Vererben & Stiften 2021

In digitalem Gedenken

Twitter, Netflix, Xing – heute haben viele online ein zweites Leben. Aber: Was soll mit den Konten nach dem Tod passieren?

Von Veronika Csizi

Im Mai 2020 ist der evangelische Pfarrer Bernd S. aus Berlin Reinickendorf verstorben. Seine analogen Spuren sind verwischt, doch seine digitalen existieren noch: Die persönlichen Seiten auf Facebook und Instagram sind weiterhin online – Videos, Kommentare, Fotos sichtbar. Nachdem ein Nachlasskontakt auf dem Facebook-Account des Pfarrers über den Tod informiert hatte, leben die Erinnerungen mit Einverständnis des Verstorbenen weiter. Anders beim kürzlich in Portugal tödlich verunglückten Sohn von Michael Ballack: Bereits kurz nach seinem Tod war der Instagram-Account des 18-Jährigen gelöscht.

Die Rechtslage ist mittlerweile klarer. Zwar gibt es im deutschen Erbrecht keine ausdrückliche Regelung für das digitale Erbe im Allgemeinen. Hier wirken das Persönlichkeitsrecht (postmortal), das Urheberrecht und das Telemediengesetz zusammen. In einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof am 12. Juli 2018 aber immerhin festgestellt, dass das digitale Erbe dem materiellen gleichgestellt ist. Erbberechtigte Hinterbliebene erben also nicht nur die analoge, sondern auch die digitale Hinterlassenschaft. Damit werden alle Rechte zur Nutzung und Verwaltung auf die Erben übertragen, ebenso wie Pflichten aus Verträgen, beispielsweise aus digitalen Abos.

82 Prozent der Menschen kümmert sich nicht um ihren digitalen Nachlass

Die Erben haben auch gegenüber den Betreibern sozialer Netzwerke einen Anspruch auf Zugang zum Konto des Verstorbenen, samt aller darin hinterlegten Inhalte– allerdings erst, wenn der Nachlass geregelt und ein Erbschein ausgestellt ist. Doch wer bereits zu Lebzeiten aufschreibt, welche Online-Präsenz er oder sie hatte und was damit nach seinem oder ihrem Tod geschehen soll, macht es den Hinterbliebenen einfacher und ermöglicht schnellere Lösungen. Da neun von zehn Deutschen online aktiv sind und dabei viele digitale Spuren hinterlassen, betrifft die Frage des digitalen Nachlasses die meisten von uns.

Die Bundesregierung empfiehlt deshalb jedem Online-Nutzer schriftlich festzulegen, wer das digitale Erbe verwalten solle und wie mit den persönlichen Daten umzugehen ist. Sinnvoll sei es, schriftlich eine Vertrauensperson zu bestimmen und eine Liste mit allen Konten einschließlich der Passwörter ausgedruckt an einem sicheren Ort zu verwahren – oder als Dokument verschlüsselt zu hinterlegen, vielleicht auf einem USB-Stick. Was alles auf dem Dokument festgehalten werden muss, hat die Stiftung Warentest in einer Musterliste zusammengefasst. Zum digitalen Nachlass gehören etwa Konten und Passwörter für E-Mail-Dienste, soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat oder Whatsapp, berufliche Dienste wie Xing oder Linkedin, Zugänge zu Onlineshops, Bezahldiensten, zur eigenen Homepage, zur Streaming-Diensten wie Spotify oder Netflix. Auch Speicher in der Cloud, Abos für E-Books, Nutzungsrechte für eine Software, Blogs, Rechte an digitalen Daten wie Bildern wollen berücksichtigt sein.
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Wichtig zu wissen: die Vertrauensperson muss kein Erbberechtigter sein, es kann auch eine Freundin oder ein Rechtsanwalt sein. Wer seinem Wunsch mehr Gewicht verleihen möchte, kann für den Fall, dass man nicht mehr gesund genug, nicht mehr geschäftsfähig oder verstorben ist, auch eine Vollmacht ausstellen. Sie wird am besten handschriftlich erstellt, datiert und enthält den Hinweis, dass ihr Inhalt „über den Tod hinaus“ gelten soll. Völlig rechtssicher wird die Übernahme digitaler Verantwortung für den Verstorbenen, wenn ein Rechtsanwalt oder Notar die Vollmacht erarbeitet oder wenn ein Testament mit Nennung eines beliebigen Bevollmächtigten vorliegt. Wird niemand genannt, so haben alle gesetzlichen Erben Zugriff – was vielleicht nicht immer gewünscht sein könnte.

Die Allianz rät deshalb davon ab, Passwortlisten und Zugangsdaten einfach ins Testament zu schreiben, denn diese werden dann vom Nachlassgericht an alle Erben verschickt. Auch könnte dann unter den Erben leicht Streit über die Behandlung von digitalen Hinterlassenschaften entstehen. Sinnvoller sei es, Passwörter extern zu speichern oder im Passwortmanager des Rechners verschlüsselt zu hinterlegen – und einem selbst gewählten und bevollmächtigten Vertrauten das Master-Passwort zu nennen. Wer schon zu Lebzeiten einen persönlichen, digitalen Nachlassverwalter bestimmt, kann auch festlegen, was mit den Inhalten in den sozialen Netzwerken geschehen soll: Sollen sie weiter, etwa zum Gedenken, sichtbar sein – oder soll der Account gelöscht werden?
Verzweifelte Suche. Jede drei Minuten stirbt hierzulande ein Facebook–Nutzer. Wer bereits zu Lebzeiten aufschreibt, welche Accounts und Passwörter existieren und was mit den Daten im Todesfall geschehen soll, spart den Hinterbliebenen viel Zeit und Ärger.
Verzweifelte Suche. Jede drei Minuten stirbt hierzulande ein Facebook–Nutzer. Wer bereits zu Lebzeiten aufschreibt, welche Accounts und Passwörter existieren und was mit den Daten im Todesfall geschehen soll, spart den Hinterbliebenen viel Zeit und Ärger.
Einige soziale Netzwerke tragen inzwischen der Tatsache Rechnung, dass jeden Tag Zigtausende ihrer Nutzer versterben. In Deutschland beispielsweise stirbt alle drei Minuten ein Facebook-Nutzer, der zuvor nicht festgelegt hat, was nach seinem Tod mit dem Konto geschehen soll. Pro Jahr sind dies dann 375 000 User. Die Universität Oxford hat sogar errechnet, dass 2070 mehr Tote als Lebendige bei Facebook registriert sein könnten. Bei Google etwa können Nutzer zu Lebzeiten in einem Kontoinaktivitäts-Manager mitteilen, wer Zugriff auf die Daten haben soll und wann das Konto gegebenenfalls gelöscht werden soll. Facebook und Instagram ermöglichen es Freunden oder Angehörigen eines Verstorbenen, ein Konto auf Antrag in den Gedenkmodus versetzen zu lassen. Dazu sei aber ein Beleg notwendig, beispielsweise eine Todesanzeige, heißt es bei Facebook.

Im digitalen Nachlassverwalter kann jeder schon zu Lebzeiten selbst festlegen, was nach seinem Tod mit dem Account geschehen soll. Ist dort niemand genannt, wird das Konto in den Gedenkzustand versetzt, ist damit auch sichtbar, wird aber nicht mehr gepflegt. Nahe Verwandte können als Erben des digitalen Vermächtnisses ein Konto aber trotzdem löschen lassen, wenn sie folgende Bedingungen erfüllen: Sie müssen nachgewiesen unmittelbare Familienmitglieder sein, dazu eine Geburts- und eine Sterbeurkunde des verstorbenen Verwandten vorweisen sowie einen rechtsgültigen Nachweis darüber, dass man der Vertreter der verstorbenen Person oder dessen Erbe ist.
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Malteser Hilfsdienst e.V., Katrin Göhler
Stiftung Welthungerhilfe
Bei plötzlichen Todesfällen oder wenn der Verstorbene, wie 82 Prozent der Menschen, seinen digitalen Nachlass nicht geregelt hat, stehen Hinterbliebene oft vor einer emotional aufwühlenden und schwierigen Suche nach Accounts, Mails, und Bildern im Netz. Zwar müssen digitale Dienste, sobald der Erbschein ausgestellt ist, den Nachkommen Zugang gewähren. Doch wissen muss man dann ja: Wo war der Verstorbene überall angemeldet? Welche Daten hatte er digital gespeichert, welche Dienste verwendet? Die trauernden Hinterbliebenen fühlen sich hier oft überfordert, müssen aber aktiv werden, da sie als digitale Erben auch Pflichten übernehmen, also etwa App-Laufzeitverträge oder Cloud-Abos.

Inzwischen sind viele Unternehmen auf dem Markt, die den digitalen Nachlassdienst für die Erben übernehmen– natürlich gegen entsprechende Bezahlung. Sie helfen nicht nur bei der Suche nach Accounts, sondern finden Online-Bankkonten und Aktiendepots im In- und Ausland. Gerade in der Frage von Online-Konten ist klar: weder eine Vertrauensperson noch ein einzelner von mehreren Erben darf ungefragt auf das Vermögen des Verstorbenen zugreifen. Beim Geld, das zwar digital aufbewahrt wird, aber auch zur analogen Welt gehört, sind die Dinge klar geregelt: Es wird nach der gesetzlichen Erbfolge oder dem Vermächtnis des Verstorbenen aufgeteilt.
Foto: Getty Images
Erschienen im Tagesspiegel am 13.09.2021