Vererben & Stiften 2021

Von Frau zu Frau

Stiftungen setzen sich für Chancengerechtigkeit ein. Doch weibliche Führungskräfte sind dort rar. Warum sich das ändern muss


Editorial

Vespasian hatte Recht

Pecunia non olet, Geld stinkt nicht, sagte schon der römische Kaiser Vespasian. Und er hatte Recht. Mit dem mühsam erarbeiteten Vermögen kann man so viel Gutes tun: die eigene Familie versorgen, Veränderungen anstoßen, Bedürftigen helfen, ein Herzensprojekt unterstützen. All das ist auch weit über den Tod hinaus möglich. Vorausgesetzt, man bringt seinen letzten Willen klar zum Ausdruck.

Der heutige Tag des Testaments ist eine gute Gelegenheit, sich mit den Themen Vererben und Stiften zu befassen. Tipps und Ratschläge finden Sie in dieser Beilage. Hoffentlich können wir damit Berührungsängste abbauen. Denn eins ist sicher: Wer seinen Nachlass früh regelt, tut sich und seinen Lieben einen großen Gefallen. Aleksandra Lebedowicz
               


Von Helene Wolf

Stiftungen und Stifter*innen haben nahezu einzigartige Voraussetzungen, Gesellschaft und Zukunft zu gestalten: In dem Zugriff auf finanzielle Ressourcen und dem werteorientierten Arbeiten liegt eine beeindruckende Kraft. Stifter, deren Namen bis heute in vielen Stiftungen zu finden sind, waren oftmals mutige Vordenker und haben zu ihren Lebenszeiten teilweise revolutionäre Veränderungen vorangetrieben. Wird diese beeindruckende Gestaltungsmacht genutzt und die Tradition des Vorangehens für die heutige Zeit weitergedacht, können Stiftungen und Stifter*innen maßgeblich dazu beitragen, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten abzubauen – in ihrer Programmarbeit und in den eigenen Strukturen.

„Ihrer Anfrage erteilen wir eine deutliche Absage und bitten Sie, von weiteren Anfragen in der Zukunft abzusehen“, lautete jedoch die ungehaltene Reaktion auf meine E-Mail an eine große Stiftung mit der Frage, wie viele Führungspositionen mit Frauen besetzt sind. Seit gut zwei Jahren messen wir mit der Initiative „Fair Share of Women Leaders“ den Anteil von Frauen in Geschäftsführungs- und Aufsichtsgremien. Die Wucht der Ablehnung hat mich zu Anfang überrascht. Seitdem bin ich auf Erklärungssuche: Warum gibt es so viel Widerstand rund um das Thema Geschlechtergerechtigkeit? Und was können wir gewinnen, wenn wir etwas verändern – hin zu einem diversen, partizipativen und repräsentativen Stiftungssektor?

Wird in Mädchenrechte ausreichend investiert, wenn sie keine Stimme haben?

Hier die Ausgangslage unserer Analyse: In 78 deutschen Stiftungen, darunter die 35 größten, sind 70 Prozent der Mitarbeiter*innen Frauen, aber nur knapp 40 Prozent der Führungspositionen sind mit Frauen besetzt. Während immerhin fast ein Drittel der von uns untersuchten Stiftungen eine Frau* als Geschäftsführerin haben, sind insbesondere die übergeordneten Kontrollgremien fest in Männerhand: 60 Prozent der Aufsichtsräte oder Kuratorien, die oftmals über Förderungen oder Projekte entscheiden, sind mehrheitlich mit Männern besetzt. Acht der knapp 80 Stiftungen haben keine einzige Frau* in ihrem Kontrollorgan und viele nur eine Frau*.

Die Unterrepräsentation von Frauen in Führung ist bekanntlich kein spezifisches Phänomen von Stiftungen. Während Unternehmen seit Kurzem durch eine gesetzliche Quote zur Veränderung angehalten werden, sehen viele Stiftungen bisher wenig Handlungsbedarf. Dabei setzt sich ein Großteil von ihnen für Werte wie Chancengerechtigkeit und Teilhabe ein. In den eigenen Strukturen spiegeln sich diese Ziele jedoch kaum wider. Wie glaubwürdig ist ein Projekt zur Mädchenförderung, wenn über die Mittel fast nur Männer entscheiden? Wie nachhaltig wirksam können Frauen* of Color mit Fluchterfahrung gestärkt werden, wenn ein weißes Gremium über Ziele, Strategien und Erfolgsfaktoren diskutiert?
Revolutionäre Wohltäterin. BMW-Erbin Susanne Klatten sucht mit ihrer Skala-Initiative neue Wege beim Spenden
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Und: Wird überhaupt ausreichend in Frauen- und Mädchenrechte investiert, wenn diese in den entscheidenden Räumen keine Stimme haben, um ihre Bedarfe und Ideen einzubringen? Laut einer Umfrage von Phineo, engagieren sich nur 18 Prozent der befragten Stiftungen im Bereich Frauenförderung. Diese sind laut der Befragung auch intern gleichberechtigter aufgestellt.

Die derzeitige Machtverteilung sei aus der Tradition gewachsen. „Geld bedeutet Macht und Macht wird bis heute Männern eher zugetraut als Frauen“, reflektiert die Geschäftsführerin einer unternehmensnahen Stiftung. Zudem liegt Vermögen und damit auch das Vererben nach wie vor in Männerhand: Laut Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sind nur 30 Prozent der Menschen mit Millionenvermögen Frauen*.

Stiftungen möchten der Gesellschaft, die ihnen berufliche und finanzielle Privilegien ermöglicht hat, etwas zurückgeben. Damit übernehmen sie eine große Verantwortung. Sie werden aber auch von Partner*innen, Mitarbeiter*innen und der Öffentlichkeit zunehmend in Verantwortung genommen, transparent über die eigene Arbeit zu berichten und somit die nach außen kommunizierten Werte auch in den eigenen Strukturen zu leben. Vielfältige Perspektiven und Erfahrungshintergründe ermöglichen überhaupt erst den nötigen Austausch über die Herausforderungen, die wir zu meistern haben. Und können dann den Raum eröffnen für gemeinsame, innovative Ideen zur Lösung. Insbesondere in der Verschiedenheit der Perspektiven liegt die Chance, von Anfang an über Geschlechteridentität hinaus zu denken: Frauen* sind oftmals mehrfach benachteiligt aufgrund ihrer Herkunft, Bildung, Alter oder Religion. Unsere Führungsetagen und Stiftungspraxis von morgen sollte Gesellschaft in all ihrer Vielfalt abbilden, um glaubwürdig und nachhaltig gesellschaftliche Veränderungen voranzubringen, finden Sie nicht auch?

„Geld bedeutet Macht und Macht wird Männern eher zugetraut als Frauen“

Eine erste Generation Stifter*innen sucht hier bereits neue Wege: Susanne Klatten, Unternehmerin und Erbin des Quandt-Vermögens (BMW), gab durch die Skala-Initiative, die bundesweit 93 gemeinnützige Organisationen fördert, einen großen Teil der Entscheidungsmacht an andere Strukturen ab. Ise Bosch hat ihre Vision einer systemverändernden und nachhaltigen Philanthropie vor einigen Jahren in dieser Beilage vorgestellt und eine Gemeinschaftsstiftung mit initiiert. Scott McKenzie, die Ex-Frau des Amazon-Gründers, hat bereits zweimal große Summen an ausgewählte Organisationen gespendet, die sich gegen systematische Ungleichheiten einsetzen – ohne Stiftungsstruktur und ohne Bedingungen. Wird also eine neue Generation Stifterinnen* und Erbinnen* das Geben nachhaltig verändern?

Die Themen Diversität und Geschlechtergerechtigkeit können nicht mehr ignoriert werden. Trotz „deutlicher Absage“ werden wir weiter fragen und mit dem jährlichen „Fair Share Monitor“ hoffentlich bis zum Jahr 2030 einen wachsenden Frauenanteil auf Führungsebene messen können. „Die Vergleichbarkeit durch den Monitor und die Positivbeispiele aus anderen Organisationen bieten Anreize zum Nachdenken, und erleichtern das Argumentieren in den eigenen Strukturen“, so Jana Prosinger, Leiterin der Globalen Einheit für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.
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taz Panter Stiftung
Wir brauchen den gezielten Aufbau der nächsten Generation von Frauen* in Führung. „Bei vielen Besetzungsprozessen fehlt der Nachwuchs aus den eigenen Strukturen, weil Frauen* selten strategisch zu Führungskräften aufgebaut werden“, berichtet Annika Behrendt, Geschäftsführerin von Talents4Good, einer auf den Sektor spezialisierten Personalagentur. „Die oftmals informellen Karrierewege in diesem Sektor benachteiligen Frauen*.“

Wir brauchen Pionier*innen und Fürsprecher*innen – Frauen* und Männer* – um andere zu inspirieren und diverse Führung zum neuen Standard zu machen. Das kann mit kleinen Schritten beginnen: „Seit bei uns das erste Mal eine Frau während der Elternzeit befördert wurde und endlich Frauen im Leitungsteam sind, sehen viele Frauen eher eine Zukunft in der Stiftung als vorher“, so Ilka Hennet von der BMW Stiftung Herbert Quandt, die seit einigen Jahren sehr bewusst an den eigenen Führungsstrukturen arbeitet.

Man muss Frauen strategisch zu Führungskräften aufbauen

Immer mehr Organisationen haben mittlerweile das Fair Share Commitment unterschrieben und sich damit für die faire Repräsentation von Frauen in Führung bis 2030 verpflichtet. Dieses Netzwerk aus Vorreiter*innen trägt Erfahrungen und Beispiele zusammen. So gibt es paritätisch besetzte Doppelspitzen und Satzungsänderungen zur Diversifizierung von Leitungsgremien. Bei Stellenbesetzungen wird zunehmend auf Diversität geachtet. Initiativen wie „Vertrauen Macht Wirkung“ inspirieren Stiftungen zu den Themen Diversität, Partizipation und Repräsentation zu arbeiten. „Leider reden viele Stiftungen, die bei den Themen Geschlechtergerechtigkeit und Diversität vorangehen, viel zu wenig darüber“, beobachtet Anke Pätsch, Mitglied der Geschäftsleitung des Bundesverbands deutscher Stiftungen. Sie möchte dieses Engagement sichtbarer machen.

Reden wir also darüber, wie wir eine neue, feministische Vision entwickeln, wie wir Führung verstehen und leben wollen: Als Gestaltungsinstrument für eine Gesellschaft, der wir unsere tägliche (Arbeits-)Zeit gerne und engagiert widmen wollen.

Bestehende Strukturen zu hinterfragen, kann sich bedrohlich anfühlen

Hier ein Experiment aus unserer Arbeit: Vor etwa einem Jahr kam im Gespräch mit Organisationen die Idee auf, gemeinsam ein Führungsprogramm für Frauen* zu entwickeln, das sogenannte Women Leadership Lab. Auf dem gefürchteten weißen Blatt Papier entstand in mehreren Mitdenkrunden ein neuartiger Ansatz. 16 Führungsfrauen* aus verschiedensten Organisationen entwickeln gemeinsam ihr eigenes Führungsverständnis, basierend auf ihren Bedarfen, Voraussetzungen und Zielen. Diese Art der Projektarbeit verlangt allen Beteiligten einiges ab. Wir sind es gewohnt, Konzepte abzunicken oder zu kritisieren, aber nicht wirklich gemeinsam zu durchdenken und Verantwortung für das Gelingen zu tragen. Wir sind es gewohnt, ein fertiges Trainingsangebot zu buchen und dort neues Wissen zu konsumieren, aber nicht dieses aktiv als Teil einer Gruppe mitzugestalten.

Er habe durch den Austausch verstanden, dass es nicht um klassische Wissensvermittlung für Frauen* geht, sondern darum, Hürden für Frauen* auf dem Weg in Führung abzubauen, so ein Teilnehmer* der Mitdenkrunde. Die Teilnehmerinnen* des Labs probieren gerade neue Führungsansätze in ihren Teams aus. Die gemeinschaftliche Entscheidungsfindung und Verantwortung prägt unser Women Leadership Lab.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass sich der Veränderungsprozess oftmals chaotisch oder zu langsam anfühlt. Manchmal fast bedrohlich, weil wir herausgefordert sind, bestehende Strukturen zu hinterfragen und neu zu denken. Viele Stifter sind diesen Weg allein gegangen, nicht selten gegen Widerstände. Wir haben nun die Chance, neue Traditionen zu schaffen. Und wir können es von Anfang an gemeinsam tun. Legen wir los!
          

Zur Person

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Helene Wolf
Helene Wolf
Helene Wolf ist Mitbegründerin und Geschäftsführerin von Fair Share of Women Leaders e.V. Der Verein setzt sich seit 2019 bundes- und weltweit für mehr Frauen in Führung in NGOs und Stiftungen und für eine feministische Führungskultur ein. Seit 2020 wird der Verein vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Im März 2022 wird der nächste „Fair Share Monitor“ veröffentlicht, der den Frauenanteil in Geschäftsleitungen und Aufsichtsgremien von NGOs und Stiftungen misst. Tsp
Fotos: Getty Images, © kommaKLAR/Winnie Mahrin, pa/dpa
Erschienen im Tagesspiegel am 13.09.2021