75 Jahre Unicef

Einsatz nach Feierabend

Ein Ehrenamt bringt kein Geld, aber Wertschätzung. Und es birgt die Chance, den eigenen Horizont zu weiten. Eine Win-Win-Situation

Von Elisabeth Binder

Da sind die jungen Männer auf dem Land, die rund um die Uhr für die Freiwillige Feuerwehr in Bereitschaft sind. Oder die pensionierten Lehrer, die Flüchtlingen helfen, die deutsche Sprache zu lernen. Angestellte opfern ihre Mittagspause, um benachteiligten Kindern in Schulen Märchen vorzulesen. Die Grünen Damen im Krankenhaus übernehmen kleine Besorgungen für Bettlägerige, die niemals Besuch bekommen. Erfolgreiche Unternehmerinnen beraten in der Stadt die Kollegen, die junge Start-Ups auf den Markt bringen. Und so geht es immer weiter.

Nach einer Statistik von Allensbach sind in diesem Land derzeit 16,2 Millionen Menschen ehrenamtlich tätig. Laut dem Fünften Deutschen Freiwilligen Survey von 2019 könnten es mit knapp 29 Millionen Menschen sogar fast doppelt so viele sein. Wenn man sich die Gesellschaft ohne diese Ehrenamtlichen vorstellt, ist das, als nähme man die Farbe aus einem Bild heraus. Das gesellschaftliche Zusammenleben wäre viel trister.

Natürlich gibt es auch Kritik. Zu real ist die Gefahr eines schleichenden Prozesses, bei dem engagierten Menschen immer mehr Aufgaben aufgebürdet werden, die eigentlich von bezahlten Profis übernommen werden sollten. Und nicht jeder Einsatz ist vollkommen selbstlos, aber das ist eigentlich egal.

Studenten wissen, dass soziales Engagement im Lebenslauf bei der Suche nach dem Traumjob nützlich sein kann. Mit zunehmender Tendenz. Und mancher Ruheständler bekämpft vielleicht die eigene Einsamkeit und Leere mit einem Einsatz im Seniorenheim oder bei der Tafel für Bedürftige. Sehr viele Ehrenamtliche im besten Alter sind in Sportvereinen tätig. Kaum vorzustellen, wie viel unbeweglicher Kinder und Jugendliche ohne diese Helfer wären. Gerade die Pandemie hat neue Herausforderungen für engagierte Menschen geschaffen. Die Initiative Freischwimmen21 unterstützt Ehrenamtler dabei, Aktivitäten für Kinder und Jugendliche zu schaffen, die ihnen nach all den Verlusten durch Corona helfen können, wieder gestärkt und vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken.

Auch die Träger guter Herzen brauchen Motivation. Es gibt Anerkennungsveranstaltungen mit der Chance zum gegenseitigen Kennenlernen, zu denen zum Beispiel der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller seine Lesepaten einlädt.
An der Spitze der Motivatoren steht traditionell der Bundespräsident. In der Amtszeit von Joachim Gauck wurde das jährliche Sommerfest für die üblichen Honoratioren umgewandelt in ein Bürgerfest, bei dem sich ausgewählte Einrichtungen vorstellen. Da flanieren dann, wenn nicht gerade Corona herrscht, um die 4000 engagierte Bürger durch den Schlosspark Bellevue, um sich zu vernetzen und neue Ideen und Trends beim Engagement kennenzulernen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte jetzt am Tag des Ehrenamts noch einmal, wie sehr ihm dieser Tag am Herzen liege, weil er diejenigen ins Zentrum rücke, die als freie, engagierte Bürgerinnen und Bürger Verantwortung gegenüber ihrer Gemeinschaft übernähmen. In diesem Jahr stand er unter dem Motto „Engagement in der Einwanderungsgesellschaft“.

Das Thema Migration und Integration mache zwar nicht jeden Tag Schlagzeilen wie die dramatische Corona-Lage, so der Bundespräsident. Aber es sei nicht minder wichtig, da es für unsere Gesellschaft zum Zerreißen aktuell sei: „Wir wissen, wie notwendig es ist, dass Zugewanderte in diesem Land nicht nur leben und arbeiten, sondern Heimat finden und erfahren.“ An diesem Tag zeichnete Frank-Walter Steinmeier Menschen mit dem Bundesverdienstkreuz aus, die unter anderem Begleitung bei Behördengängen anbieten, Eltern und Kinder im Schulumfeld unterstützen, Freizeitangebote organisieren, Studierende fördern, die Frauen vor Gewalt schützen, medizinische wie psychologische Hilfe anbieten und dafür viele Stunden nach Feierabend und an Wochenenden einsetzen.

Nicht alle, die sich engagieren, können ein Bundesverdienstkreuz oder eine Einladung zum Neujahrsempfang des Bundespräsidenten bekommen. Aber sie erfahren auf verschiedenen Ebenen große Wertschätzung für das, was sie tun. Und die ist manchmal wichtiger als Geld.

Ein Ehrenamt birgt auch die Chance, den eigenen Horizont zu weiten, sich zu erproben, etwas Neues zu lernen und unter Umständen sogar Freundschaften zu knüpfen. Insofern ist freiwilliges Engagement eine Win-Win-Situation. Das erkennen auch mehr und mehr Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ermutigen, Ehrenämter zu übernehmen, weil genau diese Vorteile letztlich auch ihrem Unternehmen zugutekommen.

Auch Unicef bietet Ehrenamtlichen viele Möglichkeiten.
Foto: Robert Haas/p-a/SZ Photo
Erschienen im Tagesspiegel am 10.12.2021