Welt von Nebra

Glaube und Macht

Gold war in der Bronzezeit nicht nur ein Material, das für Wohlstand und Macht stand, sondern auch für Magie und den exklusiven Kontakt zu den Göttern

Von Flemming Kaul

1885 wurden mehr als 100 Boote, 10 bis 17cm lang, aus dünnem Blattgold in einer großen Grabstätte in Thorshøj, Nordwest Jütland, Dänemark gefunden. Einige von ihnen sind mit konzentrischen Kreisen dekoriert, mit Sonnenbildern. Weil das Schiff nach den Glaubensvorstellungen der Bronzezeit als Fahrzeug für dieses Gestirn gesehen wurde, sollten die Boote aus Nors als bedeutungsvolle Repräsentationen der Sonnenbarke gesehen werden: Das goldene Material stellt die leuchtende Farbe der Sonne dar.

Thorshøj ist noch nicht ausgegraben worden. Die Geheimnisse, die der Hügel birgt, sind (noch) nicht enthüllt. Als die goldenen Schiffe im Grabhügel deponiert wurden, war das mehr als ein Opfer für göttliche Mächte. Vermutlich drückten sie das Gebet oder den Wunsch aus, dass die hochrangige Person im Leben nach dem Tod ein Crewmitglied auf dem Sonnenschiff werden sollte, und so paddelnd der Sonne auf ihrer ewigen Reise behilflich sein sollte: tagsüber über den Himmel und nachts durch die Unterwelt.

In Thorshøj, nur zwei Meter von den goldenen Booten entfernt ist ein goldener Armring, der 392 Gramm, wiegt ans Tageslicht gekommen. Dieser schwere Armring kann auf 1400-1200 vor Christus datiert werden, und damit auf die gleiche Zeit wie die Boote. Während die Barken eine Art von Kommunikation mit göttlichen Mächten darstellen, sollte der Armring als ultimatives Symbol von Macht verstanden werden. Beide könnten derselben Person oder einem Vorfahren zugeordnet sein, der in Thorshøj begraben wurde. Sie ergänzen einander, indem sie die essentiellen Bedeutungen von Gold reflektieren: seine Magie und seine göttlichen Verbindungen – und seine Implikationen bezüglich sozialer und politischer Macht.

Über weite Teile der europäischen Bronzezeit war der goldene Ring das ultimative Symbol für Macht, den man nur in den reichsten Gräbern unter riesigen Hügeln fand. Diese edlen Ringe wurden mit anderen Paraphernalien von Macht und Reichtum gefunden wie mit prächtigen Waffen und exklusiven bronzenen Trinkgefäßen, die einen fürstlichen Lebensstil reflektierten.

Gold hatte nicht nur ökonomischen Wert und war nicht nur das Material von Gegenständen, die Dominanz ausdrückten, sondern außerdem ein Metall, das mit Magie aufgeladen war und mit dem Heiligen und Göttlichen assoziiert wurde. Im Alten Ägypten wurde Gold als Fleisch des Sonnengottes Re und anderer Götter angesehen – Re war Gold und Gold war Re. Es wird nie stumpf. Es ist ein unzerstörbares und ewiges Metall.

Werden Ring und Gold kombiniert, werden die magischen Kräfte verstärkt. Der Kreis des Ringes symbolisiert Beständigkeit/Ewigkeit – genau wie das edle Metall. Heute, wenn wir Tolkiens „Herr der Ringe“ lesen oder Wagners „Der Ring des Nibelungen“ hören, können wir ein generelles Gefühl dafür bekommen, wie eng die soziale und religiöse Bedeutung des goldenen Ringes miteinander verbunden ist, von der Vergangenheit bis zur Gegenwart. Wenn man es strukturell betrachtet, könnte die Basis dieselbe gewesen sein wie in der Bronzezeit, als Götter und Fürsten miteinander kommunizierten und um großartige magische Ringe stritten, die die Herrschaft über große Gebiete gewährten.

Goldene Objekte waren oft mit Darstellungen und Symbolen von Sonnen verziert

Während der Nordischen Bronzezeit wurde das meiste Gold in Form geweihter Opfergaben deponiert, oft an hohen Hügeln, „heiligen Bergen“. Eine spektakulärer Typus ist der sogenannte Schwurring (900-700 vor Chr.). Etwa 150 dieser Armringe, von denen einige mehr als ein halbes Kilo wiegen, wurden in Dänemark, Schweden und Norwegen gefunden. Das Kerngebiet befindet sich auf den dänischen Inseln Fünen und Seeland.

In einem Feld in Boeslunde (Westseeland) sind zehn Schwurringe aufgetaucht. Solche Konzentrationen können als Zentren von Reichtum gesehen werden, aber sie könnten auch als religiöse Zentren oder Pilgerorte gesehen werden. In manchen Fällen stellt die Dekoration eine Assoziation mit der göttlichen Welt dar, da stilisierte Formen von Schiffen auf den Ringen auftauchen.

Viele andere Goldobjekte der Bronzezeit hängen eng mit Religion und Ritualen zusammen. Am bedeutendsten sind die zylinderförmigen Hüte aus Deutschland und Frankreich, reich dekoriert mit Sonnen- und Mond-Symbolen. Sie müssen die ultimativen Hüte von Priestern und Magiern gewesen sein. In Skandinavien hat man keine vergleichbaren Hüte gefunden, aber schwedische Felsritzungen zeugen von ihrer Verwendung.

In ganz Europa und darüber hinaus galten goldene Gefäße als Königssymbole. Nur „Könige“ und „Königinnen“ konnten als Zeichen der Gastfreundschaft ihren Reichtum bei Trinkgelagen und Zeremonien zur Schau stellen, bei denen (alkoholische) Getränke miteinander geteilt wurden. Solche Festlichkeiten waren mehr als nur Unterhaltung. Gastfreundschaft vorzuführen war eine religiöse Angelegenheit, es handelte sich dabei praktisch um ein „Sakrament“, das einen den Göttern näher brachte. Vor allem die goldenen Gefäße aus Norddeutschland und Südskandinavien (1100-900 v. Chr.) sind mit Darstellungen und Symbolen von Sonnen verziert und stehen daher im Zusammenhang mit Festen zu Ehren des höchsten Sonnengottes (allein in Dänemark sind 40 Gefäße bekannt).

Die religiösen Aspekte der goldenen Becher werden betont, wenn sie mit Henkeln in der Form von Pferdeköpfen ausgestattet sind – einer Repräsentation des Sonnenpferdes und seiner ewigen Reise. Außerdem ähnelt der Henkel einem mit einem Pferdekopf geschmückten Schiffsbug, wie man ihn von vielen Darstellungen der Nordischen Bronzezeit kennt. Diese goldenen Becher könnten Darstellungen des Sonnenschiffs sein.

Es ist verlockend, die Mythologie, die mit der Reise des griechischen Sonnengottes Helios verbunden ist, mit einzubeziehen. Er fuhr seinen goldenen Sonnenwagen, der von Pferden gezogen wurde, während des Tages über den Himmel. Am Beginn seiner nächtlichen Reise in den „Ozean der Unterwelt“ wechselte er sein Fahrzeug. Er betrat einen großen goldenen Becher, der als tassenförmige Sonnenbarke fungierte, und er segelte damit nachts, bis er bei Sonnenaufgang wieder in den Streitwagen wechselte.

Die prachtvollen goldenen Tassen des Nordens vermitteln uns einen Eindruck von der doppelten Bedeutung von Gold einmal in Bezug auf soziale Performance und Feiern und zum anderen auch in Bezug auf das Wissen um die Geheimnisse der Religion und des Sonnengottes. Auf faszinierende Art und Weise scheinen diese Becher die Ikonographie des Nordens mit den Schriftquellen des Mittelmeerraums zu kombinieren. Sie erlauben uns einen flüchtigen Eindruck von religiösen Ideen, die über riesige Distanzen geteilt wurden. Gold, Sonne und Schiff waren komplett miteinander verwoben als geheimnisvolle Dreifaltigkeit.

— Der Autor ist Kurator am Dänischen Nationalmuseum. Aus dem Englischen von Annika Brockschmidt
             

Frauenpower aus Spanien

Schräg. Die Diademe der vornehmen Frauen von El Argar in Spanien wurden als Krone oder wie auf dem Foto getragen.
Schräg. Die Diademe der vornehmen Frauen von El Argar in Spanien wurden als Krone oder wie auf dem Foto getragen.
In El Argar herrschten offensichtlich Fürstinnen
Sie hatten irgendwie schräge Vorstellungen, die vornehmen Damen von El Argar in der spanischen Provinz Almería. Diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man von ihrem Kopfschmuck ausgeht. Entdeckt wurde er Ende des 19. Jahrhunderts, als die Bergbauingenieure Louis und Henri Siret die zwei Hektar große Höhensiedlung El Argar mit etwa eintausend Gräbern fanden. Dabei stießen sie auf vier besonders reich ausgestattete Gräber von Frauen. Sie trugen Silberdiademe, die entweder als geschlossener Reif oder als offener Reif, aus dem sich in der Mitte ein scheibenförmiges Ornament erhebt, gearbeitet waren. Mal wurde dieses Diadem wie eine Krone auf dem Schädel getragen, mal wies das scheibenförmige Ornament nach unten und lag zwischen Stirn und Nase. Vergleichbare Gräber sind aus Europa um die Zeit 1750 bis 1550 vor Christus nicht bekannt. Diese Frauen waren Zeitgenossen der Besitzer der Himmelscheibe von Nebra.

Die Siedlung von El Argar ist „eine der sonderbarsten Hochkulturen der Bronzezeit Europas“, wie es Vicente Lull und seine Kollegen im Begleitbuch „Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra“ beschreiben. El Argar entstand bereits um 2200 vor Christus und wies eine reiche Keramik- und Metallproduktion auf. Bemerkenswert ist die ausdifferenzierte Bestattungskultur, an der man die strenge hierarchische Gliederung dieses Reiches erkennen kann. Anhand der Grabbeigaben konnte man eine starke soziale Ausdifferenzierung der Gesellschaft nachweisen. Es gab wenige Gräber mit einer sehr reichen Ausstattung. Etwa ein Drittel der Männer von El Argar wurde ohne Waffen bestattet, es handelte sich dabei wohl um Männer mit niedrigem Status. Daneben gab es Gräber der Mittelschicht, deren Mitglieder mit einfachen Grabbeigaben bestattet wurden.

Die Frau trug zwar nur Silber im Ohr, dafür aber ein Diadem

2014 wurde in der Höhensiedlung von La Almoyola in der Provinz Murcia eines der reichsten Gräber der Bronzezeit in Europa entdeckt. Bemerkenswert ist, dass dieses Grab eines Paares sich in einem 266 Quadratmeter großen Gebäude befand, das offensichtlich als Versammlungsraum diente, denn es fanden sich weder Speisereste noch rituelle Gegenstände, wohl aber lange Bänke entlang der Mauern. Der Mann von etwa 35 bis 40 Jahren trug zwar Ohrschmuck aus Gold, während der Ohrschmuck der zehn Jahre jüngeren Frau nur aus Silber bestand, doch dafür trug sie genau das gleiche Silberdiadem wie die vier Frauen von El Argar, wahrscheinlich aus der gleichen Werkstatt. Interessant ist, dass die Männer von El Argar zwar mit bedeutenden Waffen, nicht aber mit vergleichbaren Rangabzeichen wie sie die Diademe darstellen, bestattet wurden. Offensichtlich wurde das Reich von El Argar von Frauen regiert.

Lange konnte sich das Reich nicht halten. Die Siedlung von La Almoyola wurde um 1600 v. Chr. Opfer eines Brandes. Einige Jahrzehnte später wurde sie ganz aufgegeben. Die Ursache dafür ist nicht eindeutig geklärt. Sie könnte in inneren Unruhen auf Grund wachsender sozialer Spannungen oder Umweltveränderungen gelegen haben. Rolf Brockschmidt
Fotos: © LDA Sachsen-Anhalt, J. Lipták; © RMAH, Brussels
Erschienen im Tagesspiegel am 04.06.2021