Parolen, Krach, Polizei: DIE BESTEN PROTEST-SZENEN aus queeren Filmen und Fernsehserien
Von Nadine Lange
Zur queeren Emanzipation haben seit jeher auch Filme beigetragen. Man denke nur an „Anders als die Anderen“, in dem 1919 zum ersten Mal Homosexualität thematisiert und gegen den Paragafen 175 argumentiert wurde. Seither haben zahlreiche Coming-Out-Filme, Aids-Dramen und Fernsehserien vom Leben, Lieben und Leiden der LGBTI-Community erzählt. Immer wieder kommen auch queere Protestaktionen in den Blick – mal basierend auf wahren Ereignissen, mal völlig fiktiv. Zur Einstimmung auf die Demo-Saison haben wir einige der schönsten Szenen zusammengestellt.
PRIDE (2014)
Ein roter Minivan kurvt über den Rasen, auf dem sich der London Pride startbereit macht. Der Bus hält direkt auf die Mitglieder von „Lesbians & gays support the miners“ zu. Große Augen gefolgt von großer Freude als klar wird, wer hier anreist: Bewohner*innen einer walisischen Bergarbeiterstadt, die die Queers während eines monatelangen Streiks mit Spendenaktionen unterstützt hatten. „Wo sind meine Lesben“, fragt die alte Dame mit der Brille beim Aussteigen. Umarmung, Jubel und ein Blick zur Straße, wo mehrere Reisebusse mit Bergarbeitern ankommen. Mit ihren Bannern und einer Blaskappelle werden sie die Parade anführen – ein beeindruckendes, rührendes Bild. bieten. Man hat das ja schon bei den French Open gesehen, wie toll es für die Spieler ist, wenn ein paar Zuschauer da sind. Da kommt eine ganz andere Stimmung auf.
PRIDE (2014)
Ein roter Minivan kurvt über den Rasen, auf dem sich der London Pride startbereit macht. Der Bus hält direkt auf die Mitglieder von „Lesbians & gays support the miners“ zu. Große Augen gefolgt von großer Freude als klar wird, wer hier anreist: Bewohner*innen einer walisischen Bergarbeiterstadt, die die Queers während eines monatelangen Streiks mit Spendenaktionen unterstützt hatten. „Wo sind meine Lesben“, fragt die alte Dame mit der Brille beim Aussteigen. Umarmung, Jubel und ein Blick zur Straße, wo mehrere Reisebusse mit Bergarbeitern ankommen. Mit ihren Bannern und einer Blaskappelle werden sie die Parade anführen – ein beeindruckendes, rührendes Bild. bieten. Man hat das ja schon bei den French Open gesehen, wie toll es für die Spieler ist, wenn ein paar Zuschauer da sind. Da kommt eine ganz andere Stimmung auf.
Das ist 1985 tatsächlich so gewesen. Regisseur Matthew Warchus erzählt in „Pride“, wie es dazu kam. Sein Film beginnt beim London Pride des Vorjahres, als der Aktivist Mark (Ben Schnetzer) spontan Geld für die Streikenden sammelt und die „Lesbians & gays support the miners“ gründet. So ist dieser vielleicht beste Pride-Film überhaupt vor allem ein Film über Solidarität und ein gutes Anschauungsmaterial für alle, die der queeren Bewegung egomane Selbstbezogenheit vorwerfen.
MILK (2008)
Fäuste fliegen in den Nachhimmel. „Gay rights now“ skandiert die aufgebrachte Menge, die durch die Straßen von San Francisco marschiert. Polizeisirenen heulen, die Stimmung ist aufgeheizt, weil im Juni 1977 eine Volksbefragung in Florida zur Rücknahme einer Anti-Diskriminierungsverordnung geführt hat. Unter den Demonstrierenden ist auch der schwule Politiker Harvey Milk (Sean Penn), der dafür sorgt, dass die Demo nicht zu einem gewalttätigen Aufstand wird. Auf den Treppen eines von der Polizei abgeriegelten Gebäudes hält er eine mitreißende Rede, spricht davon, dass die Homosexuellen nicht mehr still in ihrer Ecke hocken wollen und, dass nun die Zeit für eine nationale Bewegung gekommen ist. „Wir müssen uns wehren, nicht nur im Castro, nicht nur in San Fancisco, sondern überall“, ruft er den Queers zu.
Regisseur Gus van Sant filmt das in seinem Biopic „Milk“ leicht aus der Untersicht, als stünde die Kinozuschauerin zwischen den Protestierenden. Sean Penn, der für die Rolle einen Oscar bekam, sieht gut aus mit roter Jacke und Megafon. Er lässt Milk nicht wie einen fanatischen Einpeitscher wirken, sondern wie einen besonnenen Mann, der mit seinen Worten zu begeistern weiß. Deshalb wird er bald darauf auch zum Stadtrat gewählt – im dritten Anlauf als erster offen homosexuelle Politiker in den USA.
KOKON (2020)
Sommer, Sonne, erste Liebe – und der erste CSD. Nora (Lena Urzendowsky,) ist mit ihrer Freundin Romy (Jella Haase), die den Arm um ihre Schulter gelegt hat, auf einem kleinen Umzug in Kreuzberg. Er sieht ein bisschen aus wie einst der transgeniale CSD. Die Mädchen lachen, küssen sich, verschmelzen mit der Menge. Leonie Krippendorff inszeniert diese Sequenz in ihrem einfühlsamen Coming-of-Age-Film „Kokon“ wie einen strahlenden Glückmoment für ihre 14-jährige Protagonistin, die gerade ihre Queerness entdeckt. Dass dazu auch der Besuch eines ganz beiläufig gezeigten Prides gehört, zählt zu den vielen feinen Details, dieses wunderbaren Films.
MILK (2008)
Fäuste fliegen in den Nachhimmel. „Gay rights now“ skandiert die aufgebrachte Menge, die durch die Straßen von San Francisco marschiert. Polizeisirenen heulen, die Stimmung ist aufgeheizt, weil im Juni 1977 eine Volksbefragung in Florida zur Rücknahme einer Anti-Diskriminierungsverordnung geführt hat. Unter den Demonstrierenden ist auch der schwule Politiker Harvey Milk (Sean Penn), der dafür sorgt, dass die Demo nicht zu einem gewalttätigen Aufstand wird. Auf den Treppen eines von der Polizei abgeriegelten Gebäudes hält er eine mitreißende Rede, spricht davon, dass die Homosexuellen nicht mehr still in ihrer Ecke hocken wollen und, dass nun die Zeit für eine nationale Bewegung gekommen ist. „Wir müssen uns wehren, nicht nur im Castro, nicht nur in San Fancisco, sondern überall“, ruft er den Queers zu.
Regisseur Gus van Sant filmt das in seinem Biopic „Milk“ leicht aus der Untersicht, als stünde die Kinozuschauerin zwischen den Protestierenden. Sean Penn, der für die Rolle einen Oscar bekam, sieht gut aus mit roter Jacke und Megafon. Er lässt Milk nicht wie einen fanatischen Einpeitscher wirken, sondern wie einen besonnenen Mann, der mit seinen Worten zu begeistern weiß. Deshalb wird er bald darauf auch zum Stadtrat gewählt – im dritten Anlauf als erster offen homosexuelle Politiker in den USA.
KOKON (2020)
Sommer, Sonne, erste Liebe – und der erste CSD. Nora (Lena Urzendowsky,) ist mit ihrer Freundin Romy (Jella Haase), die den Arm um ihre Schulter gelegt hat, auf einem kleinen Umzug in Kreuzberg. Er sieht ein bisschen aus wie einst der transgeniale CSD. Die Mädchen lachen, küssen sich, verschmelzen mit der Menge. Leonie Krippendorff inszeniert diese Sequenz in ihrem einfühlsamen Coming-of-Age-Film „Kokon“ wie einen strahlenden Glückmoment für ihre 14-jährige Protagonistin, die gerade ihre Queerness entdeckt. Dass dazu auch der Besuch eines ganz beiläufig gezeigten Prides gehört, zählt zu den vielen feinen Details, dieses wunderbaren Films.
120 BPM (2017)
Kunstblut spritzt gegen die Bürowände, die Tische und den Teppich. Junge Aktivist*innen von „Act Up“ Paris sind in die Zentrale des Pharmakonzerns Melton Pharm eingedrungen und rufen „Mörder, Mörder“, denn sie werfen dem Konzern vor, aus Marketinggründen die Entwicklung eines neuen Medikamentes zu verzögern. Bald sieht das Büro aus, als habe hier ein Massaker stattgefunden. Genau das ist der Sinn der Aktion, denn für die HIV-positiven Aktivist*innen geht es Anfang der Neunziger um Leben und Tod. „Wir verrecken, verstehen Sie?“, brüllt Aktivist Sean (Nahuel Pérez Biscayart) den Firmenchef an.
Regisseur und Drehbuchautor Robin Campillo, der selbst Mitglied von „Act Up“ Paris war, hat mit „120 BPM“ einen der besten Aids-Filme aller Zeiten gedreht. Mit geradezu körperlicher Anschaulichkeit verdeutlich er, was der Kampf gegen das Virus und die gesellschaftliche Ignoranz mit den jungen Schwulen macht. Besonders eindringlich eine Szene, die am Welt-Aids-Tag spielt: Eine große Act-Up-Gruppe legt sich mitten in Paris auf die Straße, einige haben weiße Kreuze mitgebracht. Von oben gefilmt, sieht es aus wie ein offenes Massengrab.
ITTY BITTY TITTY COMMITTEE (2007)
Vor einem Amtgebäude in Sacramento kommt es zum Clash: Auf der einen Seite stehen queere Aktivist*innen, die rufen „Wir wollen heiraten“. Auf der anderen schreit eine religiöse Gruppe herum und hält Plakate hoch, die Homosexuelle verdammt. Auftritt der radikal-feministischen Gruppe „Clits in Action“ (CIA): Auf ihrem Plakat steht, dass die Ehe „eine beschränkten Perspektive“ ist. Anführerin Shuli (Carly Pope) wenden sich per Megafon an die Homos: „Warum kämpft ihr dafür, Teil einer Institution zu sein, die Frauen historisch und kategorisch diskriminiert?“ Jede Ehe-Form sei abzulehnen. Die meisten in der CIA sind lesbisch, aber heiraten wollen sie auf keinen Fall. Am Ende kommt es fast zur Schlägerei mit den Jesus-Freaks – die CIA zieht ab und verzeichnet ein PR-Desaster.
Kunstblut spritzt gegen die Bürowände, die Tische und den Teppich. Junge Aktivist*innen von „Act Up“ Paris sind in die Zentrale des Pharmakonzerns Melton Pharm eingedrungen und rufen „Mörder, Mörder“, denn sie werfen dem Konzern vor, aus Marketinggründen die Entwicklung eines neuen Medikamentes zu verzögern. Bald sieht das Büro aus, als habe hier ein Massaker stattgefunden. Genau das ist der Sinn der Aktion, denn für die HIV-positiven Aktivist*innen geht es Anfang der Neunziger um Leben und Tod. „Wir verrecken, verstehen Sie?“, brüllt Aktivist Sean (Nahuel Pérez Biscayart) den Firmenchef an.
Regisseur und Drehbuchautor Robin Campillo, der selbst Mitglied von „Act Up“ Paris war, hat mit „120 BPM“ einen der besten Aids-Filme aller Zeiten gedreht. Mit geradezu körperlicher Anschaulichkeit verdeutlich er, was der Kampf gegen das Virus und die gesellschaftliche Ignoranz mit den jungen Schwulen macht. Besonders eindringlich eine Szene, die am Welt-Aids-Tag spielt: Eine große Act-Up-Gruppe legt sich mitten in Paris auf die Straße, einige haben weiße Kreuze mitgebracht. Von oben gefilmt, sieht es aus wie ein offenes Massengrab.
ITTY BITTY TITTY COMMITTEE (2007)
Vor einem Amtgebäude in Sacramento kommt es zum Clash: Auf der einen Seite stehen queere Aktivist*innen, die rufen „Wir wollen heiraten“. Auf der anderen schreit eine religiöse Gruppe herum und hält Plakate hoch, die Homosexuelle verdammt. Auftritt der radikal-feministischen Gruppe „Clits in Action“ (CIA): Auf ihrem Plakat steht, dass die Ehe „eine beschränkten Perspektive“ ist. Anführerin Shuli (Carly Pope) wenden sich per Megafon an die Homos: „Warum kämpft ihr dafür, Teil einer Institution zu sein, die Frauen historisch und kategorisch diskriminiert?“ Jede Ehe-Form sei abzulehnen. Die meisten in der CIA sind lesbisch, aber heiraten wollen sie auf keinen Fall. Am Ende kommt es fast zur Schlägerei mit den Jesus-Freaks – die CIA zieht ab und verzeichnet ein PR-Desaster.
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Jamie Babbits Komödie „Itty Bitty Titty Committee“ ruft in Erinnerung, dass die Ehe für alle in der queeren Community – auch hierzulande – durchaus umstritten war. Inzwischen ist das nahezu vergessen. Die CIA wendet sich mit ihren kreativen Protestaktionen dann bald anderen Zielen zu.
IT’S A SIN (2021)
„Aids needs aid“ steht auf den weißen T-Shirts des kleinen Demo-Grüppchens, das sich an einem grauen Nachmittag Ende der Achtziger vor der Konzernzentrale eines Londoner Pharmaunternehmens versammelt. Ein Teil von ihnen legt sich mitten auf die Kreuzung, bringt den Verkehr zum Erliegen. Es wirkt wie ein Schwesterszene zu „120 BPM“. Einer der Aktivisten greift die Mitarbeitenden der Firma per Megafon an: „Sie haben Medikamente, die sie zurückhalten“, ruft er und wirft ihnen Geschäftemacherei mit der neuen Krankheit vor. „Wir sterben und sie profitieren.“ Kurz darauf kommt die Polizei und schleppt die Aktivist*innen von der Straße. Schließlich landen alle in einem Polizei-Transporter.
Die Szene stammt aus der vierten Episode der fünfteiligen britischen Serie „It’s a Sin“, die nach ihrer Berlinale-Premiere gerade auf Starzplay angelaufen ist und von vier jungen Schwulen und ihrer besten Freundin erzählt. Voller Enthusiasmus starten sie in ihr Großstadtleben mit Partys, Sex und ersten Karriereschritten. Bis das HI-Virus auftaucht und alles verfinstert. Die von Russell T Davies („Queer as Folk“) entwickelte Serie zeichnet ein bewegendes Bild dieser von Angst, Scham und Tod geprägten Zeit. Aber auch von der Macht der Freundschaft und des Widerstandes.
IT’S A SIN (2021)
„Aids needs aid“ steht auf den weißen T-Shirts des kleinen Demo-Grüppchens, das sich an einem grauen Nachmittag Ende der Achtziger vor der Konzernzentrale eines Londoner Pharmaunternehmens versammelt. Ein Teil von ihnen legt sich mitten auf die Kreuzung, bringt den Verkehr zum Erliegen. Es wirkt wie ein Schwesterszene zu „120 BPM“. Einer der Aktivisten greift die Mitarbeitenden der Firma per Megafon an: „Sie haben Medikamente, die sie zurückhalten“, ruft er und wirft ihnen Geschäftemacherei mit der neuen Krankheit vor. „Wir sterben und sie profitieren.“ Kurz darauf kommt die Polizei und schleppt die Aktivist*innen von der Straße. Schließlich landen alle in einem Polizei-Transporter.
Die Szene stammt aus der vierten Episode der fünfteiligen britischen Serie „It’s a Sin“, die nach ihrer Berlinale-Premiere gerade auf Starzplay angelaufen ist und von vier jungen Schwulen und ihrer besten Freundin erzählt. Voller Enthusiasmus starten sie in ihr Großstadtleben mit Partys, Sex und ersten Karriereschritten. Bis das HI-Virus auftaucht und alles verfinstert. Die von Russell T Davies („Queer as Folk“) entwickelte Serie zeichnet ein bewegendes Bild dieser von Angst, Scham und Tod geprägten Zeit. Aber auch von der Macht der Freundschaft und des Widerstandes.
Fotos: Salzgeber, Senator, RED Production Company, Imago
Erschienen im Tagesspiegel am 25.06.2021
Erschienen im Tagesspiegel am 25.06.2021