Millionen Kinder im Jemen sind Opfer eines erbarmungslosen Krieges. Save the Children versucht, den Teufelskreis aus Armut, Hunger und Krankheit zu durchbrechen
Von Christian Böhme
Der Tod kommt vom Himmel. Er verschont zwar die kleine Wafa, aber die Bomben töten ihre Mutter und den Vater. Das vierjährige jemenitische Kind überlebt den Luftangriff auf die Hafenstadt Houdeida. Doch die Attacke an einem Junitag vor fast einem Jahr hat tiefe Wunden geschlagen, körperliche wie seelische.
Wafa musste notoperiert werden, weil ein Splitter in ihrem Kopf steckte. Der hinterließ ein 15 Zentimeter großes Loch. Nach einer ersten Operation kam die nächste. Und dann noch eine. Wafas Körper war angeschwollen, weil weitere Geschossteile eingedrungen waren. Seitdem findet das Mädchen kaum Schlaf, hat Albträume, weint und schreit im Traum. „Mama und Papa sind verbrannt. Sie sind gestorben. Wir alle sind gestorben.“
Ein Team von Save the Children versorgt Wafa, ihre zweijährige Schwester, die ebenfalls schwer verletzt wurde, und den Rest der Familie, so gut es geht. Dennoch ist trotz aller Unterstützung klar, dass dem Mädchen im Juni 2018 dauerhaftes Leid zugefügt wurde. Weil es an einem Tag ihre Eltern, ihre Gesundheit und ihre Kindheit verlor.
So wie Wafa ergeht es Millionen Kinder im Jemen – sie sind ebenso wie ihre Familien Opfer eines erbarmungslosen Krieges. Vor vier Jahren eskalierte der Konflikt im Armenhaus der arabischen Welt. Damals begann die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geführte Militärallianz eine Offensive gegen die aufständischen, vom Iran unterstützten Huthi-Milizen, die Präsident Abdrabbuh Mansour Hadi ins Exil gezwungen hatten. Seitdem herrscht Gewalt, Elend und Not gehören zum Alltag. Von Frieden ist keine Rede. Er liegt trotz mehrerer Verhandlungsrunden nach wie vor in weiter Ferne.
Wafa musste notoperiert werden, weil ein Splitter in ihrem Kopf steckte. Der hinterließ ein 15 Zentimeter großes Loch. Nach einer ersten Operation kam die nächste. Und dann noch eine. Wafas Körper war angeschwollen, weil weitere Geschossteile eingedrungen waren. Seitdem findet das Mädchen kaum Schlaf, hat Albträume, weint und schreit im Traum. „Mama und Papa sind verbrannt. Sie sind gestorben. Wir alle sind gestorben.“
Ein Team von Save the Children versorgt Wafa, ihre zweijährige Schwester, die ebenfalls schwer verletzt wurde, und den Rest der Familie, so gut es geht. Dennoch ist trotz aller Unterstützung klar, dass dem Mädchen im Juni 2018 dauerhaftes Leid zugefügt wurde. Weil es an einem Tag ihre Eltern, ihre Gesundheit und ihre Kindheit verlor.
So wie Wafa ergeht es Millionen Kinder im Jemen – sie sind ebenso wie ihre Familien Opfer eines erbarmungslosen Krieges. Vor vier Jahren eskalierte der Konflikt im Armenhaus der arabischen Welt. Damals begann die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geführte Militärallianz eine Offensive gegen die aufständischen, vom Iran unterstützten Huthi-Milizen, die Präsident Abdrabbuh Mansour Hadi ins Exil gezwungen hatten. Seitdem herrscht Gewalt, Elend und Not gehören zum Alltag. Von Frieden ist keine Rede. Er liegt trotz mehrerer Verhandlungsrunden nach wie vor in weiter Ferne.
Inzwischen hat der Krieg dazu geführt, dass die Situation im Jemen als weltweit verheerendste humanitäre Katastrophe gilt. Große Teile des Landes sind zerstört. Es gibt keine funktionierende Gesundheitsversorgung mehr. Die Hälfte aller Kliniken ist zerstört, Ärzte und Medikamente sind kaum vorhanden. Von einem Schulbesuch können die meisten Kinder seit Langem nur träumen. Die Währung ist nichts mehr wert, Jobs sind Mangelware. Die Wirtschaft liegt am Boden.
Das alles hat fatale Folgen. 80 Prozent der Bevölkerung – 24 Millionen Menschen – sind Tag für Tag dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Fast die Hälfte von ihnen sind Kinder. Außerdem hungern die Jemeniten. 18 Millionen haben nicht genug zu essen. Vor allem Mädchen und Jungen sind oft lebensbedrohlich mangel- und unterernährt, sichtbar bis auf die Knochen abgemagert. Es fehlt ihnen an Kraft. Ihr Immunsystem ist schwach. Und das macht sie besonders anfällig für Krankheiten.
Kein Wunder, dass unter diesen Bedingungen eine Seuche wie Cholera leichtes Spiel hat und sich rasend schnell ausbreiten kann. Seit Anfang des Jahres wurden im Jemen fast 125 000 Verdachtsfälle gemeldet. Mehr als ein Drittel der Betroffenen waren Kinder unter 15 Jahren. Besonders tragisch: Cholera könnte durch den Zugang zu sauberem Wasser und grundlegende Hygienemaßnahmen im Grunde einfach eingedämmt oder sogar verhindert werden.
Beides gibt es im Jemen allerdings sehr selten, wenn überhaupt. Sanitäranlagen sind zerstört, Wasserquellen verseucht. Und die weitverbreitete Unterernährung führt dazu, dass gerade Kinder sich leichter mit der Krankheit infizieren. Wenn die Cholera erst einmal wütet, führt sie wiederum dazu, dass gerade die Kleinsten wegen des Durchfalls weiter an Gewicht verlieren – und womöglich daran sterben.
Der Teufelskreis aus Armut, Hunger und Krankheit hat nach Schätzungen von Save the Children seit der Eskalation des Konflikts Ende März 2015 bereits 85 000 Kinder unter fünf Jahren das Leben gekostet. Dennoch versucht die Hilfsorganisation, diesen Teufelskreis auf verschiedene Weise zu durchbrechen. So erklären deren Mitarbeiter vor Ort, wie die kaum vorhandenen Wasserressourcen sinnvoll und effektiv genutzt werden können. „In 180 Gesundheitszentren verteilen wir entsprechendes Material und bieten Schulungen an“, sagt Jihan Akrawi, Regionalmanagerin für den Nahen Osten und Nordafrika. Doch die Ausbreitung der Seuche zu verhindern, ist unter den Bedingungen eines Krieges sehr schwierig. Nicht zuletzt, weil die Konfliktparteien Helfern den Zugang verwehren. Ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht.
Das alles hat fatale Folgen. 80 Prozent der Bevölkerung – 24 Millionen Menschen – sind Tag für Tag dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Fast die Hälfte von ihnen sind Kinder. Außerdem hungern die Jemeniten. 18 Millionen haben nicht genug zu essen. Vor allem Mädchen und Jungen sind oft lebensbedrohlich mangel- und unterernährt, sichtbar bis auf die Knochen abgemagert. Es fehlt ihnen an Kraft. Ihr Immunsystem ist schwach. Und das macht sie besonders anfällig für Krankheiten.
Kein Wunder, dass unter diesen Bedingungen eine Seuche wie Cholera leichtes Spiel hat und sich rasend schnell ausbreiten kann. Seit Anfang des Jahres wurden im Jemen fast 125 000 Verdachtsfälle gemeldet. Mehr als ein Drittel der Betroffenen waren Kinder unter 15 Jahren. Besonders tragisch: Cholera könnte durch den Zugang zu sauberem Wasser und grundlegende Hygienemaßnahmen im Grunde einfach eingedämmt oder sogar verhindert werden.
Beides gibt es im Jemen allerdings sehr selten, wenn überhaupt. Sanitäranlagen sind zerstört, Wasserquellen verseucht. Und die weitverbreitete Unterernährung führt dazu, dass gerade Kinder sich leichter mit der Krankheit infizieren. Wenn die Cholera erst einmal wütet, führt sie wiederum dazu, dass gerade die Kleinsten wegen des Durchfalls weiter an Gewicht verlieren – und womöglich daran sterben.
Der Teufelskreis aus Armut, Hunger und Krankheit hat nach Schätzungen von Save the Children seit der Eskalation des Konflikts Ende März 2015 bereits 85 000 Kinder unter fünf Jahren das Leben gekostet. Dennoch versucht die Hilfsorganisation, diesen Teufelskreis auf verschiedene Weise zu durchbrechen. So erklären deren Mitarbeiter vor Ort, wie die kaum vorhandenen Wasserressourcen sinnvoll und effektiv genutzt werden können. „In 180 Gesundheitszentren verteilen wir entsprechendes Material und bieten Schulungen an“, sagt Jihan Akrawi, Regionalmanagerin für den Nahen Osten und Nordafrika. Doch die Ausbreitung der Seuche zu verhindern, ist unter den Bedingungen eines Krieges sehr schwierig. Nicht zuletzt, weil die Konfliktparteien Helfern den Zugang verwehren. Ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht.
Eine Seuche wie Cholera hat leichtes Spiel – und wäre doch so leicht zu verhindern
Gleiches gilt für den Kampf gegen den Hunger. Viele Jemeniten wissen nicht, ob und woher sie ihre nächste Mahlzeit bekommen. Lebensmittel gelangen viel zu selten in das abgeschottete Land. Selbst wenn es etwas auf Märkten und in Geschäften zu kaufen gibt – die Menschen können sich nichts leisten. Die Preise sind in die Höhe geschnellt, Gehälter werden schon lange nicht mehr gezahlt. Nur wenige Familien haben daher ausreichend Geld, um ihren Bedarf decken zu können.
Deshalb ist Nothilfe für sie Überlebenshilfe. So verteilt Save the Children Spezial- und Zusatznahrung für akut mangelernährte Kinder. Zugleich werden die Menschen aufgeklärt und sensibilisiert, vor allem Mütter und Schwangere. Denn die neigen dazu, das wenige Essen anderen Familienmitgliedern zu überlassen und selbst zu verzichten. Doch damit schwächen sie ihren Körper. Kinder kommen schon unterernährt zur Welt. Das Stillen funktioniert nicht, weil die Frauen derartig geschwächt sind, dass sie keine Milch produzieren können.
Neben Hunger, Krieg und Seuchen macht dem Jemen auch das praktisch nicht mehr existierende Bildungssystem zu schaffen und nimmt vielen Kindern die Hoffnung auf ein besseres Leben. Ein Schulbesuch ist aus verschiedenen Gründen kaum noch möglich. Viele Gebäude sind in Schutt und Asche gebombt worden. Andere wurden zweckentfremdet und werden heute als Unterkünfte oder als Militärstützpunkte genutzt. Wer sich als Kind dennoch auf den Schulweg macht, begibt sich in Lebensgefahr. Obwohl sie Schutzräume sein sollen, werden Schulen immer wieder bombardiert. Unter diesen Umständen haben Eltern Angst um ihre Töchter und Söhne und lassen sie nicht zum Unterricht gehen. Es ist einfach zu riskant. Hinzu kommt: Viele Familien sind darauf angewiesen, dass ihre Kinder arbeiten gehen, um die kargen Einkünfte aufzubessern. Ein Schulbesuch kommt da nicht in Betracht. Nur heißt das eben auch: Es droht eine bildungsferne, ja weitgehend bildungslose und damit verlorene Generation. Vor dieser Entwicklung warnen Hilfsorganisationen wie Save the Children schon lange. Die Appelle an die Politik, dies zu verhindern und den Krieg endlich zu beenden, sind zahlreich. Erfolgreich waren sie bis heute nicht. Stattdessen werden nach wie vor jede Menge Waffen an die Konfliktparteien geliefert. Der Krieg im Jemen geht weiter. Es ist ein Krieg gegen die Kinder.
Deshalb ist Nothilfe für sie Überlebenshilfe. So verteilt Save the Children Spezial- und Zusatznahrung für akut mangelernährte Kinder. Zugleich werden die Menschen aufgeklärt und sensibilisiert, vor allem Mütter und Schwangere. Denn die neigen dazu, das wenige Essen anderen Familienmitgliedern zu überlassen und selbst zu verzichten. Doch damit schwächen sie ihren Körper. Kinder kommen schon unterernährt zur Welt. Das Stillen funktioniert nicht, weil die Frauen derartig geschwächt sind, dass sie keine Milch produzieren können.
Neben Hunger, Krieg und Seuchen macht dem Jemen auch das praktisch nicht mehr existierende Bildungssystem zu schaffen und nimmt vielen Kindern die Hoffnung auf ein besseres Leben. Ein Schulbesuch ist aus verschiedenen Gründen kaum noch möglich. Viele Gebäude sind in Schutt und Asche gebombt worden. Andere wurden zweckentfremdet und werden heute als Unterkünfte oder als Militärstützpunkte genutzt. Wer sich als Kind dennoch auf den Schulweg macht, begibt sich in Lebensgefahr. Obwohl sie Schutzräume sein sollen, werden Schulen immer wieder bombardiert. Unter diesen Umständen haben Eltern Angst um ihre Töchter und Söhne und lassen sie nicht zum Unterricht gehen. Es ist einfach zu riskant. Hinzu kommt: Viele Familien sind darauf angewiesen, dass ihre Kinder arbeiten gehen, um die kargen Einkünfte aufzubessern. Ein Schulbesuch kommt da nicht in Betracht. Nur heißt das eben auch: Es droht eine bildungsferne, ja weitgehend bildungslose und damit verlorene Generation. Vor dieser Entwicklung warnen Hilfsorganisationen wie Save the Children schon lange. Die Appelle an die Politik, dies zu verhindern und den Krieg endlich zu beenden, sind zahlreich. Erfolgreich waren sie bis heute nicht. Stattdessen werden nach wie vor jede Menge Waffen an die Konfliktparteien geliefert. Der Krieg im Jemen geht weiter. Es ist ein Krieg gegen die Kinder.
Foto: Save the Children
Erschienen im Tagesspiegel am 16.05.2019
Erschienen im Tagesspiegel am 16.05.2019