Mehr Männer in GESUNDHEITSBERUFEN – das wird schon lange gefordert. Doch diese Diskussion könnte auch von den wahren Problemen ablenken
Von Aleksandra Lebedowicz
Tobias Richter ist Hebamme. „In meiner Urkunde steht zwar die Bezeichnung ,Entbindungspfleger’, aber damit kann keiner was anfangen“, erzählt er am Telefon. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet der 22-Jährige im Helios Klinikum in Buch. Wird er als Mann in diesem Beruf nicht ständig kritisch beäugt von Frauen? „Gar nicht. Wir sind ein eingespieltes Team“, winkt er gleich ab. Manchmal komme es vor, dass Patientinnen keine männliche Hebamme haben möchten. „Meist stecken kulturelle oder religiöse Gründe dahinter“, erklärt Richter. „Dann wird einfach getauscht und eine Kollegin übernimmt die Betreuung.“
Männer als Hebammen – in deutschen Kreißsälen ist das immer noch ein äußerst seltener Anblick. Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung, kurz SAGE, gelten hierzulande als typisch weibliche Berufsfelder. Mit dem bundesweiten Aktionstag „Boys’Day“, der heute parallel zum „Girls’Day“ stattfindet (siehe Kasten auf Seite 24), will man das ändern und verstärkt Jungs für diese Jobs begeistern. „Die Diskussion um mehr männliche Fachkräfte in den SAGE-Berufen ist nicht neu und stellt sich zurecht zum Boys’Day“, sagt Anja Voss, Professorin für Gesundheit und Bewegung an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule.
Doch der laute Ruf nach mehr männlichen Fachkräften lenke von grundlegenden Problemen dieser Berufe ab. „Es geht um die Arbeitsbedingungen, die Prekarisierung und mangelnde gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung“, sagt die promovierte Gender-Studies-Expertin. Die Forderung nach mehr männlichen Fachkräften mache zwar Gleichberechtigungsansprüche deutlich. Unter der Hand werde aber gleichzeitig eine männliche Vormachtstellung reproduziert. „Mit der Forderung nach mehr Männern in SAGE-Berufen werden sie zu ,Rettern’ einer weiblichen Übermacht in sozialen, pflegerischen und pädagogischen Berufen“, beklagt Voss. Das ist insofern bedenklich, dass damit die traditionelle Geschlechterordnung im Grunde verfestigt wird. „Sollen Männer damit etwas verkörpern, das Frauen nicht können?“, fragt Voss ketzerisch.
Auch Tobias Richter wünscht sich mehr Wertschätzung und hofft, dass pflegerische Berufe endlich besser bezahlt werden. „Da können wir nicht darauf warten, bis sich mehr Männer für diese Jobs interessieren“, sagt er. Denn die Arbeitsanforderungen und die Belastungen von SAGE-Beschäftigten verdichten sich immer weiter. „Das war auch vor Corona schon der Fall“, sagt Anja Voss. Sie glaubt, wenn die Branche an sich besser bezahlt würde, dann würden auch automatisch mehr Männer als Krankenpfleger und Erzieher arbeiten. Wie etwa in den skandinavischen Ländern. „Dort sei es eine Ehre, Lehrer zu sein.“
Doch der laute Ruf nach mehr männlichen Fachkräften lenke von grundlegenden Problemen dieser Berufe ab. „Es geht um die Arbeitsbedingungen, die Prekarisierung und mangelnde gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung“, sagt die promovierte Gender-Studies-Expertin. Die Forderung nach mehr männlichen Fachkräften mache zwar Gleichberechtigungsansprüche deutlich. Unter der Hand werde aber gleichzeitig eine männliche Vormachtstellung reproduziert. „Mit der Forderung nach mehr Männern in SAGE-Berufen werden sie zu ,Rettern’ einer weiblichen Übermacht in sozialen, pflegerischen und pädagogischen Berufen“, beklagt Voss. Das ist insofern bedenklich, dass damit die traditionelle Geschlechterordnung im Grunde verfestigt wird. „Sollen Männer damit etwas verkörpern, das Frauen nicht können?“, fragt Voss ketzerisch.
Auch Tobias Richter wünscht sich mehr Wertschätzung und hofft, dass pflegerische Berufe endlich besser bezahlt werden. „Da können wir nicht darauf warten, bis sich mehr Männer für diese Jobs interessieren“, sagt er. Denn die Arbeitsanforderungen und die Belastungen von SAGE-Beschäftigten verdichten sich immer weiter. „Das war auch vor Corona schon der Fall“, sagt Anja Voss. Sie glaubt, wenn die Branche an sich besser bezahlt würde, dann würden auch automatisch mehr Männer als Krankenpfleger und Erzieher arbeiten. Wie etwa in den skandinavischen Ländern. „Dort sei es eine Ehre, Lehrer zu sein.“
Als männliche Hebamme ist er eine absolute Ausnahme
Aber warum ist der Kampf um würdige Arbeitsbedingungen und Anerkennung in den SAGE-Berufen so schwierig? An der fehlenden Systemrelevanz dürfte es kaum liegen. Dennoch sind es Branchen, die wenig Wirtschaftswachstum versprechen. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft werden solche Jobs immer noch unterbewertet. Das macht sie für viele Männer unattraktiv.
Tobias Richter plädiert für mehr Offenheit. Jeder, der sich für SAGE-Berufe interessiert, sollte ein Praktikum absolvieren – unabhängig vom Geschlecht, sagt er. Während seiner Ausbildung, die er mit 17 Jahren begonnen hatte, war er der einzige Mann unter Frauen. Und der erste überhaupt an der Hebammenschule in Erfurt.
Wer heute Hebamme werden will, muss dafür studieren. In Berlin sind ab diesem Jahr 120 Plätze für Studienanfänger geplant. Die praktischen Ausbildungsteile sollen Charité und Vivantes gemeinsam übernehmen. Die Reform soll den Beruf attraktiver machen und die Qualität der Ausbildung erhöhen. Neben Fachwissen über die weibliche Anatomie sei im Joballtag vor allem Empathie wichtig, sagt Richter. „Und man muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.“
Tobias Richter plädiert für mehr Offenheit. Jeder, der sich für SAGE-Berufe interessiert, sollte ein Praktikum absolvieren – unabhängig vom Geschlecht, sagt er. Während seiner Ausbildung, die er mit 17 Jahren begonnen hatte, war er der einzige Mann unter Frauen. Und der erste überhaupt an der Hebammenschule in Erfurt.
Wer heute Hebamme werden will, muss dafür studieren. In Berlin sind ab diesem Jahr 120 Plätze für Studienanfänger geplant. Die praktischen Ausbildungsteile sollen Charité und Vivantes gemeinsam übernehmen. Die Reform soll den Beruf attraktiver machen und die Qualität der Ausbildung erhöhen. Neben Fachwissen über die weibliche Anatomie sei im Joballtag vor allem Empathie wichtig, sagt Richter. „Und man muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.“
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Weiblich oder männlich – das mache eine gute Hebamme nicht aus, sagt Tobias Richter. Er übernimmt eins zu eins die gleichen Aufgaben wie seine Kolleginnen. „Es gibt in diesem Beruf auch viele Frauen, die selbst keine Kinder bekommen haben und ohne eigene Geburtserfahrung einen super Job machen“, erzählt er. Das Schlimme sei, dass die Gesellschaft daraus ein Thema macht.
„Die wirklich interessante Frage zum Boys’Day ist doch eigentlich die, welche Rollenvorstellungen der Forderung nach mehr Männern in SAGE-Berufen zugrunde liegen?“, meint Anja Voss. Dabei gibt sie zu bedenken, dass allein durch separate Veranstaltungen die Trennung zwischen Jungen und Mädchen weiter zementiert wird. Dabei müsste es eher darum gehen, sie zu überwinden. Klar, die Aktionstage können sensibilisieren, aber die eigentlichen Entscheidungen müssen auf anderen Bühnen fallen.
„Die wirklich interessante Frage zum Boys’Day ist doch eigentlich die, welche Rollenvorstellungen der Forderung nach mehr Männern in SAGE-Berufen zugrunde liegen?“, meint Anja Voss. Dabei gibt sie zu bedenken, dass allein durch separate Veranstaltungen die Trennung zwischen Jungen und Mädchen weiter zementiert wird. Dabei müsste es eher darum gehen, sie zu überwinden. Klar, die Aktionstage können sensibilisieren, aber die eigentlichen Entscheidungen müssen auf anderen Bühnen fallen.
Foto: Getty Images
Erschienen im Tagesspiegel am 22.04.2021
Erschienen im Tagesspiegel am 22.04.2021