Wir werden dazu verdammt, Plastik zu kaufen, sagt Viola Wohlgemuth. Die Konsumexpertin über Verpackungsmüll und wirksame Alternativen
Von Ola Lebedowicz
Frau Wohlgemuth, essen Sie gern Müsli zum Frühstück?
Ab und zu. Aber dann selbstgemachtes – oder ich hole es im Unverpackt-Laden. Ich wohne zum Glück in Hamburg, da habe ich alles um die Ecke.
Und Müsli aus der Tüte?
Ein absolutes No-Go! Das ist wirklich eine der Sachen, die man gut unverpackt einkaufen kann.
Vielerorts ist es dennoch unmöglich.
Das ist das große Hindernis: Industrie und Politik wälzen die Verantwortung immer auf die Verbraucher:innen ab. Es gibt aber nach wie vor nicht genug Möglichkeiten, unverpackt einzukaufen. Diese künstliche Verknappung, die aktiv betrieben wird, führt dazu, dass wir als normale Konsument:innen am Ende dazu verdammt sind, Plastikmüll zu kaufen. Verpackungen sind eben bequem. Das muss sich ändern.
Sie haben kürzlich eine Petition ans Umweltministerium überreicht, in der das Recht auf unverpacktes Einkaufen eingefordert wird.
Mehr als 90 Prozent der Menschen in Deutschland wollen weniger Plastikmüll. Im Alltag ist das kaum machbar. Gerade unter Corona sehen wir, dass die bisherigen Bestrebungen extrem konterkariert werden von der Plastikindustrie.
Greift das neue Verpackungsgesetz, das am 1. Juli in Kraft getreten ist, zu kurz?
Eigentlich hätte das ein großer Wurf werden können. Diese Chance wurde vertan. Man hat zwar den berühmten Strohhalm verboten, aber das eigentliche Problem, das sogenannte Single-Use-Prinzip, also die Einmalnutzung, ist nicht angegangen worden. Die Industrie wechselt jetzt einfach auf andere Single-Use-Produkte: Statt Plastikstrohhalme, die man sogar noch recyclen könnte, gibt es nun Papierstrohhalme, die von innen mit Plastik beschichtet sind. In zehn Jahren gibt es dann den Aufschrei, dass das Meer voll davon ist und man sie deshalb auch verbieten muss. So kann es ewig weitergehen. Was wir mit dem Gesetz machen, ist: Wir fahren mit der Titanic langsamer auf den Eisberg zu, statt endlich mal den Kurs zu wechseln. Wir müssen aufhören, Single-Use-Verpackungen herzustellen.
Ab und zu. Aber dann selbstgemachtes – oder ich hole es im Unverpackt-Laden. Ich wohne zum Glück in Hamburg, da habe ich alles um die Ecke.
Und Müsli aus der Tüte?
Ein absolutes No-Go! Das ist wirklich eine der Sachen, die man gut unverpackt einkaufen kann.
Vielerorts ist es dennoch unmöglich.
Das ist das große Hindernis: Industrie und Politik wälzen die Verantwortung immer auf die Verbraucher:innen ab. Es gibt aber nach wie vor nicht genug Möglichkeiten, unverpackt einzukaufen. Diese künstliche Verknappung, die aktiv betrieben wird, führt dazu, dass wir als normale Konsument:innen am Ende dazu verdammt sind, Plastikmüll zu kaufen. Verpackungen sind eben bequem. Das muss sich ändern.
Sie haben kürzlich eine Petition ans Umweltministerium überreicht, in der das Recht auf unverpacktes Einkaufen eingefordert wird.
Mehr als 90 Prozent der Menschen in Deutschland wollen weniger Plastikmüll. Im Alltag ist das kaum machbar. Gerade unter Corona sehen wir, dass die bisherigen Bestrebungen extrem konterkariert werden von der Plastikindustrie.
Greift das neue Verpackungsgesetz, das am 1. Juli in Kraft getreten ist, zu kurz?
Eigentlich hätte das ein großer Wurf werden können. Diese Chance wurde vertan. Man hat zwar den berühmten Strohhalm verboten, aber das eigentliche Problem, das sogenannte Single-Use-Prinzip, also die Einmalnutzung, ist nicht angegangen worden. Die Industrie wechselt jetzt einfach auf andere Single-Use-Produkte: Statt Plastikstrohhalme, die man sogar noch recyclen könnte, gibt es nun Papierstrohhalme, die von innen mit Plastik beschichtet sind. In zehn Jahren gibt es dann den Aufschrei, dass das Meer voll davon ist und man sie deshalb auch verbieten muss. So kann es ewig weitergehen. Was wir mit dem Gesetz machen, ist: Wir fahren mit der Titanic langsamer auf den Eisberg zu, statt endlich mal den Kurs zu wechseln. Wir müssen aufhören, Single-Use-Verpackungen herzustellen.
Viola Wohlgemuth ist Pharmazeutin und arbeitet seit 2018 bei Greenpeace Deutschland als Konsumexpertin mit den Schwerpunkten Ressourcenschutz und Plastikmüll.
Wie kann das gelingen?
Wir brauchen einen grundlegenden Wandel hin zum flächendeckenden Mehrweg. Das wäre sogar für die Wirtschaft und für neue Arbeitsplätze gut. Wir haben in Deutschland ein wunderbares Pfandsystem. Jedes Kind weiß, dass es seine Wasserflasche in den Automaten geben kann. Genau das könnte man ausweiten und Lebensmittel in Mehrwegbehältern anbieten, die man zurückgeben kann – und zwar überall, egal, ob ich in Berlin oder in München einkaufe.
Ausgerechnet in Pandemie-Zeiten fragten sich Menschen aber, wie hygienisch solche Lösungen und unverpackte Waren sind?
Dabei gibt es keine wissenschaftliche Grundlage, die diese Sorge bestätigt. Im Gegenteil, das Coronavirus und andere Erreger sind auf einer Plastikverpackung sogar länger infektiös, als zum Beispiel auf einem Jutebeutel oder einer Metalloberfläche. Die Verpackungsindustrie instrumentalisiert Corona, um ihr kaputtes System durch Desinformation und Verwirrung aufrechtzuerhalten. Deswegen fordern wir auch eine Änderung der Hygieneverordnung. Aktuell ist das Auslegungssache von den Ordnungsämtern vor Ort. Wir brauchen einheitliche Regeln, die in das Recht auf unverpacktes Einkaufen einfließen. Es kann nicht sein, dass in Hamburg-Nord anderes gesagt wird als in Altona. Das ist absurd – und genau dann haben die Leute Angst.
Am Anfang der Pandemie war viel die Rede von Entschleunigung und Umdenken. Heute wissen wir, dass wir in der Zeit noch mehr Plastik verbrauchen als sonst.
Allein 2020 gab es in Deutschland 11 Prozent mehr Verpackungsmüll. Ein Teil davon war sicher unsere Schutzausrüstung, Handschuhe und Masken. Die Masse stammte jedoch von den Lebensmitteln. Wir saßen nicht mehr in der Kantine oder im Restaurant und haben unser Essen in To-Go-Verpackungen mitgenommen. Deshalb ist es wichtig, dass auch Restaurants und Lieferdienste eine Mehrwegalternative anbieten. Die entsprechende Regulierung tritt ab 2023 in Kraft. Die Mehrweglösung muss auch im Onlinehandel Pflicht sein. Das ist übrigens nicht utopisch. Ein Beispiel ist China: Dort sind 50 Millionen Mehrwegverpackungen in einem Jahr auf den Markt gekommen, die im Onlinehandel verpflichtend genutzt werden müssen.
Wir sprachen vorhin von der Plastikindustrie. Wer steckt eigentlich dahinter?
Große Ölkonzerne, die Schwergewichte der Industrialisierung. Wir werden bald einen Rapport veröffentlichen, der die Verstrickungen zeigt. Frisches Plastik bedeutet frisches Erdöl. Die Alternativen wie Mehrweg oder unverpackt stören ihr Geschäftsmodell – und werden deshalb international mit Zähnen und Klauen bekämpft. Die Plastikproduktion ist der einzige Bereich, wo diese Industrie immer noch exponentiell wächst.
Glauben Sie, dass die neue Bundesregierung hier einen Riegel vorschiebt?
Die Klimakrise wird uns dazu zwingen. Wir müssen von der „Nach mir die Sinnflut“-Mentalität wegkommen. Was mir Mut macht, ist die junge Generation, die mit klarer Sprache auf die Straße geht.
In Deutschland sind knapp 60 Prozent der Wahlberechtigten aber älter als 49 Jahre.
Trotzdem glaube ich, dass selbst eine reine CDU-Regierung um dieses Thema nicht mehr drum herumkommt. Die neue Politik muss grüner werden.
Wir brauchen einen grundlegenden Wandel hin zum flächendeckenden Mehrweg. Das wäre sogar für die Wirtschaft und für neue Arbeitsplätze gut. Wir haben in Deutschland ein wunderbares Pfandsystem. Jedes Kind weiß, dass es seine Wasserflasche in den Automaten geben kann. Genau das könnte man ausweiten und Lebensmittel in Mehrwegbehältern anbieten, die man zurückgeben kann – und zwar überall, egal, ob ich in Berlin oder in München einkaufe.
Ausgerechnet in Pandemie-Zeiten fragten sich Menschen aber, wie hygienisch solche Lösungen und unverpackte Waren sind?
Dabei gibt es keine wissenschaftliche Grundlage, die diese Sorge bestätigt. Im Gegenteil, das Coronavirus und andere Erreger sind auf einer Plastikverpackung sogar länger infektiös, als zum Beispiel auf einem Jutebeutel oder einer Metalloberfläche. Die Verpackungsindustrie instrumentalisiert Corona, um ihr kaputtes System durch Desinformation und Verwirrung aufrechtzuerhalten. Deswegen fordern wir auch eine Änderung der Hygieneverordnung. Aktuell ist das Auslegungssache von den Ordnungsämtern vor Ort. Wir brauchen einheitliche Regeln, die in das Recht auf unverpacktes Einkaufen einfließen. Es kann nicht sein, dass in Hamburg-Nord anderes gesagt wird als in Altona. Das ist absurd – und genau dann haben die Leute Angst.
Am Anfang der Pandemie war viel die Rede von Entschleunigung und Umdenken. Heute wissen wir, dass wir in der Zeit noch mehr Plastik verbrauchen als sonst.
Allein 2020 gab es in Deutschland 11 Prozent mehr Verpackungsmüll. Ein Teil davon war sicher unsere Schutzausrüstung, Handschuhe und Masken. Die Masse stammte jedoch von den Lebensmitteln. Wir saßen nicht mehr in der Kantine oder im Restaurant und haben unser Essen in To-Go-Verpackungen mitgenommen. Deshalb ist es wichtig, dass auch Restaurants und Lieferdienste eine Mehrwegalternative anbieten. Die entsprechende Regulierung tritt ab 2023 in Kraft. Die Mehrweglösung muss auch im Onlinehandel Pflicht sein. Das ist übrigens nicht utopisch. Ein Beispiel ist China: Dort sind 50 Millionen Mehrwegverpackungen in einem Jahr auf den Markt gekommen, die im Onlinehandel verpflichtend genutzt werden müssen.
Wir sprachen vorhin von der Plastikindustrie. Wer steckt eigentlich dahinter?
Große Ölkonzerne, die Schwergewichte der Industrialisierung. Wir werden bald einen Rapport veröffentlichen, der die Verstrickungen zeigt. Frisches Plastik bedeutet frisches Erdöl. Die Alternativen wie Mehrweg oder unverpackt stören ihr Geschäftsmodell – und werden deshalb international mit Zähnen und Klauen bekämpft. Die Plastikproduktion ist der einzige Bereich, wo diese Industrie immer noch exponentiell wächst.
Glauben Sie, dass die neue Bundesregierung hier einen Riegel vorschiebt?
Die Klimakrise wird uns dazu zwingen. Wir müssen von der „Nach mir die Sinnflut“-Mentalität wegkommen. Was mir Mut macht, ist die junge Generation, die mit klarer Sprache auf die Straße geht.
In Deutschland sind knapp 60 Prozent der Wahlberechtigten aber älter als 49 Jahre.
Trotzdem glaube ich, dass selbst eine reine CDU-Regierung um dieses Thema nicht mehr drum herumkommt. Die neue Politik muss grüner werden.
Fotos: Maria Kraynova/Pexels, Jiri Rezac/Greenpeace
Erschienen im Tagesspiegel am 17.09.2021
Erschienen im Tagesspiegel am 17.09.2021