Die aktuellen scharfen Debatten rund um die Covid-19-Impfung sind keineswegs neu. Bei den Masern etwa haben sich die gleichen Muster gezeigt. Die Wissenschaft erforscht seit Langem, welche Faktoren die Einstellung zur Vakzination beeinflussen. So kann es auch politische Unzufriedenheit sein
Von Adelheid Müller-Lissner
Die Impfquote sollte mindestens bei 95 Prozent liegen. Nur so sind auch die wenigen Menschen vor der Krankheit und ihren Komplikationen geschützt, die (noch) nicht geimpft werden dürfen. Zum Beispiel ganz kleine Babys.
Nein, hier ist ausnahmsweise mal nicht von Covid-19 die Rede. Es geht um die altbekannte „Kinderkrankheit“ Masern. Sie wird ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen. Neben dem Schutz des Einzelnen und seiner sozialen Umgebung gibt es in diesem Fall deshalb ein drittes Ziel: Man kann erreichen, dass das Virus überhaupt nicht mehr kursiert. Man kann es „ausrotten“. Dieser Status der Elimination gilt als erreicht, wenn über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr keine Übertragungsketten mehr nachweisbar sind. Dass das machbar ist, zeigte sich im Jahr 2020 bei den Röteln, einem anderen wohlbekannten Virus.
Und doch: Immer wieder gibt es Masern-Ausbrüche, bei denen Menschen in Gefahr geraten. Das Masernschutzgesetz, das in Deutschland Anfang März des Jahres 2020 (im Schatten der beginnenden Corona-Epidemie weitgehend unbemerkt) in Kraft trat, soll helfen, genau das zu verhindern: Kinder müssen einen vollständigen Impfschutz gegen die Masern nachweisen, bevor sie in die Kita und in die Schule kommen, das Personal dort braucht ebenfalls einen Immunschutz, der für die nach 1970 Geborenen in der Impfung besteht. So sollen alle optimal vor möglichen schwerwiegenden Folgen einer Masernerkrankung geschützt werden.
Doch kann man Menschen „zu ihrem Glück zwingen“? Vor- und Nachteile einer Impfpflicht für bestimmte Personengruppen werden aktuell in der Corona-Pandemie heftig diskutiert. Psychologin Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, und ihr Kollege Robert Böhm konnten bereits 2016 in einer Untersuchung, deren Ergebnisse im European Journal of Public Health erschienen sind, belegen, dass die Aussicht auf eine Impfpflicht bei Impfskeptikern zu Ärger und Wut führt – mit negativen Auswirkungen auf Teilnahmequoten bei anderen, nicht verpflichtenden Impfungen.
Auch erste Ergebnisse einer Befragung von Eltern und Erzieher:innen zum neuen Masernschutzgesetz legen nahe, dass Eltern, die das Gesetz als Beschränkung ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit empfinden, sich diese „Freiheit“ bei anderen Impfungen zurückholen.
Für dieses Evaluations-Projekt, das Wissenschaftler:innen des Robert Koch-Instituts (RKI) starteten, werden auch niedergelassene Ärzt:innen befragt. Grundsätzlich steht die Mehrheit einer Impfpflicht für Kinder und Mitarbeiter in Schulen und Kitas positiv gegenüber. Kinderärzt:innen sind aber etwas skeptischer als Erwachsenenmediziner, ob das neue Gesetz zum gewünschten Erfolg führen wird. Wenn es jedoch gelinge, den Eltern den Gemeinwohlaspekt vor Augen zu führen, könne man negative Einstellungen gegenüber der verpflichtenden Masernimpfung mindern, zeigen sich die am Projekt beteiligten Forscher überzeugt.
Nein, hier ist ausnahmsweise mal nicht von Covid-19 die Rede. Es geht um die altbekannte „Kinderkrankheit“ Masern. Sie wird ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen. Neben dem Schutz des Einzelnen und seiner sozialen Umgebung gibt es in diesem Fall deshalb ein drittes Ziel: Man kann erreichen, dass das Virus überhaupt nicht mehr kursiert. Man kann es „ausrotten“. Dieser Status der Elimination gilt als erreicht, wenn über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr keine Übertragungsketten mehr nachweisbar sind. Dass das machbar ist, zeigte sich im Jahr 2020 bei den Röteln, einem anderen wohlbekannten Virus.
Und doch: Immer wieder gibt es Masern-Ausbrüche, bei denen Menschen in Gefahr geraten. Das Masernschutzgesetz, das in Deutschland Anfang März des Jahres 2020 (im Schatten der beginnenden Corona-Epidemie weitgehend unbemerkt) in Kraft trat, soll helfen, genau das zu verhindern: Kinder müssen einen vollständigen Impfschutz gegen die Masern nachweisen, bevor sie in die Kita und in die Schule kommen, das Personal dort braucht ebenfalls einen Immunschutz, der für die nach 1970 Geborenen in der Impfung besteht. So sollen alle optimal vor möglichen schwerwiegenden Folgen einer Masernerkrankung geschützt werden.
Doch kann man Menschen „zu ihrem Glück zwingen“? Vor- und Nachteile einer Impfpflicht für bestimmte Personengruppen werden aktuell in der Corona-Pandemie heftig diskutiert. Psychologin Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, und ihr Kollege Robert Böhm konnten bereits 2016 in einer Untersuchung, deren Ergebnisse im European Journal of Public Health erschienen sind, belegen, dass die Aussicht auf eine Impfpflicht bei Impfskeptikern zu Ärger und Wut führt – mit negativen Auswirkungen auf Teilnahmequoten bei anderen, nicht verpflichtenden Impfungen.
Auch erste Ergebnisse einer Befragung von Eltern und Erzieher:innen zum neuen Masernschutzgesetz legen nahe, dass Eltern, die das Gesetz als Beschränkung ihrer persönlichen Entscheidungsfreiheit empfinden, sich diese „Freiheit“ bei anderen Impfungen zurückholen.
Für dieses Evaluations-Projekt, das Wissenschaftler:innen des Robert Koch-Instituts (RKI) starteten, werden auch niedergelassene Ärzt:innen befragt. Grundsätzlich steht die Mehrheit einer Impfpflicht für Kinder und Mitarbeiter in Schulen und Kitas positiv gegenüber. Kinderärzt:innen sind aber etwas skeptischer als Erwachsenenmediziner, ob das neue Gesetz zum gewünschten Erfolg führen wird. Wenn es jedoch gelinge, den Eltern den Gemeinwohlaspekt vor Augen zu führen, könne man negative Einstellungen gegenüber der verpflichtenden Masernimpfung mindern, zeigen sich die am Projekt beteiligten Forscher überzeugt.
„Wir sollten das Framing ändern“, fordert Psychologin Betsch
Bei Information und Aufklärung kommt Ärzten und Ärztinnen eine ganz besondere Bedeutung zu. Denn sie erscheinen vielen Menschen vertrauenswürdiger als „die Politik“. Das zeigen Daten aus einem aktuellen Gemeinschaftsprojekt von Universität Erfurt, RKI, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Leibniz-Institut für Psychologie, Science Media Center, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin und Yale Institute for Global Health. Für dieses „Covid-19 Snapshot Monitoring“ (Cosmo) werden Bürgerinnen und Bürger in kurzen Abständen zu Wissen, Risikowahrnehmung, Schutzverhalten und Vertrauen während des aktuellen Covid-19 Ausbruchsgeschehens befragt. In der letzten Befragung zeigte sich, dass Eltern die jüngste Empfehlung der Stiko für eine Impfung der 12- bis 18-Jährigen zwar wichtig finden, dass 61 Prozent von ihnen sich derzeit aber nicht ausreichend über Impfungen für ihre Kinder informiert fühlen. Kinder- und Jugendärzte haben hier eine besondere Aufgabe, ebenso wie Frauenärzt:innen, die Schwangere, Stillende und Frauen mit Kinderwunsch beraten müssen.
Besonders interessant an der letzten Cosmo-Befragung: 18 Prozent der befragten strikten Gegner der Corona-Impfung sagen, hier hätten sie endlich eine Möglichkeit, ihre politische Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. „Wir sollten dieses Framing umzudrehen versuchen und das Thema entpolitisieren“, fordert Psychologin Cornelia Betsch, die die Cosmo-Studie leitet. Ihr ist wichtig: „Es ist eine Gesundheitsentscheidung!“ Vor allem die Tatsache, dass die Impfung sehr wirksam vor schweren Verläufen der Erkrankung und vor einer Hospitalisierung schützt, müsse immer wieder herausgestellt werden.
Denn längst nicht alle, die (noch) keine Impfung gegen Corona haben, sind strikte Gegner:innen, denen man schwer mit Argumenten kommen kann. Der harte Kern der Impfgegner umfasst weniger als fünf Prozent der Bevölkerung. Immerhin ein Fünftel der bisher Ungeimpften gab an, prinzipiell zu einer Immunisierung bereit zu sein. Sie müssten sich nur dazu aufraffen. „Der Mensch ist von Natur aus faul“, kommentierte Psychologin Betsch das im Juli im Tagesspiegel-Interview. Neben verstärkter Aufklärung empfehlen sie und ihre Kollegen deshalb „aufsuchendes Impfen“, also Impfangebote an Orten, an denen die Menschen sich ohnehin einfinden. Das wird inzwischen vielfach realisiert.
Zu den Anreizen könne durchaus auch größere persönliche Freiheit zählen, denken Gesundheitsforscher. Man könne aber auch mit dem Argument punkten, dass es wichtig ist, sich zum Schutz besonders gefährdeter Mitmenschen impfen zu lassen. Diese Gesichtspunkte könnten auch das knappe Viertel der noch unentschlossenen Ungeimpften beeinflussen. Auch das gute Beispiel der anderen und das Gefühl, in guter Gesellschaft zu sein, könnten dazu motivieren, ebenfalls den Ärmel hochzukrempeln, betonte die Psychologin und Verhaltensökonomin Katrin Schmelz von der Uni Konstanz kürzlich. „Impfbereitschaft ist ansteckend, aber Impfskepsis ist auch ansteckend.“ Weil Menschen auch vom Herdentrieb geleitet sind, plädiert sie dafür, in Medienberichten deutlich zu kommunizieren, dass inzwischen die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Bürger:innen gegen Covid-19 geimpft ist. Von den 24,1 Millionen über 60-Jährigen sind es bereits 83,5 Prozent.
Was Masern betrifft, so wird die geforderte hohe Impfquote von 95 Prozent mit der ersten Immunisierung derzeit noch zu spät erreicht, den wichtigen zweiten Piks bekommen deutlich weniger Kinder: Die Quote vollständig immunisierter Dreijähriger betrug bei der letzten Auswertung der Krankenkassen-Daten 82,6 Prozent. Auch wenn das noch nicht ausreicht: Von solchen Mehrheiten können Politiker nur träumen.
Besonders interessant an der letzten Cosmo-Befragung: 18 Prozent der befragten strikten Gegner der Corona-Impfung sagen, hier hätten sie endlich eine Möglichkeit, ihre politische Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. „Wir sollten dieses Framing umzudrehen versuchen und das Thema entpolitisieren“, fordert Psychologin Cornelia Betsch, die die Cosmo-Studie leitet. Ihr ist wichtig: „Es ist eine Gesundheitsentscheidung!“ Vor allem die Tatsache, dass die Impfung sehr wirksam vor schweren Verläufen der Erkrankung und vor einer Hospitalisierung schützt, müsse immer wieder herausgestellt werden.
Denn längst nicht alle, die (noch) keine Impfung gegen Corona haben, sind strikte Gegner:innen, denen man schwer mit Argumenten kommen kann. Der harte Kern der Impfgegner umfasst weniger als fünf Prozent der Bevölkerung. Immerhin ein Fünftel der bisher Ungeimpften gab an, prinzipiell zu einer Immunisierung bereit zu sein. Sie müssten sich nur dazu aufraffen. „Der Mensch ist von Natur aus faul“, kommentierte Psychologin Betsch das im Juli im Tagesspiegel-Interview. Neben verstärkter Aufklärung empfehlen sie und ihre Kollegen deshalb „aufsuchendes Impfen“, also Impfangebote an Orten, an denen die Menschen sich ohnehin einfinden. Das wird inzwischen vielfach realisiert.
Zu den Anreizen könne durchaus auch größere persönliche Freiheit zählen, denken Gesundheitsforscher. Man könne aber auch mit dem Argument punkten, dass es wichtig ist, sich zum Schutz besonders gefährdeter Mitmenschen impfen zu lassen. Diese Gesichtspunkte könnten auch das knappe Viertel der noch unentschlossenen Ungeimpften beeinflussen. Auch das gute Beispiel der anderen und das Gefühl, in guter Gesellschaft zu sein, könnten dazu motivieren, ebenfalls den Ärmel hochzukrempeln, betonte die Psychologin und Verhaltensökonomin Katrin Schmelz von der Uni Konstanz kürzlich. „Impfbereitschaft ist ansteckend, aber Impfskepsis ist auch ansteckend.“ Weil Menschen auch vom Herdentrieb geleitet sind, plädiert sie dafür, in Medienberichten deutlich zu kommunizieren, dass inzwischen die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Bürger:innen gegen Covid-19 geimpft ist. Von den 24,1 Millionen über 60-Jährigen sind es bereits 83,5 Prozent.
Was Masern betrifft, so wird die geforderte hohe Impfquote von 95 Prozent mit der ersten Immunisierung derzeit noch zu spät erreicht, den wichtigen zweiten Piks bekommen deutlich weniger Kinder: Die Quote vollständig immunisierter Dreijähriger betrug bei der letzten Auswertung der Krankenkassen-Daten 82,6 Prozent. Auch wenn das noch nicht ausreicht: Von solchen Mehrheiten können Politiker nur träumen.
Tagesspiegel-Impfgipfel am 14. Oktober
Die Lehren aus der Pandemie
Seit es Impfen gibt, existieren auch Ängste und Widerstände dagegen. Schon gleich nach der ersten Pocken-Vakzination durch Edward Jenner 1796 kursierten Karikaturen, in denen Menschen Kuhköpfe wachsen. Doch die Covid-19-Pandemie und die durch sie forcierte Entwicklung von mRNA-Impfstoffen haben den Streit nochmal befeuert und eine Vielzahl neuer, im Grunde allerdings nur aufgewärmter Verschwörungsmythen hervorgebracht.
Doch in jeder Krise steckt eine Chance. Welche Lehren können wir ziehen für ein künftiges, besseres Impfmanagement? Wie können positive Entwicklungen in die Routine überführt werden? Das sind die Kernthemen des diesjährigen Tagesspiegel-Impfgipfels am 14. Oktober, der kostenlos im Livestream stattfindet. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir zwei Themenspezial-Seiten.
Nach einer Einführung von Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff werden unter anderem folgende Gäste sprechen:
■ Klaus Holotschek, Bayrischer Staatsminister für Gesundheit
■ Heidrun Thaiss, Honorarprofessorin, München
■ Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko)
■ Ute Teichert, Direktorin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen, Düsseldorf
Der Impfgipfel beginnt um 14 Uhr und endet um 16.30 Uhr. Registrierung und Teilnahme auf der Webseite https://veranstaltungen.tagesspiegel.de/Impfgipfel.
Doch in jeder Krise steckt eine Chance. Welche Lehren können wir ziehen für ein künftiges, besseres Impfmanagement? Wie können positive Entwicklungen in die Routine überführt werden? Das sind die Kernthemen des diesjährigen Tagesspiegel-Impfgipfels am 14. Oktober, der kostenlos im Livestream stattfindet. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir zwei Themenspezial-Seiten.
Nach einer Einführung von Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff werden unter anderem folgende Gäste sprechen:
■ Klaus Holotschek, Bayrischer Staatsminister für Gesundheit
■ Heidrun Thaiss, Honorarprofessorin, München
■ Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko)
■ Ute Teichert, Direktorin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen, Düsseldorf
Der Impfgipfel beginnt um 14 Uhr und endet um 16.30 Uhr. Registrierung und Teilnahme auf der Webseite https://veranstaltungen.tagesspiegel.de/Impfgipfel.
uba
Foto: David Young/dpa
Erschienen im Tagesspiegel am 30.09.2021
Erschienen im Tagesspiegel am 30.09.2021