Flucht, Vertreibung, Versöhnung

Ein sichtbares Zeichen in der Mitte Berlins

Kontroversen am Beginn, seither Kontinuität: Die Entstehungsgeschichte der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und die Architektur des Hauses

Von Bernhard Schulz

Die Aufarbeitung der jüngeren deutschen Vergangenheit ist ein unabgeschlossener Prozess. Mit dem 50. Jahrestag des Kriegsendes 1995 geriet auch das unmittelbar darauf folgende Kapitel der Flucht und Vertreibung von Millionen Deutschen aus den Ostgebieten des Reiches wie aus ganz Ostmitteleuropa in den Blick. Die Vertriebenenverbände, die ihre Aufgabe in der Erinnerung an verlorene Heimaten gesehen hatten, drängten auf eine angemessene Repräsentation in der sich mehr und mehr auffächernden Geschichtslandschaft der Bundesrepublik. Ihre Vorsitzende, die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, entwickelte mit dem SPD-Vordenker Peter Glotz, auch er mit seiner Familie aus dem Osten gekommen, das Konzept eines „Zentrums gegen Vertreibungen“. Es wurde heftig befehdet; der Vorwurf des Revisionismus, also einer auf territoriale Ansprüche gerichteten Politik, begleitete die Arbeit des „Zentrums“ von Anfang an. Dabei hätte die Zusammenarbeit der auf dem konservativen Flügel der CDU angesiedelten Steinbach mit dem in der linken SPD positionierten Glotz den Verdacht einseitiger Parteinahme im Grunde ausschließen müssen.

2005 nahmen CDU/CSU und SPD die Schaffung eines „sichtbaren Zeichens“ in den Koalitionsvertrag. Der Bundestag verabschiedete demgemäß das Gesetz zur Errichtung einer nationalen Dokumentationsstätte. Es war die Geburtsstunde der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Das in Berlin gelegene „Deutschlandhaus“, das nach dem Wiederaufbau um 1960 über lange Jahre eine von der Öffentlichkeit kaum mehr beachtete Ausstellung zur Vertreibung der Jahre ab 1944 beherbergt hatte, wurde 2008 als Sitz der Stiftung und ihr künftiger Ausstellungsort bestimmt.

Es lief dann aber doch nicht so rund, wie erwartet. Sowohl der 21-köpfige Stiftungsrat als auch der Wissenschaftliche Beraterkreis, in dem polnische und tschechische Mitglieder vertreten sein sollten, fand über Jahre zu keiner einvernehmlichen Arbeit. Bei ersterem wurde ein Übergewicht der Vertriebenenverbände beklagt, bei letzterem eine einseitig deutschfreundliche Sicht auf die Geschichte. Es kam zu unschönen Personalquerelen, zu Rücktritten und über die Medien lancierten Unterstellungen. Der damalige Bundes-Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), selbst aus Westpreußen stammend, hatte alle Mühe, die auseinanderdriftenden Fraktionen zusammenzuhalten.
Zudem war der Besetzung der Stiftungsleitung kein Glück beschieden. Der Gründungsdirektor Manfred Kittel verhob sich an einer ersten Wanderausstellung, die er von einer hierzulande unbekannten Produktionsfirma hatte erstellen lassen, und die zum hellen Entsetzen des Beraterkreises haarscharf an der von allen Beteiligten als salvatorischer Klausel beschworenen „Einbettung in den europäischen Kontext“ vorbeisegelte. Kittel musste Ende 2014 seinen Posten räumen. Die Suche nach einem Nachfolger geriet zur Posse aus Durchstechereien und Unterstellungen, aber auch zur Frage nach der Qualifikation der Bewerber.

Inzwischen war nach der Bundestagswahl 2013 mit Monika Grütters (CDU) eine neue Besetzung des Kulturstaatsministeramtes erfolgt, einerseits unbelastet von vergangenen Streitereien um die mittlerweile grollend in den Hintergrund gedrängte Parteifreundin Steinbach, andererseits neu genug, um ungebremst der Ranküne mancher Beteiligter ausgesetzt zu sein. Grütters fand dann in Gundula Bavendamm, der Leiterin des Alliiertenmuseums in Berlin-Zehlendorf, eine fachlich ausgewiesene, politisch unbelastete und zudem biografisch mit dem Vertriebenenschicksal verbundene Kandidatin.

Bavendamm trat Anfang 2016 ihr Amt an – und, wie es Grütters zur Berufung erhofft hatte, verschwand die Stiftung aus den „medialen Schützengräben“. Der Beraterkreis wurde neu aufgestellt, die Vertriebenenverbände arbeiten geräuschlos mit, und die Kontroversen der Anfangszeit flammten nicht wieder auf.

Am Grundkonzept hatte sich ohnehin nichts geändert. „Im historischen Kontext des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik mit ihren Folgen stellt die Vertreibung der Deutschen für die Stiftungsarbeit einen Schwerpunkt dar“, so formulierte es Grütters nach der Neubesetzung des Direktorenpostens: „In der Dauerausstellung ist sie dagegen der Schwerpunkt.“ Um die Worte „ein“ und „der“ und ihre Bedeutung für das Stiftungskonzept war zuvor heftig gerungen worden; nun stellte sich mehr und mehr heraus, dass es sich um Haarspalterei gehandelt hatte. Denn das Ausstellungskonzept, das in der Ägide Bavendamm konkretisiert wurde, wird beiden Gewichtungen gerecht.
Das liegt auch am Ausstellungsort selbst. Bereits 2011 war der Architekturwettbewerb für den Umbau des Deutschlandhauses veranstaltet worden. Die Gewinner eines von zwei ersten Preisen, das Büro Marte Marte Architekten aus dem österreichischen Vorarlberg, erhielt den Auftrag zur Realisierung. Ihr Entwurf sah vor, den historischen Bestand bis auf die straßenseitigen Raumfluchten und die Fassaden zu entfernen und durch einen räumlich durch eine gebäudehohe Fuge abgeteilten, annähernd quadratischen Neubau mit zwei ungeteilten Ausstellungsebenen zu ersetzen.

Mit beiden Ebenen lassen sich die Ausstellungsteile entsprechend realisieren, im ersten Obergeschoss „Zwangsmigration in Europa“ und im zweiten „Flucht und Vertreibung der Deutschen im europäischen Kontext“ samt dem Nachgang, „Vertriebene und Flüchtlinge in Deutschland nach 1945“. Beide Ausstellungsteile unterscheiden sich auch nach Art der Präsentation, im ersten Geschoss mit „medialen Inszenierungen“ und im zweiten mit Originalobjekten.

Wie bei neugeschaffenen historischen Museen üblich, war anfangs bezweifelt worden, dass eine repräsentative Sammlung aufgebaut werden könnte. Das Gegenteil trat ein. Zahlreiche authentische Objekte kamen bereits in den ersten Jahren der Stiftung zusammen, nicht zuletzt durch Enkel und Erben von Vertriebenen, die ihre persönlichen Erinnerungsstücke nunmehr im historischen Abstand öffentlich machen wollten. „Wir sind Teil eines Historisierungsprozesses“, erklärte Direktorin Bavendamm in diesem Zusammenhang. Von außen hatte man das längst so gesehen: Neil MacGregor, damals noch Direktor des British Museum, stellte 2016 an den Schluss seiner Ausstellung über Deutschland, „Erinnerungen einer Nation“, einen alten Handkarren als Symbol der Vertreibung. Er bedurfte keiner Erklärung, um verstanden zu werden.
Foto: Doris Spiekermann-Klaas
Erschienen im Tagesspiegel am 19.06.2021