Immer wieder entstehen aus ambitionierten Ideen große Unternehmen. Zwei Start-ups aus Berlin und Brandenburg sind offenbar schon auf dem richtigen Kurs

Von Carsten Holm

Sie sind beseelt von ihrer Geschäftsidee – auch wenn sie wissen, dass es mitunter ein weiter Weg zum Erfolg ist: 47 000 Start-ups gab es dem aktuellen Report der Kreditanstalt für Wiederaufbau zufolge in Deutschland 2020, vor Corona waren es noch 70 000. Ihr Durchschnittsalter ist laut Statista 2,5 Jahre, etwa jedes fünfte Unternehmen macht einen Umsatz bis 150 000 Euro. Durchschnittlich haben Start-ups 14,3 Mitarbeiter. In Berlin sind 17,7 Prozent angesiedelt, in Brandenburg nur ein Prozent.

ME ENERGY
Als der gebürtige Mannheimer Alexander Sohl, 31, und die Diplom-Ingenieurin Inés Adler, 63, ihr Start-up im Februar 2019 in Potsdam gründeten, konnten sie nicht ahnen, wie schnell sie Experten überzeugen würden: Ihre Idee, der Elektromobilität mit einem flächendeckenden Netz von CO2-neutralen Schnellladestationen, die unabhängig vom Stromnetz arbeiten, zum Durchbruch zu verhelfen, fand von Beginn an Unterstützer mit Rang und Namen. Als sogenannte Business Angels, wie die ersten Investoren in der Gründungsphase von Start-ups genannt werden, gewannen sie Helmut Bröker, den früheren Porsche-Chef in China, und Uwe Drechsel, einst Mitglied der Geschäftsführung der Helios Kliniken. Die Brandenburg Kapital GmbH, ein Beteiligungsfonds der Investitionsbank Brandenburgs (ILB), investierte maßgeblich, das Landeswirtschaftsministerium förderte die Entwicklung aus europäischen und aus Mitteln des Landes. 2019 zog die Firma ins Technologie- und Wissenschaftszentrum Wildau (Dahme-Spreewald).

Me energy stellte sich dem Wettbewerb mit einer Startfinanzierung von zwei Millionen Euro, davon stammten 1,2 Millionen aus Fördermitteln und 800 000 Euro aus Venture Capital, Risikokapital und privaten Investitionen. Mehrfach wurde das Start-up ein Fall für das Patentamt. Es meldete im Bereich der Energieumsetzung in Ladestationen inzwischen neun Patente an. Und es hagelte Auszeichnungen für das Konzept, das vor allem Elektrofahrzeugen aus der Ladenot helfen soll: 2018 gab es den StartGreen Award, ein Jahr später den Sonderpreis für Nachhaltigkeit und dem besten Konzept des Businessplan-Wettbewerbs Berlin-Brandenburg, 2020 den Innovationspreis beider Länder und den „Award Gründen“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Im Juli desselben Jahres dann der Markteintritt mit den ersten Pilot-Schnellladestationen, die Serienproduktion der Rapid Charger 150 soll demnächst beginnen. Die 38 Zentimeter langen, 17 Zentimeter breiten und 24 Zentimeter hohen metallfarbenen Boxen wiegen 7,5 Kilogramm und werden mit Bioethanol betrieben. Sie kosten mit einer Leistung von 150 Kilowatt in der Basisversion 129 000 Euro.
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Gute Ideen muss man haben. 2019 gründeten Alexander Sohl und Inés Adler (Bild u.) ihr Start-up Me Energy zunächst in Potsdam. Dann zog das Energietechnik-Unternehmen nach Wildau um. Daniel Seidel (Bild o.), Mitgründer des Berliner Start-ups LiveEO, bei Feld-Validierung der Satellitenanalyse am Netz der Deutschen Bahn.
Gute Ideen muss man haben. 2019 gründeten Alexander Sohl und Inés Adler (Bild u.) ihr Start-up Me Energy zunächst in Potsdam. Dann zog das Energietechnik-Unternehmen nach Wildau um. Daniel Seidel (Bild o.), Mitgründer des Berliner Start-ups LiveEO, bei Feld-Validierung der Satellitenanalyse am Netz der Deutschen Bahn.
Die Lieferzeit beträgt jetzt noch fünf Monate, mit stark abnehmender Tendenz. Ziel von Me Energy ist eine Lieferzeit von 100 Stunden. Das Start-up, das jetzt 20 Mitarbeiter beschäftigt, rechnet mit großer Nachfrage, weil das Stromnetz nicht an jedem Ort ausreichend Schnellladestrom zur Verfügung stelle, die Versorgung mit solchem Strom zu Spitzenzeiten nicht garantiert sei – und das Netz keinen hundertprozentigen Ökostrom liefere. „Netzgebunden besteht weiter Ladehemmung“, werben die Start-upler für ihre netzunabhängigen Aufladeboxen.

Zielgruppen sind nicht private Fahrer von E-Autos, für sie wären die Aufladeboxen wohl zu teuer. Nützen können sie dagegen Betreiber von Raststätten an Fernstraßen, großen Tankstellenketten, Bahnhöfen, Flughäfen, Autoherstellern und Autohäusern. Auch für Fahrzeugflotten von großen Unternehmen, Lieferdiensten oder Tourismusanbietern wären die mobilen Schnellladestationen aus Wildau hilfreich.

LIVEEO
Es ist wirklich kein Gag, mit dem die Erzählung einer spannenden Unternehmensgründung aufgelockert werden soll, es hat sich 2017 wirklich so zugetragen, schwört der 26-jährige Sven Przywarra: Als er mit dem sechs Jahre älteren Daniel Seidel in Berlin gemeinsam das Start-up LiveEO gründen wollte, habe sein Partner sein letztes Geld zusammenkramen müssen. „200 Euro waren das“, sagt Przywarra, „es reichte gerade für die Gebühren, die wir zahlen mussten. Der in Solingen aufgewachsene Nordrhein-Westfale hatte an der Berliner TU Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Entrepreneurship und Raumfahrttechnologie studiert, der Düsseldorfer Seidel in Aachen Luft- und Raumfahrttechnik. Sie lernten sich auf einer Raumfahrtkonferenz kennen, was sie offenbar zu einem Perspektivenwechsel brachte: fortan betrachteten sie die Welt von weit oben. Sie verschrieben sich den Daten, die Satelliten aufnehmen, beschlossen, sie flächendeckend auszuwerten und gründeten das Satelliten-Unternehmen „LiveEO“, wobei die Großbuchstaben für Earth Observation stehen. Ihre Geschäftsidee: Die Satelliten ihrer Kunden tasten Häuser, Bäume, Straßen und Flüsse ab, aber die entstandenen Datenmengen werden viel zu wenig genutzt. Die LiveEO-Experten, zu denen am Firmensitz im Centre for Entrepreneurship an der Berliner TU Raumfahrtingenieure, Geo-Experten und Wirtschaftsingenieure gehören, werten die Daten mit Hilfe Künstlicher Intelligenz aus und stellen etwa fest, wo sturmanfällige Bäume so nah an Bahngleisen stehen, dass sie umstürzen und die Strecke blockieren könnten oder Pipelines defekt sind.
Schnell zeichnete sich ab, dass Seidel und Przywarra auf der Erfolgsspur waren. Schon im September 2018 gewannen sie auf der Berliner „Startupnight“, einem der größten Events der jungen Branche, den Start Alliance Pitch Contest und nutzten das Preisgeld für eine Reise nach New York, um ihr Produkt auf dem amerikanischen Markt vorzustellen. Im Frühjahr begeisterten die Start-upler Investoren und erhielten den Zuschlag für das sogenannte Series-A-Investment in Höhe von 5,25 Millionen Euro. Es ermöglicht ihnen, ihre marktführende Lösung zur satellitengestützten Überwachung auszubauen und die Expansion zu beschleunigen.

Bald war mit der Deutschen Bahn der erste bedeutende Kunde gewonnen, E.ON folgte schnell. „LiveEO hat eine Lösung für Erdbeobachtungen großflächiger Gebiete entwickelt“, schreibt die Bahn AG auf ihrer Webseite. Das sei hilfreich, weil die Inspektionsteams Bahnstrecken in Wäldern begehen und Risikostellen überprüfen müssten, denn Schäden durch umgestürzte Bäume führten oft zu Betriebsstörungen. Durch die Satellitenbeobachtung wisse die Bahn jetzt, „wann und wo die Säge angesetzt werden muss“.
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Investitionsbank Berlin
Die technische Entwicklung verläuft rasant. Vor zwei Jahren brauchte LiveEO noch 14 Tage Rechenzeit, um das gesamte Netz der deutschen Bahn zu analysieren. Vor einem Jahr genügte den Experten ein Tag, inzwischen dauert es nur noch wenige Stunden - und das bei erheblicher Verbesserung der Genauigkeit. Heute können die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz Bäume entlang von Schienen erkennen, „morgen“, so Seidel, „können es Hausdächer in Kampala oder Schiffe auf dem Yangtze sein“. Letztlich „bauen wir an der Informations-Standleitung in den Orbit“. Zu den Profiteuren der Technologie zählen auch Versicherungen, die Objekte vollkommen ortsunabhängig und automatisiert bewerten wollen – und Bergbauunternehmen, die rechtzeitig vor Bodenbewegungen gewarnt werden wollen. Aus dem Orbit können die Berliner herausfinden, ob Brücken absacken oder ob illegale Abholzungen stattfinden. Daniel Seidel hat einen Traum. „Unser Ziel ist es, bis 2025 jedes bedeutende Infrastrukturnetzwerk weltweit zu überwachen.“
              

„Brandenburg hat einen guten Lauf“

Tillmann Stenger, Vorstandschef der Investitionsbank Brandenburg, über Innovationskraft, die Zusammenarbeit mit Berlin und den Tesla-Effekt

Herr Stenger, Sie haben seit 1991 am Aufbau der ILB mitgearbeitet, seit 2013 sind Sie Vorstandschef. Welche Meilensteine gab es hinsichtlich der Innovationskraft in der Hauptstadtregion?
Ein wichtiges Pfund ist, dass Berlin und Brandenburg und eben auch die Investitionsbanken eine gemeinsame Innovationsstrategie verfolgen. Auf dieser Grundlage entwickeln wir Förderprogramme. Für eine Metropolregion ist das wichtig, weil wir uns gegenseitig brauchen.

Wobei?
Es gibt viele Synergien, zum Beispiel beim Technologietransfer zwischen Berliner Forschungseinrichtungen und Brandenburger Unternehmen. Berliner Unternehmen benötigen oft Erweiterungsflächen, die es nicht in der Stadt, wohl aber in Brandenburg gibt. Und wir in Brandenburg profitieren stark von der Start-up-Szene in Berlin, die wir so nicht haben.

Entsteht Konkurrenz um Ansiedlungen?
Nein. Die Berliner und wir als Brandenburger Investitionsbank verstehen uns als Partner. So informieren wir uns, wenn Berliner Firmen eine Verlagerung nach Brandenburg planen und dafür Förderung beantragen wollen.

Ein Beispiel?
Es gibt viele. Die Veganz Group, ein Berliner Start-up...

... das sich von einem Kiezladen zu einer weltweit operierenden Marke mit rund 120 veganen Produkten entwickelt hat...

... wollte eine größere Produktionsstätte bauen, für die es in Berlin keine adäquate Fläche gab. Sie hat für diese Unternehmensphase eine Finanzierungsrunde mit elf Millionen Euro abgeschlossen, an der wir uns beteiligt haben. Nun entsteht in Werder (Havel) eine neue Stätte, und wir konnten dabei unterstützen.


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Tillman Stenger wurde 1959 in Siegen (Nordrhein-Westfalen) geboren. Seit 2013 ist der Diplom-Volkswirt Vorstandsvorsitzender der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB).

Von der Ansiedlung der Tesla Giga-Factory profitieren beide Bundesländer?
Absolut. Allein, dass eine so große Fabrik hierher nach Grünheide kommt, spricht für die Stärke unserer Metropolregion.

Wird es eine Art Tesla-Kick geben?
Tesla wird sich als Innovationsmotor für die gesamte Region erweisen. Ich glaube, dass wir hier in der nächsten Zeit sehr viele Unternehmenskonzepte rund um das Thema Elektromobilität sehen werden. Im Übrigen: Tesla-Gründer Elon Musk hat ja angekündigt, auch noch ein Forschungszentrum für Entwicklung und Design in Berlin aufzubauen.

Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, bewertet das Wachstum in der Region im ersten Halbjahr 2021 eher pessimistisch. Im Ländervergleich liege Berlin auf Platz neun, Brandenburg auf zwölf. Amsinck fordert bessere Rahmenbedingungen. Welche könnten das aus Ihrer Sicht sein?
Wir beschäftigen uns als Förderbank eher mit der strukturellen, nachhaltigen Entwicklung als mit konjunkturellen Schwankungen. In Brandenburg sind die Bedingungen gut, das Land hat einen guten Lauf. Neben seiner führenden Rolle bei den erneuerbaren Energien entsteht jetzt mit der Ansiedlung von Tesla, der BASF-Erweiterung und Rock Tech Lithium in Guben ein neuer Wirtschaftszweig rund um die Elektromobilität.

Was bedeutet das für die Region?
In der Umgebung solcher Firmen entwickelt sich immer viel. Und dann haben wir ein unglaublich großes Potential an Wissenschaftseinrichtungen, in Potsdam, Berlin und Brandenburg insgesamt. Darin sehe ich für die Region ein großes Potential zur Entwicklung neuer Produkte, Verfahren und Dienstleistungen. Und dort setzen wir wiederum auch mit unseren Fördermaßnahmen an.

Was können die Investitionsbanken tun, um solche Prozesse zu fördern?
Die Unternehmen wissen selbst am besten, was zu tun ist. Förderbanken können Anreize geben, um in wichtigen Innovationsfeldern privates Engagement zu fördern, etwa bei Künstlicher Intelligenz und Wasserstoff. Entscheidend ist aber, dass wir mit unseren Zuschuss- und Eigenkapitalprogrammen Risiken übernehmen, weil es sinnvoll ist, sie bei Innovationen auf mehrere Schultern zu verteilen.

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Institute wie das Hasso-Plattner-Institut (HPI) beraten Gründer gerade im IT-Bereich. Wie groß ist die Bedeutung der Thinktanks für die Gründerszene?
Die HPI ist für die Region ist von unschätzbarem Wert. Weil das Institut sehr wirtschaftsorientiert ist, funktioniert der Technologie-Transfer vorbildlich, es gibt ja auch mehrere Ausgründungen. Und den Seed-Fund des HPI. Entwickeln Studenten eine Idee, die in ein Geschäftsmodell münden könnten, erhalten sie aus diesem Fonds Geld. Zeichnet sich Erfolg ab, kommt der Frühphasen- und Wachstumsfonds der Brandenburg Kapital für die nächste Finanzierungsrunde dazu.

Ihre Zusammenarbeit mit dem HPI ist eng?
Unbedingt. Wir finanzieren Projekte gemeinsam. Davon profitiert haben etwa das Start-up Industrial Analytics GmbH, das Turbo-Kompressoren überwacht, und die Think Sono GmbH, die Software zur automatischen Diagnose von Venenthrombosen entwickelt. Wir sind auch selbst schon Kunde von aus dem HPI hervorgegangenen Unternehmen geworden, so beim Softwareunternehmen Signavio.

Nach welcher Zeit erweisen sich Förderungen als sinnvoll?
Investitionen im Risikokapital-Bereich sind immer langfristig orientiert. Das bedeutet, dass es natürlich auch immer mal wieder Ausfälle oder Misserfolge geben kann, die aber in der Regel im Risikokapitalfonds von den erfolgreichen Firmen kompensiert werden.

Die Förderpraxis der ILB stand immer wieder in der Kritik. Elf Millionen erhielt das dubiose Biotechunternehmen HBS in Luckenwalde, die ehemaligen Chefs wurden 2015 zu Haftstrafen verurteilt. 2012 war der 2018 verstorbene Hotelier Axel Hilpert wegen Steuerhinterziehung, Untreue und Betrugs zu fünf Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden, weil er sich 9,2 Millionen Euro Fördermittel für den Bau des Luxushotels „Resort Schwielowsee“ erschlichen hatte. Was hat die Bank daraus gelernt?
Im Fall HBS gab es externe Gutachter, die die Technologie und das Geschäftsmodell des Unternehmens als potentiell erfolgreich bewertet haben. Trotzdem hat niemand vorausgesehen, welche kriminelle Energie von den Geschäftsführern ausging. Vor Betrug kann man sich nicht zu 100 Prozent schützen. Wir haben aber als Learning aus den Fällen HBS und Schwielowsee unser internes Controlling und das Compliance-Office neu aufgestellt, um solche Fälle besser verhindern zu können, und für unsere Mitarbeiter spezielle Schulungen organisiert.

— Das Gespräch führte Carsten Holm
Fotos: Me Energy Gmbh/LiveEO, Ottmar Winter
Erschienen im Tagesspiegel am 22.10.2021