung zwar nicht rasant gewachsen, aber sie ist doch stabil geblieben. Wir sind mit einem wirklich hellblauen Auge davongekommen.

Tatsächlich warnen die brandenburgische Wirtschaftsförderung und die Industrie- und Handelskammern des Landes wieder vor dem Fachkräftemangel. Zurecht?
Wir haben den Fachkräftemangel in der Krise nur nicht thematisiert. Er war aber die ganze Zeit da. Jetzt spüren wir, dass wir wieder mehr und mehr öffnen können und die Wirtschaft wieder anzieht. Doch an der demografischen Entwicklung hat sich ja nichts verändert. In den nächsten zehn Jahren wird jeder vierte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Brandenburg in den Ruhestand gehen. Das sind mehr als 200 000 Menschen. Und jeder Zehnte ist bereits jetzt älter als 60 Jahre, das sind 90000 Beschäftigte. Insofern müssen wir auch das Thema Ausbildung wieder stärker ansprechen.
Dicker Brocken. 12000 Beschäftigte sollen in der neuen Gigafactory des US-amerikanischen Elektroautoherstellers Tesla in Grünheide arbeiten. Im Werk südöstlich von Berlin soll Ende des Jahres die Fertigung starten, aktuell läuft das Recruiting der Mitarbeitenden.
Dicker Brocken. 12000 Beschäftigte sollen in der neuen Gigafactory des US-amerikanischen Elektroautoherstellers Tesla in Grünheide arbeiten. Im Werk südöstlich von Berlin soll Ende des Jahres die Fertigung starten, aktuell läuft das Recruiting der Mitarbeitenden.
Apropos Ausbildung. Laut IHK Potsdam gibt es aktuell ein leichtes Plus beim Abschluss von Ausbildungsverträgen. Macht das Land genug, um Fachkräfte „Made in Brandenburg“ zu fördern?
Da will ich vorab die Brandenburger Unternehmen loben. Wir haben 3,5 Prozent mehr gemeldete betriebliche Ausbildungsstellen als im vergangenen Jahr und nur 300 weniger als vor der Pandemie. Das ist im Vergleich zu anderen Regionen eine durchaus respektable Leistung. Wir müssen jetzt an den Schülerinnen und Schülern dranbleiben. Wir haben nämlich 500 gemeldete Bewerber weniger als im vergangenen Jahr, die sich für eine betriebliche Ausbildung interessieren. Wir sollten jetzt intensiv die Eltern ansprechen.

Warum die Eltern?
Um den Optimismus zu stärken. In der Pandemie ist der Eindruck entstanden, es gibt nur Probleme. Wer weiß, ob die Unternehmen noch Aufträge haben. Doch wenn es so wäre, würden die Firmen nicht so viele Lehrstellen anbieten. Die Schülerinnen und Schüler im Land haben eine gute Perspektive, wenn sie jetzt eine betriebliche Ausbildung beginnen.

Zurück zum Fachkräftemangel. Wo bestehen bereits heute Engpässe?
Wir haben freie Stellen quer durch alle Branchen. Die gesamte Palette handwerklicher Berufe, Pflege, alles, was mit der Lager- und Logistikwirtschaft zu tun hat. Der gesamte Bereich Energietechnik, der Maschinenbau, auch die Baubranche sucht Mitarbeiter.

Ende des Jahres soll die neue Gigafabrik von Tesla an den Start gehen. Immerhin sollen dort einmal 12000 Menschen arbeiten, perspektivisch sogar mehr. Spüren Sie in der Region bereits einen „Tesla-Effekt"?
Im Moment läuft erst einmal die Recruiting-Phase für die Mitarbeiter in der Produktion. Wir haben den Tesla-Effekt in unserer Prognose abgebildet. Aber wir sehen ihn noch nicht in den Daten.


„Die Schülerinnen und Schüler im Land haben jetzt eine gute Perspektive“

Wird der Fachkräftemangel durch die Ansiedlung verschärft? Immerhin dürfte der Name Tesla eine Sogwirkung haben.
Im Moment sehen wir diesen Effekt nicht. Gerade aber aus dem Handwerk höre ich diese Sorgen immer wieder. Es gibt das Beispiel eines großen prominenten Unternehmens in Brandenburg/Havel. Als das die Produktion kurzzeitig nach oben gefahren hatte, hatte das schon eine Sogwirkung auf das Handwerk der Umgebung. Das Tesla-Werk aber liegt direkt an der Schnittstelle zwischen Brandenburg und Berlin. Und wir haben immer noch genügend Menschen, die in der Arbeitslosigkeit einen neuen Job suchen. Dazu haben wir auch durchaus Unternehmen, die sich jetzt in einem Strukturwandel befinden. Ich empfinde es als ausgesprochen positiv, dass wir von einer Firma in die andere Firma zu einem Ausgleich kommen können - und das möglichst ohne den Weg über die Arbeitslosigkeit.

Steffen Kammradt, Chef der brandenburgischen Wirtschaftsförderung, betont immer wieder die Bedeutung der Zuwanderung internationaler Fach- und Arbeitskräfte. Wie groß ist denn das Interesse ausländischer Experten am hiesigen Arbeitsmarkt?
Der brandenburgische Arbeitsmarkt bietet auf der einen Seite die Vorteile, dass er im engen Verflechtungsraum mit der Metropole Berlin steht, und dass man im Augenblick immer noch - ich lasse jetzt Mal Potsdam außen vor - überein gutes Angebot von bezahlbarem Wohnraum verfügt. Ich kann auch sehr gut zwischen beiden Regionen pendeln und es entstehen viele interessante neue Jobs. Außerdem gibt es ja schon einige sehr renommierte Unternehmen. Aber es gibt einen Wehrmutstropfen.

„Das gleiche Gehaltsniveau in beiden Regionen wäre ideal“

Und zwar?
Ideal wäre, wenn in beiden Regionen, also in Berlin und in Brandenburg, das gleiche Gehaltsniveau vorhanden wäre.

Spielt vielleicht auch die Wahrnehmung neben dem großen Berlin eine Rolle? Steht Brandenburg da nicht auch immer so ein bisschen im Schatten?
Beide Länder versuchen ja, sich jetzt intensiver gemeinsam zu präsentieren. Ich würde da an Brandenburgs Stelle nicht mein Licht unter den Scheffel stellen. Brandenburg kann super gut von Berlin profitieren und Berlin super gut von Brandenburg. Investoren sehen die Region ohnehin automatisch als Ganzes.

Wo wir über ausländische Arbeitnehmer reden: Vor gut fünf Jahren hat Deutschland eine enorme Zuwanderung Geflüchteter erlebt. Es wurden große Anstrengungen unternommen, die Neuankömmlinge auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren. Mit Erfolg?
Als ich mir zuletzt die Daten angesehen habe, war ich totalpositiv überrascht. Wir haben dafür die wichtigsten acht Herkunftsländer erfasst, also Syrien, Pakistan, Iran, Irak, Afghanistan, Somalia, Nigeria und Eritrea. Da haben wir im März 2020 rund 4800 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte registriert und liegen jetzt bei 5900. Die Beschäftigung ist also angestiegen und wir haben keinen Einbruch erlebt. Das zeigt, dass die Integration in den Arbeitsmarkt gut gelungen ist.
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IHK Potsdam
In welchen Berufen arbeiten die Geflüchteten heute?
Wir haben starke Zuwächse in eher krisenfesten und stabilen Branchen gehabt, etwa im Bereich Lager und Logistik, im Gesundheitswesen, aber auch im verarbeitenden Gewerbe.

Also hat die Flüchtlingswelle tatsächlich einen positiven Effekt für den brandenburgischen Arbeitsmarkt gehabt.
Auf jeden Fall.
          

Prognose

Brandenburgische Kammern warnen vor Fachkräftemangel

Rund 169 000 qualifizierte Mitarbeiter werden voraussichtlich im Jahr 2035 au f dem brandenburgischen Arbeitsmarkt fehlen. Tendenz steigend. Das geht aus dem aktuellen Fachkräftemonitor Brandenburg hervor, den die Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) und die brandenburgischen Industrie- und Handelskammern (IHK)jüngst erstellt haben.

Gegen den absehbaren Engpass helfen aus Sicht der Kammern nur Weiterbildung, Zuwanderung und Ausbildung. Denn die größten Bedarfe würden nicht in den akademischen Berufen erwartet, sondern bei den beruflich Qualifizierten, betont Carsten Christ, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Brandenburgischen IHK. Für die nächsten fünf Jahre werde bei den beruflich Qualifizierten eine Angebotslücke von 54 000 Personen vorhergesagt; im Vergleich werden dann lediglich 2500 Akademiker fehlen.

Allein im Gesundheits- und Sozialwesen beträgt die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage in 14 Jahren laut Fachkräftemonitor 21 700 Menschen quer durch alle Berufsgruppen. In der Öffentlichen Dienstleitung sollen es sogar 25 600 Fachkräfte sein, die fehlen. Regional wird der Engpass 2035 den Prognosen zufolge am größten im Bereich der Landeshauptstadt ausfallen. 188 000 Fachkräfte werden dort benötigt. Zur Verfügung stehen dann rund um Potsdam laut Monitor aber nur 136 000 Fachkräfte. mat
Fotos: Patrick Beul/dpa, Agentur für Arbeit
Erschienen im Tagesspiegel am 18.06.2021.