Das Stiften verändert sich. Die nächste Generation macht die Großzügigkeit zu einem Mitmach-Projekt für alle
Von Felix Oldenburg
Kennen Sie das? Jemand weist Sie zum ersten Mal auf etwas hin, und plötzlich sehen Sie es überall? So geht es mir seit einigen Jahren, wenn ich durch Deutschland reise. Überall begegne ich Stiftungshandeln, manchmal erst auf den zweiten Blick. Das Seniorenheim, das hinten an unseren Garten angrenzt, wird getragen von einer Stiftung. Der Wald, durch den ich in den Ferien wandere, gehört einer Stiftung. Das Jugendprojekt im Problemkiez auf meinem Weg ist finanziert von einer Stiftung. Am Museum neben meinem Büro steht an der Klingel die betreibende Stiftung. Das Besuchsprogramm für Behinderte beim Bundesligaspiel letztes Wochenende wird organisiert von einer Stiftung. Mein Lieblingswein ist ein Stiftungswein. Die Professorin, mit der ich telefoniere, sitzt auf einem Stiftungslehrstuhl. Der einzige Radiosender auf Friesisch, der Sprache meiner Heimatinsel, sendet aus einem Stiftungshaus.
Alle diese Einrichtungen unseres Lebens, es gibt sie, weil eines Tages irgendjemand über diesen Tag hinaus, oft über das eigene Leben hinaus gedacht hat. Stiftungen haben ein besonderes Verhältnis zur Zeit. Im Kern sind Stiftungen ein Vermögen, das mit seinen Erträgen auf ewig einem guten Zweck gewidmet ist. Sie gehören weder einer Person noch dem Staat. Der wacht aber über die Finanzen. Einige von ihnen sind viele Hundert Jahre alt. Die meisten sind aber eher Teenager, denn seit der Jahrtausendwende hat sich ihre Zahl verdoppelt. Und auch wenn jede einzelne auf Dauer angelegt und im Kern unveränderlich ist, geht das Stiftungswesen als Ganzes immer auch mit der Zeit.
Und heute? Sind die besten Zeiten angesichts Niedrigzinsphase und wachsender Kritik am amerikanischen „Philanthrokapitalismus“ vorbei? Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Um die Zukunft voraus zu ahnen, lohnt sich aber ein kurzer Blick in eine wandlungsreiche Vergangenheit. Die Zäsuren von Revolutionen, Weltkriegen und Wirtschaftskrisen, sie lassen sich auch in der Geschichte des Gebens nachzeichnen.
Alle diese Einrichtungen unseres Lebens, es gibt sie, weil eines Tages irgendjemand über diesen Tag hinaus, oft über das eigene Leben hinaus gedacht hat. Stiftungen haben ein besonderes Verhältnis zur Zeit. Im Kern sind Stiftungen ein Vermögen, das mit seinen Erträgen auf ewig einem guten Zweck gewidmet ist. Sie gehören weder einer Person noch dem Staat. Der wacht aber über die Finanzen. Einige von ihnen sind viele Hundert Jahre alt. Die meisten sind aber eher Teenager, denn seit der Jahrtausendwende hat sich ihre Zahl verdoppelt. Und auch wenn jede einzelne auf Dauer angelegt und im Kern unveränderlich ist, geht das Stiftungswesen als Ganzes immer auch mit der Zeit.
Und heute? Sind die besten Zeiten angesichts Niedrigzinsphase und wachsender Kritik am amerikanischen „Philanthrokapitalismus“ vorbei? Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Um die Zukunft voraus zu ahnen, lohnt sich aber ein kurzer Blick in eine wandlungsreiche Vergangenheit. Die Zäsuren von Revolutionen, Weltkriegen und Wirtschaftskrisen, sie lassen sich auch in der Geschichte des Gebens nachzeichnen.
Der „Philanthrokapitalismus“ ist nicht vorbei
Seit dem Mittelalter waren es die Klöster, die Wohnstifte, die Stiftungshospitäler, die Vermächtnisse anzogen. Wer vor 150 Jahren Vermögen für die Gesellschaft einsetzen wollte, hat vielleicht einem der damals neuen Wohnungsbauvereine oder Zoos sein Geld gegeben. Vor 100 Jahren wären die Mittel eher in eine der über einhunderttausend Mini-Stiftungen der Weimarer Stiftungsrepublik gegangen. In der frühen Bundesrepublik vor fünfzig Jahren hatte die Gründung von Unternehmensstiftungen Konjunktur. Seit der Jahrtausendwende ist das Stiftungsgründen auch breit in der Gesellschaft angekommen: davon zeugen die vielen neuen Gemeinschafts- und Bürgerstiftungen. Mittlerweile sind ebenso Verbrauchsstiftungen möglich und werden in Reinform, meist aber in Form zusätzlicher Verbrauchsvermögen in bestehenden Stiftungen immer populärer.
Diese Geschichte ist erstens eine der Demokratisierung. Was früher eher eine exklusive Angelegenheit war, ist heute für alle Menschen offen. Im vergangenen Jahr haben 30000 Menschen wie Sie und ich den Deutschen Stifterpreis erhalten, weil sie sich mit Geld oder einfach mit Zeit oder Ideen in einer Bürgerstiftung engagieren. In Berlin gibt es gleich mehrere. In Gemeinschaftsstiftungen wie etwa „filia“, der Frauenstiftung, können sich auch weniger Vermögende einbringen. Und immer häufiger entscheiden über die Geldvergabe nicht kleine Gremien, sondern die Zielgruppe selbst, sei es in Jugendbeiräten, in Peer-Review-Verfahren oder in selbstverwalteten Fördertöpfen wie bei der Kreuzberger Kinderstiftung.
Zweitens wird das Stiften gerade mit Siebenmeilenstiefeln globaler und digitaler. Entlang der G20-Treffen der Industriestaaten gibt es mittlerweile „F20“-Treffen von Stiftungen. In ganz Europa legen Stiftungen Gelder zusammen, um bessere Lösungen für Flüchtlinge und Integration zu finden. Und wenn man die Orte sucht, an denen global verteilt der digitale Code für die Gesellschaft und Wirtschaft von morgen entwickelt wird, dann findet man sie zum Beispiel bei der Wikimedia Foundation, der Linux Foundation oder der deutschen Kryptowährungs-Stiftung IOTA Foundation.
Drittens überdenken Stiftungen ihr eigenes Wirtschaften. Sie sind keine Niedrigzinsautomaten, sondern werden zunehmend aktive und nachhaltige Investorinnen. Auch wenn das Gesamtvermögen der Stiftungen schwer einheitlich zu bemessen ist, könnte es als geduldiges und kritisches Kapital auch eine positive Rolle im Finanzsystem spielen.
Diese Geschichte ist erstens eine der Demokratisierung. Was früher eher eine exklusive Angelegenheit war, ist heute für alle Menschen offen. Im vergangenen Jahr haben 30000 Menschen wie Sie und ich den Deutschen Stifterpreis erhalten, weil sie sich mit Geld oder einfach mit Zeit oder Ideen in einer Bürgerstiftung engagieren. In Berlin gibt es gleich mehrere. In Gemeinschaftsstiftungen wie etwa „filia“, der Frauenstiftung, können sich auch weniger Vermögende einbringen. Und immer häufiger entscheiden über die Geldvergabe nicht kleine Gremien, sondern die Zielgruppe selbst, sei es in Jugendbeiräten, in Peer-Review-Verfahren oder in selbstverwalteten Fördertöpfen wie bei der Kreuzberger Kinderstiftung.
Zweitens wird das Stiften gerade mit Siebenmeilenstiefeln globaler und digitaler. Entlang der G20-Treffen der Industriestaaten gibt es mittlerweile „F20“-Treffen von Stiftungen. In ganz Europa legen Stiftungen Gelder zusammen, um bessere Lösungen für Flüchtlinge und Integration zu finden. Und wenn man die Orte sucht, an denen global verteilt der digitale Code für die Gesellschaft und Wirtschaft von morgen entwickelt wird, dann findet man sie zum Beispiel bei der Wikimedia Foundation, der Linux Foundation oder der deutschen Kryptowährungs-Stiftung IOTA Foundation.
Drittens überdenken Stiftungen ihr eigenes Wirtschaften. Sie sind keine Niedrigzinsautomaten, sondern werden zunehmend aktive und nachhaltige Investorinnen. Auch wenn das Gesamtvermögen der Stiftungen schwer einheitlich zu bemessen ist, könnte es als geduldiges und kritisches Kapital auch eine positive Rolle im Finanzsystem spielen.
Vermögen für bezahlbaren Wohnraum und kleine Läden
Und genau weil hier gerade so viel Freiheit zur Veränderung sichtbar wird, ist das Stiften vielleicht eine wenig offensichtliche, aber umso brillantere Antwort, die man in einige der aktuellen politischen Debatten einbringen könnte.
Wenn Kevin Kühnert neue Eigentumsformen fordert, die am Gemeinwohl orientiert sind, wenn Mietervereine und Forstbesetzer auf die grundgesetzliche Verpflichtung des Eigentums verweisen, wenn Wirtschaftsforscher die wachsende Vermögensungleichheit beklagen, wenn deutsche Technologie-Unternehmen geduldiges Wachstumskapital nicht in China suchen wollen, und wenn wir uns darum sorgen, wer das Milliardengeschäft mit Online-Daten macht, dann geht es immer auch um die Frage, wie wir das Eigentum an Ressourcen so organisieren können, dass die ganze Gesellschaft profitiert. Kann und soll man das alles über Steuern oder Umverteilung regeln?
Oder könnte eine Formel auch sein, private Ressourcen an einen guten Zweck und klare Regeln zu binden? Mehr Menschen könnten dem Beispiel des Berliners Hamid Djadda folgen und geduldige Stiftungsvermögen für bezahlbaren Wohnraum und kleine Läden mobilisieren. Mehr Familienunternehmen könnten Stiftungen als Nachfolgelösung und einen Teil der Gewinne für das Gemeinwohl nutzen. Milliarden an aktuell wenig produktiv angelegten gemeinnützigen Vermögen könnten über KfW-Fonds gebündelt und mit doppelter Rendite in unternehmerische Innovationen investiert werden, die eine bezahlbare Energiewende, eine nachhaltige Mobilität oder ein vorsorgendes Gesundheitssystem vorantreiben. Vor einigen Tagen erst hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine „Klimastiftung“ nach diesem Modell vorgeschlagen. Und auch für das Eigentum an Online-Daten könnte die Rechtsform der Stiftung Lösungen unabhängig von kommerziellem wie staatlichem Zugriff bieten.
Unsere Rechtsordnung lässt bewusst einen Raum für Bürgerinnen und Bürger, die selbst entscheiden möchten, wie sie mit ihrem Geld oder anderen Vermögenswerten die Gesellschaft gestalten möchten – unter staatlicher Kontrolle von Finanzamt und Stiftungsaufsicht wohlgemerkt.
Wenn Kevin Kühnert neue Eigentumsformen fordert, die am Gemeinwohl orientiert sind, wenn Mietervereine und Forstbesetzer auf die grundgesetzliche Verpflichtung des Eigentums verweisen, wenn Wirtschaftsforscher die wachsende Vermögensungleichheit beklagen, wenn deutsche Technologie-Unternehmen geduldiges Wachstumskapital nicht in China suchen wollen, und wenn wir uns darum sorgen, wer das Milliardengeschäft mit Online-Daten macht, dann geht es immer auch um die Frage, wie wir das Eigentum an Ressourcen so organisieren können, dass die ganze Gesellschaft profitiert. Kann und soll man das alles über Steuern oder Umverteilung regeln?
Oder könnte eine Formel auch sein, private Ressourcen an einen guten Zweck und klare Regeln zu binden? Mehr Menschen könnten dem Beispiel des Berliners Hamid Djadda folgen und geduldige Stiftungsvermögen für bezahlbaren Wohnraum und kleine Läden mobilisieren. Mehr Familienunternehmen könnten Stiftungen als Nachfolgelösung und einen Teil der Gewinne für das Gemeinwohl nutzen. Milliarden an aktuell wenig produktiv angelegten gemeinnützigen Vermögen könnten über KfW-Fonds gebündelt und mit doppelter Rendite in unternehmerische Innovationen investiert werden, die eine bezahlbare Energiewende, eine nachhaltige Mobilität oder ein vorsorgendes Gesundheitssystem vorantreiben. Vor einigen Tagen erst hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier eine „Klimastiftung“ nach diesem Modell vorgeschlagen. Und auch für das Eigentum an Online-Daten könnte die Rechtsform der Stiftung Lösungen unabhängig von kommerziellem wie staatlichem Zugriff bieten.
Unsere Rechtsordnung lässt bewusst einen Raum für Bürgerinnen und Bürger, die selbst entscheiden möchten, wie sie mit ihrem Geld oder anderen Vermögenswerten die Gesellschaft gestalten möchten – unter staatlicher Kontrolle von Finanzamt und Stiftungsaufsicht wohlgemerkt.
Immer mehr Start-ups sehen sich auch als Weltverbesserer
Jede Generation füllt diesen Raum etwas anders aus. Wenn man heute dort ist, wo die Welt von morgen imaginiert und finanziert wird, etwa im Berliner Soho House, dann fällt auf: Wie das Berliner Gründerteam hinter dem Nachbarschaftsnetzwerk nebenan.de verstehen sich immer mehr Startups und Investoren auch als Weltverbesserer. Die Frage nach der sozialen und ökologischen Verantwortung von Vermögen, sie stellt sich nicht erst nach einer erfolgreichen Karriere, sondern viel früher im Leben. Das Verantwortungsbewusstsein, das Mitgefühl, die Großzügigkeit sind nicht auf dem Rückzug, aber sie suchen sich andere Formen als die ihrer Eltern oder Großeltern.
Die meisten wissen freilich mehr darüber, wie sie Geld verdienen als darüber, wie sie es zum Wohle der Gesellschaft ausgeben können. Was oft fehlt, sind Informationen zum Stiften, die nicht in erster Linie von kommerziellen Motiven der entsprechenden Dienstleister geprägt sind. Für viele ist die Gründung einer eigenen Ewigkeitsstiftung weniger sinnvoll als ein Engagement über Gemeinschaftsstiftungen oder Treuhandstiftungen. In das Spektrum der Philanthropie gehören mittlerweile auch die Pledges, also öffentliche Versprechen zukünftigen Engagements, oder das systematische Spenden zum Beispiel über Online-Plattformen wie der Berliner Plattform betterplace.org. Diese Modelle könnten zusätzliche Milliarden mobilisieren, wenn sie bekannter wären.
Aber auch das traditionelle Stiften in eine Ewigkeitsstiftung hat sich noch lange nicht überlebt. Es braucht jedoch ein Update, weil einige Regeln und Kontrollen heute aus der Zeit gefallen sind. Die Bundesregierung könnte dabei mit der Verabschiedung einer praktisch fertigen Reform des Stiftungsrechts helfen, welche für einheitlichere Aufsicht, klare Haftungsregeln und vor allem verbesserte Möglichkeiten der Satzungsänderung und Zusammenlegung sorgen würde.
Modern interpretiert und reguliert, passen Stiftungen nicht nur in unsere Vergangenheit und Gegenwart, sondern können überraschende Zukunftslösungen sein. Und dabei gilt mehr als je zuvor: Jeder kann Stiften!
Die meisten wissen freilich mehr darüber, wie sie Geld verdienen als darüber, wie sie es zum Wohle der Gesellschaft ausgeben können. Was oft fehlt, sind Informationen zum Stiften, die nicht in erster Linie von kommerziellen Motiven der entsprechenden Dienstleister geprägt sind. Für viele ist die Gründung einer eigenen Ewigkeitsstiftung weniger sinnvoll als ein Engagement über Gemeinschaftsstiftungen oder Treuhandstiftungen. In das Spektrum der Philanthropie gehören mittlerweile auch die Pledges, also öffentliche Versprechen zukünftigen Engagements, oder das systematische Spenden zum Beispiel über Online-Plattformen wie der Berliner Plattform betterplace.org. Diese Modelle könnten zusätzliche Milliarden mobilisieren, wenn sie bekannter wären.
Aber auch das traditionelle Stiften in eine Ewigkeitsstiftung hat sich noch lange nicht überlebt. Es braucht jedoch ein Update, weil einige Regeln und Kontrollen heute aus der Zeit gefallen sind. Die Bundesregierung könnte dabei mit der Verabschiedung einer praktisch fertigen Reform des Stiftungsrechts helfen, welche für einheitlichere Aufsicht, klare Haftungsregeln und vor allem verbesserte Möglichkeiten der Satzungsänderung und Zusammenlegung sorgen würde.
Modern interpretiert und reguliert, passen Stiftungen nicht nur in unsere Vergangenheit und Gegenwart, sondern können überraschende Zukunftslösungen sein. Und dabei gilt mehr als je zuvor: Jeder kann Stiften!
Zur Person
Sozialer Wandel
Felix Oldenburg ist seit 2016 Generalsekretär des Bundesverbands Deutscher Stiftungen. Er studierte Philosophie (Bonn, Tübingen, Oxford) und Politikmanager (Georgetown), wirkte zuvor als Internet-Unternehmer, Berater sowie Initiator und Moderator großer Bürgerbeteiligungsverfahren, bevor er 2009 bis 2016 das globale Sozialunternehmer-Netzwerk Ashoka in Deutschland und Europa leitete. Er publiziert zu den Themen soziale Innovation, Finanzen und Philanthropie und engagiert sich als Vorsitzender des europäischen Stiftungs-Dachverbands DAFNE sowie als Beirat bei der KfW Capital und dem Alliance Publishing Trust. Tsp
Fotos: Getty Images, Christian Klant
Erschienen im Tagesspiegel am 13.09.2019
Erschienen im Tagesspiegel am 13.09.2019