Impfen & Immunsystem

„Niemand kann voraussagen, wie sich die Krankheit entwickelt“

Wer als Kind Windpocken hatte, kann später an Gürtelrose leiden. Eine Folge sind chronische Schmerzen. Eine Impfung ist dringend empfohlen

Von Hella Kaiser

Noch immer gehören Windpocken zu den häufigsten Kinderkrankheiten. Fast jeder Erwachsene dürfte sie durchgemacht haben. Vergessen und vorbei? So einfach ist es leider nicht. Denn das auslösende Varizella-Zoster-Virus verschwindet nicht durch die Genesung, es schlummert weiter im Körper. Bei rund einem von drei Erwachsenen wird das Virus wieder aktiv, und die Betroffenen erkranken an Gürtelrose. Gerade ältere Menschen, deren Immunsystem schwächer wird, sind gefährdet. Etwa die Hälfte aller Gürtelrosen-Fälle sind Erwachsene im Alter von 60 Jahren oder älter. Vom 70. Lebensjahr an steigt das Risiko einer Gürtelrosen-Erkrankung deutlich.

Die Krankheit kann unterschiedliche Auslöser haben. Stress jeglicher Art spielt hier eine große Rolle. Ursächlich können zum Beispiel ein Sonnenbrand oder etwa lokale Eingriffe an der Wirbelsäule sein“, erklärt der Hautarzt Professor Gerd Gross von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft.

Eine Impfung gegen Grippe und Gürtelrose ist zeitgleich möglich

Wie zeigt sich die Krankheit? „Das Erste, was der Mensch merkt, ist nicht die Hautveränderung, sondern der Schmerz“, erklärt Gross. Anfangs könne er leicht sein, vielleicht ein einschießender Schmerz, der wieder verschwinde. Die Haut reagiert häufig schmerzempfindlich auf Berührungen. Dann kommt es zu Ausschlag, der am Bauch oder am Rücken auftreten kann, aber auch an der Stirn oder im Bereich der Ohren. Die Rötungen verwandeln sich in flüssigkeitsgefüllte Bläschen, die nach ein paar Tagen weiß werden und schließlich austrocknen. Schlimmstenfalls ist der Trigeminusnerv, ein Gesichtsnerv, betroffen, und das Auge wird in Mitleidenschaft gezogen. „Dann kann der Mensch sogar erblinden“, warnt Gross.

Bei weniger dramatischen Verläufen sei „der Spuk beim Normalpatienten nach 14 Tagen vorbei“, sagt der Experte. Aber: Die Schmerzen können anhalten. Denn wenn der Hautausschlag verschwunden ist, kann eine postherpetische Neuralgie (PHN) zurückbleiben. Der Mensch leidet an chronischen Schmerzen. Diese können so unerträglich werden, dass sie Menschen sogar in den Suizid treiben.
Sofort handeln. Ist der Ausschlag sichtbar, ist es fast schon zu spät. Besser, sich gegen Gürtelrose impfen zu lassen. Seit 2018 existiert ein neuer Totimpfstoff. „Das ist ein Segen“, meint Dermatologe Gerd Gross.
Sofort handeln. Ist der Ausschlag sichtbar, ist es fast schon zu spät. Besser, sich gegen Gürtelrose impfen zu lassen. Seit 2018 existiert ein neuer Totimpfstoff. „Das ist ein Segen“, meint Dermatologe Gerd Gross.
Sind die ersten Symptome einer Gürtelrose spürbar, muss sofort gehandelt werden. „An Wochenenden sollte man zum Beispiel nicht den Montag abwarten, sondern sofort den ärztlichen Bereitschaftsdienst konsultieren“, empfiehlt Gross. Die umgehende Behandlung könne die „Post-Zoster-Neuralgie“, ein jahrelanges Anhalten der Schmerzen, verhindern.

Früh erkannt, kann eine Gürtelrose recht gut behandelt werden. Besser aber ist es allemal, sich dagegen impfen zu lassen. Seit Mai 2018 gibt es einen Tot-Impfstoff gegen Gürtelrose, den das Robert-Koch-Institut ab 60-Jährigen empfiehlt. Er senkt das Risiko erheblich, an Herpes Zoster zu erkranken. Anders als der zuvor eingesetzte Lebendimpfstoff (den es seit 2013 gab und der nicht mehr für die Standardimpfung empfohlen wird) besteht er aus abgetöteten Erregern und enthält außerdem einen neuen Wirkverstärker. „Die Impfung ist ein Segen“, sagt Gross. „Der Totimpfstoff ist wesentlich besser, weil er gerade bei älteren Menschen sehr gut wirkt, aber auch bei immunschwachen Menschen.“

Man sollte diesen Impfstoff unbedingt vor Transplantationen einsetzen oder bei HIV-Patienten. Auch bei Menschen etwa mit schweren chronischen Krankheiten wie etwa rheumatoide Arthritis, Asthma oder Diabetes sei er dringend empfohlen.

Wer sich etwa gegen Grippe impfen lasse, könne zeitgleich auch eine Impfung gegen das Zoster Virus bekommen. „Das ist getestet und möglich“, sagt Gross. Aber wie verträgt sich die Impfung mit dem Schutz gegen Covid-19? Dazu laufe derzeit eine Studie in den USA, die aber noch nicht abgeschlossen sei. „Ich würde diese beiden Impfungen daher zeitlich trennen“, empfiehlt der Experte.
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Wichtig: Der Impfstoff müsse immer intramuskulär verabreicht werden. Und die Impfung müsse zwei Mal erfolgen, im Abstand von zwei, maximal sechs Monaten. „Wenn ein Patient kommt und sagt, er sei vor einem Jahr gegen das Zoster Virus geimpft worden und möchte nun die zweite Impfung, funktioniert das nicht“, sagt Gross. Dann beginne man von vorn, der Mensch müsse erneut zwei Mal mit dem Totimpfstoff geimpft werden.

Die ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Impfung allen Erwachsenen ab 60 Jahren, Menschen mit Immunschwäche oder chronischen Krankheiten bereits ab 50 Jahren. Die gesetzliche Krankenversicherung trägt die Kosten der Impfung. Privat Versicherte sollten die Kostenübernahme im Vorfeld direkt mit ihrer Privatkasse klären.

Möglicherweise wird die Gefahr, eine Gürtelrose zu entwickeln, in den kommenden Jahrzehnten sinken. Denn seit 2004 empfiehlt die Stiko eine Impfung gegen Windpocken, und seitdem sind Windpocken-Erkrankungen deutlich zurückgegangen. Machten vor 2004 noch jährlich rund 750 000 Kinder die Krankheit durch, so wurden 2017 nur noch 22 200 Windpocken-Fälle gemeldet.

Alle aber, die als Kind Windpocken hatten, sollten sich im späteren Leben um eine Gürtelrosen-Impfung kümmern. „Niemand kann voraussagen, ob man die Krankheit entwickelt und wie schwer sie wird, ob sie am Rücken auftritt, wo es meist harmloser ist, oder an der Hand, im Bereich der Ohren oder im Gesicht“, warnt Gross.
Foto: Petra Richli/Mauritius
Erschienen im Tagesspiegel am 30.09.2021