Das House of One vereint architektonisch die Vielfalt in der Einheit und greift dabei auf viele bedeutende Vorbilder zurück. Doch es verweigert sich jeder modischen Transparenz-Geste: Wer dieses Gebäude betritt, muss es betreten wollen
Von Bernhard Schulz
Ob Versammlungsraum, Gebetsstätte oder Gotteshaus – keine dieser Bauaufgaben besitzt eine für alle Zeiten gültige, vor allem auch liturgisch zwingende Form. Historisch betrachtet, haben alle nur denkbaren Gebäude und Innenräume einem solchen Zweck dienen können. Erst im Laufe der Zeit bildeten sich bestimmte, regional zudem unterschiedliche Formen heraus. Wie aber müssen eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge aussehen, wenn sie im 21. Jahrhundert neu errichtet werden, ausgerechnet in Berlin, der durch die besonderen Umstände ihrer Geschichte so unreligiös gewordenen Stadt?
Mit dieser Frage sahen sich die Teilnehmer des Wettbewerbs konfrontiert, den der Verein „Bet- und Lehrhaus Petriplatz e.V. 2011“ auslobte und der rund 200 Anfragen von interessierten Architekturbüros erhielt, von denen schließlich 38 teilnahmen. Erstaunlich genug, denn sakrale Bauten zählen nicht eben zu den Bauaufgaben, die es in Berlin regelmäßig zu bewältigen gibt. Und hier galt es, gleich drei Religionen buchstäblich unter ein Dach zu bekommen. Ein Haus mit drei Andachtsräumen und einem Gemeinschaftsraum sollte entstehen, zudem die archäologischen Ausgrabungen, die in den vorangegangenen Jahren sehr zur Überraschung der Stadtplaner reiches Material aus der Frühzeit Berlins erbracht hatten, in situ belassen und zugänglich machen.
2012 wählte die Jury den Beitrag von Kuehn Malvezzi zum Sieger aus, einem Berliner Büro, das vor allem mit Umbauten von Museen und Sammlungspräsentationen Furore gemacht hat. Ihr Entwurf sieht einen in hellem Klinker verkleideten Baukörper vor, der sich von außen nicht als Hülle für drei unterschiedliche Sakralräume zu erkennen gibt, sondern, seinem vorgegebenen Titel als „House of One“ gemäß, die Vielheit in der Einheit zum Ausdruck bringt.
Freilich greifen Kuehn Malvezzi durchaus zu architekturhistorischen Vorbildern oder besser gesagt, Anleihen, indem sie dem christlichen Saal einen längsrechteckigen, dem islamischen einen quadratischen und dem jüdischen einen trapezförmigen Grundriss zuordnen.
Vielleicht aber sind die Gebetssäle nicht gar so wichtig, ordnen sie sich doch um einen Zentralraum, dessen kreisförmige, noch dazu von einer vollrunden Kuppel überwölbte Gestalt den Kerngedanken des Projekts baulich erfahrbar macht, eben den der „Einheit“ der drei monotheistischen oder genauer, abrahamitischen Religionen. Von diesem, von pfeilerartigem Mauerwerk umstandenen Raum gehen Treppen sowohl zum Dach als auch zum Untergeschoss ab. Drunten sind die archäologischen Fundstücke zu besichtigen. Dass sie die vielhundertjährige Geschichte als Standort der ältesten nachweisbaren Kirche Berlins, eben der Petrikirche, aufrufen, bringt zugleich zu Bewusstsein, dass das House of One nicht auf der wüsten und leeren Fläche des Parkplatzes entsteht, den die DDR hinterlassen hatte, sondern auf einem christlich-sakral genutzten Zentralort der Stadtgeschichte.
Die evangelische Gemeinde St.Petri-St.Marien hatte das Grundstück, dass das DDR-Regime ihr Anfang der 1960er Jahre abgepresst hatte, um eine vielspurige Autostraße und einen Parkplatz anzulegen, nicht zurückhaben, noch weniger einen Kirchenbau für die geschrumpfte Gemeinde errichten wollen. So erst kam es zur Vision des House of One als einem Stück Stadt- wie eben auch Bewusstseinsreparatur. Der Vorzug des Entwurfs von Kuehn Malvezzi – wie auch anderer Beiträge des Wettbewerbs – besteht darin, architektonisch uneindeutig genug zu sein, um die Majorisierung der beteiligten Religionsgemeinschaften etwa durch zu deutlichen Bezug auf das christliche Kirchbauerbe auszuschließen. Das House of One, so hat es einer der Architekten von Kuehn Malvezzi gesagt, soll ein Haus für „Menschen ohne einen klaren Glauben sein, die sich zwischen den Religionen beheimatet fühlen“. Die Nicht-Erkennbarkeit, die der zugleich einladenden wie ungewöhnlichen Architektur ihres Entwurfs eigen ist, zielt auf jene Unentschiedenheit, die wohl das Gros der künftigen Besucher kennzeichnen dürfte. Dabei enträt der äußerlich geschlossene Mauerwerksbau jeder modischen Transparenz-Geste: Der Passant wird nicht etwa durch große Glasscheiben quasi hineingezogen. Wer dieses Gebäude betritt, muss es schon betreten wollen.
Im Inneren wird der Besucher durch vielfältige Raumformen gebannt. Die Renderings, die das Architekturbüro vorlegt, zeigen maßvoll von oben belichtete Räume. Das darf durchaus wohl metaphorisch gedeutet werden: Hier ist der Besucher dem Himmel nahe. Noch näher dann auf der Dachterrasse, die von dicht gestellten Streben umstellt ist. Sie bilden eine Turmgestalt, die das kosmopolitische Berliner Publikum womöglich eher an die Windtürme orientalischer Wohnbauten denken lässt als an herkömmliche Kirchtürme oder auch Minarette.
Übrigens kann dieser Dachaufbau bis zu einem zweiten Bauabschnitt zurückgestellt werden; was indessen nicht zu hoffen ist, denn der Entwurf lebt von dem Gegensatz von geschlossenen und durchbrochenen Wandflächen, etwa am Synagogen-Bauteil mit seinen diagonal versetzt angeordneten Öffnungen in der Größe eines oder mehrerer Ziegel. Die Längsrichtung des Bauwerks entlang der Straße – was die Wiedergewinnung des einstigen Petriplatzes als Stadtplatz wohl ausschließt– verlangt nach einem vertikalen Gegengewicht, auch, um den Bau aus der Ferne erkennbar zu machen.
Mit dieser Frage sahen sich die Teilnehmer des Wettbewerbs konfrontiert, den der Verein „Bet- und Lehrhaus Petriplatz e.V. 2011“ auslobte und der rund 200 Anfragen von interessierten Architekturbüros erhielt, von denen schließlich 38 teilnahmen. Erstaunlich genug, denn sakrale Bauten zählen nicht eben zu den Bauaufgaben, die es in Berlin regelmäßig zu bewältigen gibt. Und hier galt es, gleich drei Religionen buchstäblich unter ein Dach zu bekommen. Ein Haus mit drei Andachtsräumen und einem Gemeinschaftsraum sollte entstehen, zudem die archäologischen Ausgrabungen, die in den vorangegangenen Jahren sehr zur Überraschung der Stadtplaner reiches Material aus der Frühzeit Berlins erbracht hatten, in situ belassen und zugänglich machen.
2012 wählte die Jury den Beitrag von Kuehn Malvezzi zum Sieger aus, einem Berliner Büro, das vor allem mit Umbauten von Museen und Sammlungspräsentationen Furore gemacht hat. Ihr Entwurf sieht einen in hellem Klinker verkleideten Baukörper vor, der sich von außen nicht als Hülle für drei unterschiedliche Sakralräume zu erkennen gibt, sondern, seinem vorgegebenen Titel als „House of One“ gemäß, die Vielheit in der Einheit zum Ausdruck bringt.
Freilich greifen Kuehn Malvezzi durchaus zu architekturhistorischen Vorbildern oder besser gesagt, Anleihen, indem sie dem christlichen Saal einen längsrechteckigen, dem islamischen einen quadratischen und dem jüdischen einen trapezförmigen Grundriss zuordnen.
Vielleicht aber sind die Gebetssäle nicht gar so wichtig, ordnen sie sich doch um einen Zentralraum, dessen kreisförmige, noch dazu von einer vollrunden Kuppel überwölbte Gestalt den Kerngedanken des Projekts baulich erfahrbar macht, eben den der „Einheit“ der drei monotheistischen oder genauer, abrahamitischen Religionen. Von diesem, von pfeilerartigem Mauerwerk umstandenen Raum gehen Treppen sowohl zum Dach als auch zum Untergeschoss ab. Drunten sind die archäologischen Fundstücke zu besichtigen. Dass sie die vielhundertjährige Geschichte als Standort der ältesten nachweisbaren Kirche Berlins, eben der Petrikirche, aufrufen, bringt zugleich zu Bewusstsein, dass das House of One nicht auf der wüsten und leeren Fläche des Parkplatzes entsteht, den die DDR hinterlassen hatte, sondern auf einem christlich-sakral genutzten Zentralort der Stadtgeschichte.
Die evangelische Gemeinde St.Petri-St.Marien hatte das Grundstück, dass das DDR-Regime ihr Anfang der 1960er Jahre abgepresst hatte, um eine vielspurige Autostraße und einen Parkplatz anzulegen, nicht zurückhaben, noch weniger einen Kirchenbau für die geschrumpfte Gemeinde errichten wollen. So erst kam es zur Vision des House of One als einem Stück Stadt- wie eben auch Bewusstseinsreparatur. Der Vorzug des Entwurfs von Kuehn Malvezzi – wie auch anderer Beiträge des Wettbewerbs – besteht darin, architektonisch uneindeutig genug zu sein, um die Majorisierung der beteiligten Religionsgemeinschaften etwa durch zu deutlichen Bezug auf das christliche Kirchbauerbe auszuschließen. Das House of One, so hat es einer der Architekten von Kuehn Malvezzi gesagt, soll ein Haus für „Menschen ohne einen klaren Glauben sein, die sich zwischen den Religionen beheimatet fühlen“. Die Nicht-Erkennbarkeit, die der zugleich einladenden wie ungewöhnlichen Architektur ihres Entwurfs eigen ist, zielt auf jene Unentschiedenheit, die wohl das Gros der künftigen Besucher kennzeichnen dürfte. Dabei enträt der äußerlich geschlossene Mauerwerksbau jeder modischen Transparenz-Geste: Der Passant wird nicht etwa durch große Glasscheiben quasi hineingezogen. Wer dieses Gebäude betritt, muss es schon betreten wollen.
Im Inneren wird der Besucher durch vielfältige Raumformen gebannt. Die Renderings, die das Architekturbüro vorlegt, zeigen maßvoll von oben belichtete Räume. Das darf durchaus wohl metaphorisch gedeutet werden: Hier ist der Besucher dem Himmel nahe. Noch näher dann auf der Dachterrasse, die von dicht gestellten Streben umstellt ist. Sie bilden eine Turmgestalt, die das kosmopolitische Berliner Publikum womöglich eher an die Windtürme orientalischer Wohnbauten denken lässt als an herkömmliche Kirchtürme oder auch Minarette.
Übrigens kann dieser Dachaufbau bis zu einem zweiten Bauabschnitt zurückgestellt werden; was indessen nicht zu hoffen ist, denn der Entwurf lebt von dem Gegensatz von geschlossenen und durchbrochenen Wandflächen, etwa am Synagogen-Bauteil mit seinen diagonal versetzt angeordneten Öffnungen in der Größe eines oder mehrerer Ziegel. Die Längsrichtung des Bauwerks entlang der Straße – was die Wiedergewinnung des einstigen Petriplatzes als Stadtplatz wohl ausschließt– verlangt nach einem vertikalen Gegengewicht, auch, um den Bau aus der Ferne erkennbar zu machen.
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Der 1964 endgültig abgeräumte, zuvor im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte Kirchenbau von St. Petri stammte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und war in neugotischen Formen gehalten. Die Gotik mit ihrer Auflösung der Wand in möglichst große Fensterflächen bot Kuehn Malvezzi keinen Anhaltspunkt. Eher mag es eine gewisse Orientierung an den Kirchenneubauten im Westteil Berlins gegeben haben: Unter anderem die Bauten des in diesem Jahr gefeierten Werner Düttmann zeigen jene blockhafte Geschlossenheit, die beim House of One in differenzierter Form wiederkehrt. Weitere Anregungen mögen von den Synagogen gekommen sein, die in den zurückliegenden Jahren in Deutschland neu errichtet worden sind, etwa in Dresden oder München, die eher eine additive Verbindung geschlossener, meist würfelförmiger Baukörper zeigen. Und könnte man nicht, beim Bild des in sich differenzierten, nach außen geschlossenem Baukörpers mit hoch aufragendem Ausguck, an den Bautyp der Burg denken – von wo aus die Assoziation der „festen Burg“ des Glaubens nicht weit wäre?
Das Motiv der Beleuchtung durch kleine Lichtöffnungen, durch hoch liegende Fensterbänder oder Öffnungen im Dach ist seit dem ganzen 20. Jahrhundert im Sakralbau gängig und vielfach variiert worden, von Le Corbusiers Wallfahrtskirche in Ronchamp über Kenzo Tanges Tokioter Kathedrale bis zur Wiener Donaucity-Kirche von Heinz Tesar aus dem Epochenjahr 2000. Der kreisrunde, durch an Säulen gemahnende Mauerwerkspfeiler umstellte Zentralraum des Berliner Entwurfs schließlich lässt ans Innere der beiden Türme denken, die der Barockbaumeister Gontard auf dem Gendarmenmarkt zu städtebaulicher Zier errichtete.
Und darum geht es auch beim House of One: um das Stadtbild. Es ist an dieser Stelle, die doch einen Zentralort der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cölln bezeichnet, so zerstört wie selten sonst, und das will wahrlich etwas heißen. Nichts mehr ist aufzufinden von dem reichen städtischen Gewebe, das Fotografien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festhalten.
Im heutigen Einerlei diesen Areals aus Bürobauten, Hotels, hochragenden Wohntürmen in gleichartiger Ausführung kommt dem House of One eine besondere Bedeutung zu. Es ist ein Stück dessen, was Stadt ausmacht und sie über eine beliebige Ansammlung von Zweckbauten hinaushebt.
Das Motiv der Beleuchtung durch kleine Lichtöffnungen, durch hoch liegende Fensterbänder oder Öffnungen im Dach ist seit dem ganzen 20. Jahrhundert im Sakralbau gängig und vielfach variiert worden, von Le Corbusiers Wallfahrtskirche in Ronchamp über Kenzo Tanges Tokioter Kathedrale bis zur Wiener Donaucity-Kirche von Heinz Tesar aus dem Epochenjahr 2000. Der kreisrunde, durch an Säulen gemahnende Mauerwerkspfeiler umstellte Zentralraum des Berliner Entwurfs schließlich lässt ans Innere der beiden Türme denken, die der Barockbaumeister Gontard auf dem Gendarmenmarkt zu städtebaulicher Zier errichtete.
Und darum geht es auch beim House of One: um das Stadtbild. Es ist an dieser Stelle, die doch einen Zentralort der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cölln bezeichnet, so zerstört wie selten sonst, und das will wahrlich etwas heißen. Nichts mehr ist aufzufinden von dem reichen städtischen Gewebe, das Fotografien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festhalten.
Im heutigen Einerlei diesen Areals aus Bürobauten, Hotels, hochragenden Wohntürmen in gleichartiger Ausführung kommt dem House of One eine besondere Bedeutung zu. Es ist ein Stück dessen, was Stadt ausmacht und sie über eine beliebige Ansammlung von Zweckbauten hinaushebt.
Der abgerissene Faden
Ein Rundgang um den Petriplatz
Wer Berlins Mitte erkundet, braucht starke Nerven. Kaum eine andere Stadt von Rang hat sich in einem Akt masochistischer Selbstverstümmelung ihr Herz so bereitwillig ausgerissen, ihren Ursprungsort so vollständig ausgelöscht. Am Petriplatz, wo das House of One entsteht, ist nichts mehr zu spüren von dem, was hier einmal existiert hat und bis 1945 im Straßenbild sehr gut ablesbar war: die Keimzelle Cöllns und damit der ganzen Stadt. Sie wurde ausradiert wie Buchstaben aus einem Blatt Papier.
Wir befinden uns auf einer Insel in der Spree. Während der nördliche Teil lange sumpfig war und erst spät bebaut wurde, ist der Südteil, die so genannte Fischerinsel, geologisch aus trockenerem, sandigen Boden zusammengesetzt, weshalb die Besiedelung hier zuerst begann. Und an der höchstgelegenen Stelle der Insel wurde die erste Petrikirche errichtet, geweiht dem Schutzpatron der Fischer. Die urkundliche Erwähnung eines dort tätigen Pfarrers Symeon („Symeon plebanus de Colonia“) 1237 dient bis heute als Grundlage aller Jubiläumsfeiern Berlins, auch der anstehenden 800-Jahr-Feier. Dabei ist längst klar, dass die Siedlung älter ist, mittels Radiokarbonmethode wurden Balken im Erdreich auf 1150 datiert. Die Archäologin Claudia Melisch hat hier mit ihrem Team mehrere Jahre gegraben und dabei exakt 3210 Gräber mit Gebeinen von 3778 Menschen freigelegt. Im Mittelalter wurden Verstorbene noch nicht außerhalb der Stadtmauern bestattet, sondern mittendrin. „Im Umfeld der Petrikirche gab es eine Riesenwolke aus Gräbern, die sich bis unter die heutige Gertraudenstraße zieht“, erklärt Melisch.
Diese von der DDR in den 60er Jahren durch die kriegsruinierte Stadtlandschaft gebrochene maßlos breite Magistrale – einst regional bedeutsamer Handelsweg von Halle und Wittenberg zur Oder, der hier, an einer schmalen und flachen Stelle des Urstromtals, die Spree quert – ist heute das größte Problem des Viertels. Noch ist unklar, was mit ihr geschieht, ob sie zurückgebaut wird wie die Grunerstraße auf der anderen Seite des Mühlendamms. Dort, im Rücken des Berliner Rathauses, wird ein ganzes Stadtviertel um den Molkenmarkt auf historischem Grundriss neu entstehen.
Wir befinden uns auf einer Insel in der Spree. Während der nördliche Teil lange sumpfig war und erst spät bebaut wurde, ist der Südteil, die so genannte Fischerinsel, geologisch aus trockenerem, sandigen Boden zusammengesetzt, weshalb die Besiedelung hier zuerst begann. Und an der höchstgelegenen Stelle der Insel wurde die erste Petrikirche errichtet, geweiht dem Schutzpatron der Fischer. Die urkundliche Erwähnung eines dort tätigen Pfarrers Symeon („Symeon plebanus de Colonia“) 1237 dient bis heute als Grundlage aller Jubiläumsfeiern Berlins, auch der anstehenden 800-Jahr-Feier. Dabei ist längst klar, dass die Siedlung älter ist, mittels Radiokarbonmethode wurden Balken im Erdreich auf 1150 datiert. Die Archäologin Claudia Melisch hat hier mit ihrem Team mehrere Jahre gegraben und dabei exakt 3210 Gräber mit Gebeinen von 3778 Menschen freigelegt. Im Mittelalter wurden Verstorbene noch nicht außerhalb der Stadtmauern bestattet, sondern mittendrin. „Im Umfeld der Petrikirche gab es eine Riesenwolke aus Gräbern, die sich bis unter die heutige Gertraudenstraße zieht“, erklärt Melisch.
Diese von der DDR in den 60er Jahren durch die kriegsruinierte Stadtlandschaft gebrochene maßlos breite Magistrale – einst regional bedeutsamer Handelsweg von Halle und Wittenberg zur Oder, der hier, an einer schmalen und flachen Stelle des Urstromtals, die Spree quert – ist heute das größte Problem des Viertels. Noch ist unklar, was mit ihr geschieht, ob sie zurückgebaut wird wie die Grunerstraße auf der anderen Seite des Mühlendamms. Dort, im Rücken des Berliner Rathauses, wird ein ganzes Stadtviertel um den Molkenmarkt auf historischem Grundriss neu entstehen.
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Am Petriplatz ist dergleichen nicht abzusehen. Doch auch hier tut sich etwas. Direkt neben dem künftigen House of One, auf dem Gelände der einstigen Lateinschule (in der nicht Latein, sondern auf Latein unterrichtet wurde), ist das Archäologische Haus im Bau, östlich davon steht bereits das Hotel Capri by Fraser, dessen Kubatur das frühere Köllnische Rathaus zumindest zitieren soll – Fundamente davon sind im Untergeschoss zugänglich. Ansonsten aber ist die Gegend mit dem Adjektiv „grauenvoll“ recht angemessen beschrieben. Als wolle sie es dem Friedhof, auf dem sie liegt, gleichtun, begräbt die monströse Gertraudenstraße alle Geschichte unter sich. Dasselbe tun die gleichförmigen Scheibenhochhäuser, denen in den 1960er Jahren der noch recht gut erhaltene Fischerkietz zum Opfer fiel. Dies könnte das pulsierende Herz einer Metropole, Berlins Île de la Cité sein – doch frühere Städtebaugenerationen haben anders entschieden und einer austauschbaren Schlafstadtbesiedlung den Vorzug gegeben. Und das, was an interessanter, erhaltenswerter Architektur vorhanden war, vor allem die legendäre Gaststätte Ahornblatt, ist 2000 auch noch abgerissen worden. Auf der Fischerinsel hat die Stadtentwicklung der Moderne eine schlimme Wendung genommen.
Auf historischen Fotos wird eindrucksvoll deutlich, dass die vierte und letzte Petrikirche von 1853 mit ihrem himmelsstürmenden 111 Meter hohen Turm lange Zeit das höchste Bauwerk Berlins war. Erbauer Heinrich Strack wusste noch um die Bedeutung des Ortes. „Er hatte auf der Akropolis in Griechenland gelernt und wollte einen klaren Pin im Stadtbild setzen: Hier ist Berlins Geburtsstätte“, erklärt Claudia Melisch. Das House of One könnte den abgerissenen Faden dieser Geschichte wieder aufgreifen. Udo Badelt
Auf historischen Fotos wird eindrucksvoll deutlich, dass die vierte und letzte Petrikirche von 1853 mit ihrem himmelsstürmenden 111 Meter hohen Turm lange Zeit das höchste Bauwerk Berlins war. Erbauer Heinrich Strack wusste noch um die Bedeutung des Ortes. „Er hatte auf der Akropolis in Griechenland gelernt und wollte einen klaren Pin im Stadtbild setzen: Hier ist Berlins Geburtsstätte“, erklärt Claudia Melisch. Das House of One könnte den abgerissenen Faden dieser Geschichte wieder aufgreifen. Udo Badelt
Die Grundsteinlegung
Eine Idee wird Wirklichkeit
Am Donnerstag, 27. Mai, wird in einem feierlichen Akt der Grundstein zum House of One gelegt. Zur Zeremonie sind coronabedingt keine Gäste zugelassen, sie wird aber auf www.house-of-one.org live gestreamt. Neben den direkt am Projekt beteiligten drei Geistlichen wollen auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller teilnehmen. Azza Karam, Generalsekretärin der Organisation Religions for Peace, wird eine digitale Grußbotschaft aus New York senden.
Das Programm:
■ 9 Uhr
Morgengebet aus der Kultur Akademie mit Imam Kadir Sanci
■ 10.30 – 11 Uhr
10 Jahre House of One – von der Idee bis zum Grundstein.
■ 11 Uhr
Festakt mit dem Versenken der Kapsel
■ 12 – 12.15 Uhr
Grußbotschaften aus aller Welt
■ 13 Uhr
Mittagsgebet aus der Marienkirche mit Pfarrer Gregor Hohberg
■ 15 Uhr
Digitale Fragestunde (Anmeldung: grundsteinlegung@house-of-one.org
■ 18 Uhr
Festvortrag von Wilhelm Schmid: „Religionen geben Antworten – aber was ist die Ausgangsfrage?“
■ 19 Uhr
Abendsegen, Synagoge Sukkat Shalom mit Rabbiner Andreas Nachama
Das Programm:
■ 9 Uhr
Morgengebet aus der Kultur Akademie mit Imam Kadir Sanci
■ 10.30 – 11 Uhr
10 Jahre House of One – von der Idee bis zum Grundstein.
■ 11 Uhr
Festakt mit dem Versenken der Kapsel
■ 12 – 12.15 Uhr
Grußbotschaften aus aller Welt
■ 13 Uhr
Mittagsgebet aus der Marienkirche mit Pfarrer Gregor Hohberg
■ 15 Uhr
Digitale Fragestunde (Anmeldung: grundsteinlegung@house-of-one.org
■ 18 Uhr
Festvortrag von Wilhelm Schmid: „Religionen geben Antworten – aber was ist die Ausgangsfrage?“
■ 19 Uhr
Abendsegen, Synagoge Sukkat Shalom mit Rabbiner Andreas Nachama
Simulation: Kuehn Malvezzi; Fotos: akg, Andreas Mühl
Erschienen im Tagesspiegel am 26.05.2021
Erschienen im Tagesspiegel am 26.05.2021