Future Mobility 2021

Wer will was mit wem?

Kein Geld für neue Straßen, ein Verbot von Verbrennern und eine Neuordnung der Deutschen Bahn? Was die Parteien nach der BUNDESTAGSWAHL vorhaben und was Wähler:innen erwarten

Von Jens Tartler

Die Strategie der politischen Konkurrenz, die Grünen als „Verbotspartei“ zu brandmarken, könnte verfangen. Fragt man die Bevölkerung, welche Aufgaben in der Verkehrspolitik die nächste Bundesregierung anpacken sollte, kommen Einschnitte ganz schlecht an. Ein Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor befürworten nur 6,9 Prozent, autofreie Innenstädte lediglich 17,5 Prozent (siehe Grafik). Selbst ein auf den ersten Blick unverfängliches Vorhaben wie der Ausbau von Radwegen kommt in einer repräsentativen Civey-Umfrage für den Tagesspiegel nur auf ein Drittel Zustimmung. Möglicherweise haben die Autofahrer: innen Sorge, dass ihnen Straßenraum genommen werden soll.

Mehr Wasserstofftankstellen möchte ebenfalls ein Drittel der Menschen – der Ausbau der H2-Infrastruktur tut niemandem weh. Auch mehr Reisende und Güter auf der Schiene zu transportieren ist nicht strittig, knapp 55 Prozent stimmen zu.

Schaut man sich die Feinauswertung der Umfrage nach Parteipräferenzen an, erlebt man keine Überraschungen: 1,0 Prozent der Anhänger:innen von CDU und CSU sind für ein Verbrennerverbot. Bei der AfD sind es kaum noch messbare 0,2 Prozent. Selbst die Grünen-Wähler:innen sind mit 17 Prozent Zustimmung weniger radikal als gedacht. Bei SPD, FDP und Linken liegen die Werte zwischen knapp vier und gut sechs Prozent.

Den Ausbau von Wasserstofftankstellen würden 35 Prozent der AfD-Anhänger:innen und 44 Prozent der Unterstützer:innen von Union und FDP gerne vorantreiben. Die Brennstoffzelle ist rechts der politischen Mitte populär, hier gibt es zum Teil große Vorbehalte gegen rein batterieelektrische Fahrzeuge. Dabei haben auch Wasserstoffautos Batterien an Bord, die von der Brennstoffzelle mit Strom versorgt werden.

Selbst Wähler:innen der Grünen sind nur zu 17 Prozent für ein Verbot von Verbrennern

Die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene kommt grundsätzlich gut an. 42 Prozent (FDP) bis 80 Prozent (Linke) sind dafür. Die AfD-Sympathisant:innen sind mit 29 Prozent Zustimmung skeptischer. Sie wollen auch nur zu 16 Prozent die Radwege ausbauen, knapp übertroffen von Unionswähler:innen mit 23 Prozent. Linke stimmen zu 37 Prozent zu, SPD-Anhänger:innen zu 42 Prozent. Erstaunlich: Selbst bei Grün-Wählenden gibt es mit 48 Prozent keine absolute Mehrheit für diesen Klassiker im Programm der Öko-Partei.

Gleichwohl ist ziemlich klar: Die Kluft zwischen den Anhänger:innen der verschiedenen Parteien ist auch in der Verkehrspolitik groß. Und das gilt auch für die „Profis“, wie FDP-Chef Christian Lindner sagen würde, die sich mit dem Thema beschäftigen. Der Tagesspiegel hat sich die Positionen derjenigen Parteien angeschaut, die für eine Koalition nach der Bundestagswahl infrage kommen. Die wahrscheinlichsten Konstellationen sind aus heutiger Sicht eine Koalition von Union und Grünen, entweder mit Annalena Baerbock oder Armin Laschet im Kanzleramt, oder eine Ampel aus Grünen, SPD und FDP.

Für die Grünen ist klar: Nach den CSU-Ministern Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer wollen sie zeigen, dass eine umweltverträglichere Mobilitätspolitik möglich ist. „Wenn wir die Klimaschutzziele erreichen wollen, müssen wir im Verkehrsressort etwas ändern“, sagt Cem Özdemir, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Natürlich drängen wir Grüne deshalb darauf, im Verkehrsbereich Verantwortung zu übernehmen.“ Und Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, sagt: „Das Pariser Klimaabkommen muss mit Umsetzungsschritten konkretisiert werden. Andernfalls gibt es keine Unterschrift der Grünen unter einen Koalitionsvertrag.“

Derart klare Kriterien formuliert Ulrich Lange nicht. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel macht der Fraktionsvize der Union im Bundestag aber deutlich, dass zum Beispiel das Thema Straßenbau „kritisch“ werden könnte. „Ein CDU/ CSU-Abgeordneter hat es in seiner DNA, möglichst viele Straßenbauprojekte für seinen Wahlkreis rauszuholen, möglichst viele Bänder durchzuschneiden“, spottet Özdemir. Die Grünen fordern ein Straßenbaumoratorium, um das Klima zu schützen. Ihr Argument: Ein Neu- und Ausbau von Straßen produziert immer noch mehr Verkehr. Özdemir fordert als kleinsten gemeinsamen Nenner, im Bundeshaushalt kein Geld mehr für den Neubau freizugeben.
Ad №2
Das sieht Lange anders. „Die Straße spielt für uns weiterhin eine wichtige Rolle“, sagt er. Auch wenn die Union grundsätzlich dem Erhalt Vorrang gebe vor dem Neu- und Ausbau, seien neue Fahrbahnen keinesfalls auszuschließen.

Beim Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor für Autos ist für die Grünen das Jahr 2030 gesetzt. Danach noch Neufahrzeuge mit Verbrenner zuzulassen, ist aus ihrer Sicht absurd, wenn der deutsche Verkehr spätestens 2050 CO2-neutral sein soll. Lange verweist auf die Aussage seines Parteichefs Markus Söder, der 2035 als Ausstiegsjahr genannt hatte. Ob nun 2030 oder 2035 – darüber werde man sich mit den Grünen schon einigen.

In der Bahnpolitik sehen die Grünen die Strukturen der Deutschen Bahn als Hindernis für mehr ökonomische Effizienz und mehr Wettbewerb auf der Schiene. Deshalb sind sie seit Jahren für die Trennung von Netz und Betrieb. Sollte das mit der Union nicht zu machen sein, wollen sie einen Plan B umsetzen. Der sieht unter anderem einen schärferen Zugriff der Aufsichtsbehörden vor, um den Wettbewerb zu stärken.

Özdemir sagt, die Trennung sei zwar richtig, wegen interner Widerstände könnte sie aber die DB lange lahmlegen. Deshalb wäre es vielleicht geschickter, mit den Reformern innerhalb des Staatskonzerns zusammenzuarbeiten und an dem Projekt mehrere Jahre dranzubleiben.
ANZEIGE

Tagesspiegel-Shop
CSU-Mann Lange sagt, er stehe einer Trennung von Netz und Betrieb gar nicht ablehnend gegenüber. Man sollte das Thema Bahn „grundsätzlicher angehen und auch über neue Modelle reden“. Übereinstimmung mit den Grünen sieht er bei der Senkung der Trassenpreise, der Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken und beim Deutschlandtakt.

Beim Reizthema Kurzstreckenflüge wollen selbst die Grünen als angebliche „Verbotspartei“ innerdeutsche Flüge nicht per Gesetz stoppen. „Das müssen wir uns Strecke für Strecke anschauen“, sagt Özdemir. „Ich wüsste aber weder, wie man ein Verbot umsetzen könnte, noch will ich das.“ Er bevorzuge klimafreundliche und schnelle Alternativen mit der Bahn. Auch Gelbhaar ist gegen ein Verbot. Er möchte durch niedrigere Trassenpreise und eine Besteuerung des Kerosins die Bahn so wettbewerbsfähig machen, dass sich Fliegen im Inland nicht mehr lohnt. Lange sagt erwartungsgemäß: „Ich bin kein Freund des Verbietens.“

Die Umverteilung des Stadtraums ist auf den ersten Blick das ideologisch aufgeladene Thema schlechthin – wie man auch in Berlin besichtigen kann, wo die CDU gegen die vom rot-rot-grünen Senat eingeleitete Verkehrswende zu Felde zieht. Auch der Berliner Bundestagsabgeordnete Gelbhaar, der zuvor im Abgeordnetenhaus gesessen hatte, räumt ein: „Den Konflikt kann man nicht leugnen.“ Er sei gespannt, ob die Union auf Bundesebene bereit wäre, die Entscheidung über den städtischen Raum den Kommunen zu überlassen. Genau diesen Befreiungsschlag fände CSU-Mann Lange richtig: „Ich bin ein Anhänger der Subsidiarität.“ Er würde die Straßenverkehrsordnung so ändern, dass die Kommunen selbst entscheiden können.

Kommunen sollen künftig stärker über ihren eigenen Raum bestimmen dürfen

Bei allen Unterschieden – eine schwarz-grüne Koalition würde voraussichtlich nicht an der Verkehrspolitik scheitern. Leichter hätten es die Grünen aber mit der SPD. In einer Ampelkoalition würde sich eher die FDP querstellen. Die Sozialdemokraten haben ihr Wahlprogramm stark begrünt. Sie wollen bis 2030 das „modernste und klimafreundlichste Mobilitätssystem Europas aufbauen“. Sie unterstützen das 365-Euro-Ticket und einen ticketfreien Nahverkehr. Der Bund soll durch ein Austauschprogramm dazu beitragen, dass alle neuen Busse und Bahnen in den Kommunen 2030 klimaneutral fahren und die vorhandenen Flotten modernisiert sind. Förderprogramme und ein geändertes Straßenverkehrsrecht sollen Kommunen dabei unterstützen, in Städten mehr Fläche für öffentlichen Verkehr, Fußgänger:innen und Radfahrer:innen zu schaffen.

Bahnfahren soll nach dem Willen der SPD innereuropäisch günstiger und attraktiver als Fliegen sein. Die Partei will rasch einen Deutschlandtakt umsetzen und einen Europatakt aufbauen. Die Deutsche Bahn soll als integrierter Konzern in öffentlichem Eigentum erhalten bleiben.

Auf Autobahnen soll ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern eingeführt werden. Damit würden die Sozialdemokraten bei den Grünen offene Türen einrennen. Der mögliche Ampel-Partner FDP schreibt dagegen in seinem Wahlprogramm: „Tempolimits, Diesel- oder Motorradfahrverbote sind weder progressiv noch nachhaltig.“ Die Liberalen setzen weiterhin auf Verbrennungsmotoren und alternative Kraftstoffe. Sie wollen die von der EU festgelegten CO2-Flottengrenzwerte „auf den Prüfstand stellen“ und die Kaufprämie für E-Autos streichen.
Foto: BMVI
Erschienen im Tagesspiegel am 05.06.2021