Die Pandemie hat bloßgelegt, dass das Gesundheitswesen in Deutschland noch sehr von veralteter Technik abhängt. Doch zugleich hat sie seine Digitalisierung auch vorangetrieben – etwa beim europaweiten Datenaustausch
Von Beatrice Hamberger
Laut der Studie „Future of Health“ des Beratungsunternehmens Roland Berger soll sich der Digitalisierungsprozess im Gesundheitswesen in der Pandemie um rund zwei Jahre beschleunigt haben. Die Kehrseite der Medaille formuliert der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums in einem aktuellen Gutachten zur Digitalisierung in Deutschland: „Vieles von dem, was während der Corona-Pandemie in kurzer Zeit umgesetzt wurde, hätte auch schon lange vor der Krise unternommen werden können.“
Dazu zählt zum Beispiel die längst überfällige Vernetzung zwischen Gesundheitsämtern, Laboren und Robert Koch-Institut (RKI). Durch die Pandemie hat das seit Jahren vor sich hin dümpelnde Projekt zwar an Tempo gewonnen, doch die beiden entsprechenden Informationssystemen Sormas und Demis werden vielerorts bis heute nicht genutzt. So stellen die Gutachter zu ihrer eigenen Überraschung fest, „dass die Gesundheitsämter bis zuletzt (Stand: April 2021) Infektionszahlen immer noch in großem Umfang per Telefax an das Robert Koch-Institut melden.“
Es nutzt auch nichts, wenn man in wenigen Monaten eine Corona-App entwickelt, die kaum Daten erhebt und keine Schnittstelle zu den nachverfolgenden Gesundheitsämtern hat. Augenscheinlich wurde im Bereich der Infektionskontrolle und Prävention in dieser Pandemie am meisten versäumt. Denn an vielen anderen Stellen hat Corona tatsächlich den lange erhofften und viel beschworenen Digitalisierungsschub angespornt. Und etliches davon hat uns ein Stück besser durch die Pandemie gebracht. Man denke an das Divi-Register, das Intensivmediziner gleich zu Beginn der Krise geschaffen haben. Die Übersicht freier Intensivkapazitäten war in den Spitzenzeiten für schwer kranke Patienten lebensrettend und ist einer der zentralen Bausteine des Pandemiemanagements.
Dazu zählt zum Beispiel die längst überfällige Vernetzung zwischen Gesundheitsämtern, Laboren und Robert Koch-Institut (RKI). Durch die Pandemie hat das seit Jahren vor sich hin dümpelnde Projekt zwar an Tempo gewonnen, doch die beiden entsprechenden Informationssystemen Sormas und Demis werden vielerorts bis heute nicht genutzt. So stellen die Gutachter zu ihrer eigenen Überraschung fest, „dass die Gesundheitsämter bis zuletzt (Stand: April 2021) Infektionszahlen immer noch in großem Umfang per Telefax an das Robert Koch-Institut melden.“
Es nutzt auch nichts, wenn man in wenigen Monaten eine Corona-App entwickelt, die kaum Daten erhebt und keine Schnittstelle zu den nachverfolgenden Gesundheitsämtern hat. Augenscheinlich wurde im Bereich der Infektionskontrolle und Prävention in dieser Pandemie am meisten versäumt. Denn an vielen anderen Stellen hat Corona tatsächlich den lange erhofften und viel beschworenen Digitalisierungsschub angespornt. Und etliches davon hat uns ein Stück besser durch die Pandemie gebracht. Man denke an das Divi-Register, das Intensivmediziner gleich zu Beginn der Krise geschaffen haben. Die Übersicht freier Intensivkapazitäten war in den Spitzenzeiten für schwer kranke Patienten lebensrettend und ist einer der zentralen Bausteine des Pandemiemanagements.
Die Charité setzt mobile Roboter ein und die Ferndiagnose erlebt einen Durchbruch
Dass Daten heilsam sein können, zeigt sich Tag für Tag in den Krankenhäusern. Woher wissen Ärzte und Pflegekräfte, wie man ein bis dato unbekanntes Krankheitsbild am besten behandelt, etwa wann und wie man am besten beatmen muss? Durch einen Informationsaustausch, der nicht per Telefax stattfindet, sondern auf einschlägigen Plattformen und internationalen Pre-Print-Servern. Hinter manchen Erkenntnissen steckt Künstliche Intelligenz, andere basieren auf klinischen Studien, viele auf reiner Beobachtung und Erfahrung. Das LEOSS-Fallregister etwa sammelt auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie Informationen zu Sars-CoV-2-infizierten Patienten in Europa und stellt sie der Wissenschaft zur Verfügung. Der gemeinsame Nenner ist, dass die Forschungsdaten auf den Servern über Ländergrenzen hinweg geteilt werden.
Da Ärzte von Informationen regelrecht überflutet werden, gibt es mittlerweile digitale Unterstützungssysteme. Eines stammt vom Berliner Unternehmen Amboss. Fast 400 Mitarbeiter – darunter 70 Ärzte – sortieren die Inhalte vor und bereiten sie digital auf. Ärzte können so aktuelles Fachwissen über Corona in Sekunden übers Smartphone abrufen. Unter den Nutzern sind nach Unternehmensangaben auch viele Unikliniken.
Den Medizinern wird durch das digitalisierte Wissen viel abgenommen, letztlich profitieren aber Patienten, wenn ihr Behandlungsteam auf dem Laufenden ist. Die Charité schickt deshalb seit Pandemiebeginn mobile Roboter auf Intensivstationen anderer Krankenhäuser der Stadt. Die telemedizinische Mitbetreuung intensivpflichtiger Covid-Patienten durch Level-1-Spezialisten kann unter Umständen schicksalsentscheidend sein. Derzeit sind 25 mobile Roboter im Einsatz und führen bis zu 60 Visiten am Tag durch.
Jenseits der Akutversorgung stehen Ärzte vor einem anderen Problem: Long Covid. Wegen der komplexen, chronischen Problematik baut das Universitätsklinikum Heidelberg gerade ein Netzwerk aus niedergelassenen Haus- und Fachärzten, Long-Covid-Ambulanz, Fachabteilungen und Rehakliniken im Rhein-Neckar-Kreis auf. Patienten können über eine App ihre Symptome eintragen und Ärzte auf eine Monitoring-Plattform zurückgreifen, wo alle Patientendaten zusammenlaufen sollen, auch neueste Forschungsdaten, digitale Fortbildungsangebote und Video-Konsultationen.
Da Ärzte von Informationen regelrecht überflutet werden, gibt es mittlerweile digitale Unterstützungssysteme. Eines stammt vom Berliner Unternehmen Amboss. Fast 400 Mitarbeiter – darunter 70 Ärzte – sortieren die Inhalte vor und bereiten sie digital auf. Ärzte können so aktuelles Fachwissen über Corona in Sekunden übers Smartphone abrufen. Unter den Nutzern sind nach Unternehmensangaben auch viele Unikliniken.
Den Medizinern wird durch das digitalisierte Wissen viel abgenommen, letztlich profitieren aber Patienten, wenn ihr Behandlungsteam auf dem Laufenden ist. Die Charité schickt deshalb seit Pandemiebeginn mobile Roboter auf Intensivstationen anderer Krankenhäuser der Stadt. Die telemedizinische Mitbetreuung intensivpflichtiger Covid-Patienten durch Level-1-Spezialisten kann unter Umständen schicksalsentscheidend sein. Derzeit sind 25 mobile Roboter im Einsatz und führen bis zu 60 Visiten am Tag durch.
Jenseits der Akutversorgung stehen Ärzte vor einem anderen Problem: Long Covid. Wegen der komplexen, chronischen Problematik baut das Universitätsklinikum Heidelberg gerade ein Netzwerk aus niedergelassenen Haus- und Fachärzten, Long-Covid-Ambulanz, Fachabteilungen und Rehakliniken im Rhein-Neckar-Kreis auf. Patienten können über eine App ihre Symptome eintragen und Ärzte auf eine Monitoring-Plattform zurückgreifen, wo alle Patientendaten zusammenlaufen sollen, auch neueste Forschungsdaten, digitale Fortbildungsangebote und Video-Konsultationen.
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In der ambulanten Versorgung sind derweil Videosprechstunden regelrecht explodiert. Wurden laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung im Jahr 2019 deutschlandweit 3000 Videosprechstunde abgerechnet, waren es allein im ersten Halbjahr 2020 rund 1,4 Millionen. Ähnliches ist bei den elektronischen Krankschreibungen passiert, was vor der Pandemie als undenkbar galt.
Einen Boom erleben auch Gesundheits-Apps wie Ada Health, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Endnutzern bei der Diagnose von Krankheitssymptomen hilft. Oder Plattformen für die Online-Terminvereinbarung wie Doctolib, die derzeit enorm vom Impfgeschäft profitieren. Der E-Health-Anbieter Samedi aus Berlin hat nach eigenen Angaben über seine Terminvergabe-Software bundesweit bereits eine Dreiviertelmillion Impftermine koordiniert. Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland immer noch Impfstoffreste weggeworfen werden, hat das Unternehmen vor einigen Wochen in Potsdam ein zusätzliches Projekt gestartet: Impfwillige können sich auf einer digitalen Warteliste eintragen und werden informiert, wenn am Ende des Tages noch Impfstoff übrig ist. Tausende Menschen haben auf diese Weise schon eine Impfung bekommen.
Bei aller Verunsicherung, die um den Impfstoff von Astrazeneca entstanden ist: Die Meldungen von Sinusvenenthrombosen aus verschiedenen Ländern belegt, dass selbst sehr seltene Nebenwirkungen erkannt werden und der Datenfluss zwischen den europäischen Überwachungsbehörden funktioniert. Und wenn bald der europaweite digitale Impfpass kommt, könnte die Europäische Union vielleicht wieder etwas Vertrauen zurückgewinnen, das sie bei der Impfstoffbestellung vermasselt hat.
Einen Boom erleben auch Gesundheits-Apps wie Ada Health, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Endnutzern bei der Diagnose von Krankheitssymptomen hilft. Oder Plattformen für die Online-Terminvereinbarung wie Doctolib, die derzeit enorm vom Impfgeschäft profitieren. Der E-Health-Anbieter Samedi aus Berlin hat nach eigenen Angaben über seine Terminvergabe-Software bundesweit bereits eine Dreiviertelmillion Impftermine koordiniert. Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland immer noch Impfstoffreste weggeworfen werden, hat das Unternehmen vor einigen Wochen in Potsdam ein zusätzliches Projekt gestartet: Impfwillige können sich auf einer digitalen Warteliste eintragen und werden informiert, wenn am Ende des Tages noch Impfstoff übrig ist. Tausende Menschen haben auf diese Weise schon eine Impfung bekommen.
Bei aller Verunsicherung, die um den Impfstoff von Astrazeneca entstanden ist: Die Meldungen von Sinusvenenthrombosen aus verschiedenen Ländern belegt, dass selbst sehr seltene Nebenwirkungen erkannt werden und der Datenfluss zwischen den europäischen Überwachungsbehörden funktioniert. Und wenn bald der europaweite digitale Impfpass kommt, könnte die Europäische Union vielleicht wieder etwas Vertrauen zurückgewinnen, das sie bei der Impfstoffbestellung vermasselt hat.
Foto: Imago
Erschienen im Tagesspiegel am 26.05.2021
Erschienen im Tagesspiegel am 26.05.2021