World Food Convention

„Laborfleisch kann die globale Ungleichheit verschärfen“

Zellbiologe Kai Blau über Buletten aus der Petrischale, Hightech-Firmen, die an der Massenproduktion tüfteln, und arbeitslose Viehzüchter in Afrika

Von Aleksandra Lebedowicz

Herr Blau, 2013 stellte der Niederländer Mark Post von der Universität Maastricht den ersten Hamburger aus der Petrischale vor. Seine Hoffnung war, mit Laborfleisch den Welthunger zu bekämpfen. Sind Forscher heute diesem Ziel nähergekommen?
Leider nein. Die Frage ist, ob Laborfleisch überhaupt einen solchen Beitrag leisten kann. Ich bin skeptisch.

Warum?
Momentan gibt es etwa 40 Firmen, die versuchen, das sogenannte In-Vitro-Fleisch markttauglich zu machen. Die führenden Unternehmen sitzen in den USA, in Israel und in den Niederlanden. Und genau das ist das Problem: Das sind alles Hightech-Firmen in den Industriestaaten, die eine komplexe Infrastruktur voraussetzen und enorm viel Energie verbrauchen. Länder in Afrika oder Südostasien können da gar nicht mithalten. Um den Welthunger zu lindern, müsste man zunächst diese Ungleichheit beseitigen. Allein in die Entwicklung fließen Millionenbeträge.

Wie ist der aktuelle Stand?
Die Züchtung von kleinen Mengen ist längst möglich. Heute stehen die Forscher vielmehr vor der Schwierigkeit, wie man von den kleinen Laborexperimenten in die Herstellung von Zehn- oder Hunderttausenden Buletten und Fleischbällchen übergeht. Und das auch noch zu Preisen, die erschwinglich sind. Der erste Laborfleisch-Burger kostete 250000 Euro - und war nicht mal besonders lecker.

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Kai Blau ist Zellbiologe und promovierte 2020 im Fach Genetik am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln. Er teilt sein Fachwissen im Netz auf www.kaifiedler.de.

Ja, wieso eigentlich?
Es waren reine Muskelzellen und eine richtige Bulette besteht auch aus Fett.

Was genau macht die Massenproduktion so kompliziert?
Sie muss in riesigen Bioreaktoren stattfinden und benötigt literweise Nährlösung für die Zellen, die übrigens steril gehalten werden müssen.

Für die Nährlösung wurde lange das ethisch höchst umstrittene Kälberserum verwendet.
Genau, dafür wird Blut aus dem noch schlagenden Herzen von Kälberföten entnommen. Das Kälberserum, kurz FCS, ist ein wichtiger Grundstoff in der medizinischen Forschung. Man geht davon aus, dass weltweit 800000 Liter pro Jahr verwendet werden, was zwei Millionen Kälbern entspricht. Beim Laborfleisch hat sich da zum Glück einiges getan. Mittlerweile geben die meisten Firmen an, ohne FCS auszukommen. Manche nutzen stattdessen zum Beispiel eine spezielle Mischung aus Pilz- und Algenextrakten. Von clean meat, also sauberem Fleisch zu sprechen und gleichzeitig FCS zu verwenden, wäre paradox - und schlecht fürs Image. Das ist den Herstellern klar.

Wann werden wir In-Vitro-Fleisch in den Supermarktregalen finden?
Die ersten Produkte vielleicht bald. Im vergangenen November hat Singapur als erstes Land weltweit im Labor produzierte Chicken-Nuggets des US-Start-ups Eat Just offiziell zum Verkauf zugelassen. Sie werden allerdings nur in einem Spitzenrestaurant zum höheren Preis angeboten und sind nicht überall im Supermarkt erhältlich.
Immer noch zu wenig. Bis 2050 soll sich die globale Fleischproduktion auf 460 Millionen Tonnen jährlich verdoppeln. Im Bild eine Rinderfarm in Queensland, Australien.
Immer noch zu wenig. Bis 2050 soll sich die globale Fleischproduktion auf 460 Millionen Tonnen jährlich verdoppeln. Im Bild eine Rinderfarm in Queensland, Australien.
Ein Nischenprodukt für Wohlhabende?
Das ist die große Frage: Gelingt es, Laborfleisch so zu vermarkten, dass es kein Lifestyle bleibt? Ich habe mir die Patentanmeldungen der Firmen angeschaut, die Aufschluss über ihre Verfahren geben. Jedes Unternehmen geht dabei anders vor, entwickelt seine eigenen Bioreaktoren und nutzt andere Zellen. Es gibt keinen einheitlichen Produktionsprozess.

Woran wird noch getüftelt?
Um dreidimensionale Fleischstrukturen mit der typischen Konsistenz zu erschaffen, etwa wie beim Steak, werden Gerüste aus Kollagen oder Vielfachzucker benötigt, an denen die Zellen wachsen können. Auch daran wird zurzeit geforscht, denn sie sollten einerseits essbar sein, um später nicht aufwendig entfernt werden zu müssen. Andererseits sollten sie idealerweise aus pflanzlichen oder chemischen Stoffen hergestellt werden, um den Kunden ein Produkt ganz ohne Tierleid bieten zu können.

Der globale Fleischkonsum hat bereits enorm zugenommen. Bis 2050 soll er sich auf 460 Millionen Tonnen jährlich noch verdoppeln. Laborfleisch-Hersteller haben auch den ökologischen Vorteil im Auge. Welche positiven Effekte gibt es dabei?
Im Vergleich zu Rinderhaltung hat die Produktion von In-Vitro-Fleisch klare Umweltvorteile, sie benötigt weniger Land und Wasser. Auch im Hinblick auf die Eutrophierung löst es viele Probleme, weil dabei 95 Prozent weniger Stickstoff und Phosphor in unsere Flüsse abwandern. Bei der Gesamtbilanz ist allerdings Vorsicht geboten. Vor allem wenn es um Geflügel und Schweinefleisch geht.

Inwiefern?
Die Produktion im Bioreaktor ist mit sehr hohen Energiekosten verbunden. Bei den CO2-Emissionen sind die Werte eventuell sogar höher als bei der industriellen Geflügelproduktion. Aber solange keine Massenprodukte im Handel sind, keine kompletten Lieferketten und Herstellungsprozesse existieren, müssen die Berechnungen immer eine vage Schätzung bleiben. Und es kommt natürlich auch wesentlich darauf an, mit welchem Strommix man eigentlich kalkuliert. Gehen die Firmen in Richtung Nachhaltigkeit und setzen ausschließlich auf grüne Energie, oder beziehen sie den konventionellen Strommix?
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Bayer AG
Sie haben vorhin vom sauberen Fleisch gesprochen. Inzwischen kursieren auch andere Namen: „safe meat", „victimless meat", Kunstfleisch, Kulturfleisch. Da fragt man sich. Was ist In-Vitro-Fleisch denn eigentlich?
Die einfachste Definition lautet: Fleisch, das nicht von einem Tier stammt, das geschlachtet wurde. Manche Publikationen beschreiben es als künstliches Muskelprotein. In den USA gab es bereits auch erste Angriffe: Der Verband US-amerikanischer Viehzüchter hat durchgesetzt, dass der Begriff Fleisch nicht für Produkte verwendet werden darf, die aus dem Labor stammen. Die Behörden sprechen jetzt von „cell cultured product", also von einem Zellkulturenprodukt.

Wird Laborfleisch künftig das normale Fleisch ersetzen?
Eher nicht. Selbst wenn die Technologie für die Massenproduktion bald da wäre, bleibt das Problem der Regulierung und der eigentlichen Marktzulassung. Vor allem in Europa kann es noch lange dauern. Denn anders als in den USA wird in der EU eine Sicherheits- und Risikobewertung erst dann vorgenommen, wenn das fertige Produkt da ist. Das kann locker weitere fünf bis zehn Jahre dauern, bis wir Laborfleisch-Buletten kaufen können.

Und wenn das tatsächlich gelingt und wir in fünf Jahren bezahlbares Laborfleisch massenhaft züchten könnten, was würde das für die Welternährung bedeuten?
Im Grunde produzieren wir jetzt schon genug Nahrung für alle. Das Problem ist die globale Ungleichheit. Sie würde man mit der Massenproduktion vom Laborfleisch womöglich nur noch verschärfen, indem man den lokalen Bauer und Viehzüchter arbeitslos macht und den Zepter an große, internationale Firmen übergibt, die kein Interesse daran hätten, ihr Fleisch so billig zu verkaufen, um den Hunger in Afrika zu lindern.
Fotos: Szabo Viktor/Unsplash, Getty, Katharina Link
Erschienen im Tagesspiegel am 23.06.2021