Dermatologie & Aesthetik

Fast wie vorher

Krebsoperationen hinterlassen Spuren. Doch die Chirurgie hat große Fortschritte bei der REKONSTRUKTION von Körperteilen gemacht. Die weibliche Brust, aber auch Hoden oder Kiefer lassen sich wiederherstellen

Von Floris Kiezebrink

Jeder, der eine Krebserkrankung überlebt hat, schätzt sich erstmal glücklich. Glücklich, am Leben zu sein. Doch der Kampf hinterlässt immer Spuren. Die sind oft besonders sichtbar im Fall von Brustkrebs, wenn die Brust komplett amputiert werden musste. Mit ihr verliert die Patientin einen wichtigen Bestandteil ihrer Weiblichkeit, was psychisch sehr belastend sein kann. Ebenso gravierend können die Spuren bei Mund- und Rachenkrebs sein, bei dem der Patient durch die Entfernung des Tumors beispielsweise die Möglichkeit verliert, zu sprechen oder zu schlucken.

Doch dank des medizinischen Fortschrittes kann den Betroffenen Hoffnung geschenkt werden. Plastisch-rekonstruktive Chirurgen sind in der Lage, durch neue Methoden Teile des Körpers so zu rekonstruieren, dass die Funktionen und sogar die ästhetischen Eigenschaften wieder nahezu natürlich wirken und aussehen.

Die spezialisierten Chirurgen kommen in der Regel zum Einsatz nach einer Tumoroperation, nach einem Unfall, einer Fehlbildung des Körpers oder einer Verbrennung. Sie verfügen über eine Palette an Rekonstruktionstechniken, die mikrochirurgisch ausgeführt werden können: „Mittels eines Mikroskops und sehr präziser chirurgischer Instrumente kann man beispielsweise Nerven oder Gefäße wieder zusammennähen“, sagt Steffen Schirmer. Er ist Chefarzt der Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Mikrochirurgie und Handchirurgie am Sankt Marien Krankenhaus Berlin. So könne man an diversen Körperstellen Eigengewebe entnehmen – Haut, Fett oder Muskelgewebe – und dieses an einer anderen Stelle, an der zum Beispiel ein entfernter Tumor eine Lücke zurückließ, einsetzen. Das verlagerte Gewebe bleibt auch nach der Rekonstruktion dann mit Nerven und Blut versorgt.

Jedes Jahr erkranken um die 70 000 Frauen an Brustkrebs. Meist greifen die Chirurgen schnell zum Skalpell. Denn ist der Tumor relativ klein, kann man in der Regel brusterhaltend operieren. Die Brust ist hinterher – abgesehen von der Narbe – kaum von der gesunden Brust zu unterscheiden. Etwa drei Viertel der von Brustkrebs betroffenen Frauen in Deutschland werden auf dieser Art behandelt.

Ist der Tumor aber zu groß gewachsen, lässt sich eine Brustamputation nicht mehr vermeiden. Dann steht die betroffene Frau schon im Vorfeld des Eingriffs unmittelbar vor einer Entscheidung: Soll der Brustaufbau mit einer Prothese (Implantat) oder mit körpereigenem Gewebe erfolgen? Beides hat Vor- und Nachteile: Ein Implantat lässt sich beispielsweise einfacher einsetzen, fühlt sich aber nicht ganz so natürlich an. Körpereigenes Gewebe dagegen wirkt natürlicher und bleibt ein Leben lang in Form. Doch die OP dauert länger und es entstehen auch in anderen Körperregionen, wo das Gewebe entnommen wird, Narben. „Die Patientin muss dies so früh entscheiden, denn Brustamputation und -aufbau erfolgen häufig in einem Zug“, sagt Schirmer. Ist dies nicht möglich oder erwünscht, könne der plastische Chirurg die spätere Brustrekonstruktion aber während der Amputation zumindest schon vorbereiten. Gemeinsam mit dem Gynäkologen wird anhand der Größe und der Lage des Tumors entschieden, wie viel Haut entfernt werden muss und ob die Brustwarze erhalten werden kann.

Für eine Rekonstruktion mit Eigengewebe gibt es mehrere Möglichkeiten. In den meisten Fällen nimmt der Chirurg Haut und Fettgewebe inklusive der intakten Blutgefäße aus dem Unterbauch. Doch auch am Gesäß oder Oberschenkel befindet sich geeignetes Gewebe für die Rekonstruktion, wenn der Bauch dafür nicht ausreichend hergibt. Das Gewebe wird in Form von Blöcken oder „Lappen“ entnommen und dann unter die Brusthaut versetzt. Bei einem sogenannten „freien“ Lappen werden die Blutgefäße erst durchtrennt und danach an der neuen Position mit anderen Gefäßen verbunden. Die feinen Gefäße wieder zu verbinden, ist erst durch die Mikrochirurgie möglich.

Frauen müssen entscheiden: Prothese oder eigenes Gewebe?

Bei dem „gestielten“ Lappen wird in der Nähe der zu rekonstruierenden Stelle erst die Haut gelöst und der darunterliegende Gewebelappen nicht vollständig abgetrennt. Er bleibt mit den intakten Blutgefäßen und Nerven am alten Platz verbunden und wird von dort aus an den neuen Platz „umgeklappt“, ohne die Blutversorgung kappen zu müssen. Dann kommt die Haut wieder an ihren Platz.

Das ist zum Beispiel der Fall, wenn der Chirurg für die Brustrekonstruktion den großen Rückenmuskel versetzt. „Der Muskel wird dann erst mit der darüberliegenden Fettschicht und der Haut gelöst und ist nur noch mit seinen Blutgefäßen und Nerven verbunden“, erklärt Schirmer. „Das erlaubt es dann, ihn unter der Haut zur Brust zu rotieren, wo er mit Nähten befestigt wird.“ Meist müsse bei dieser Methode zusätzlich noch ein Implantat eingesetzt werden, denn das Volumen dieses Gewebestücks reicht in der Regel nicht für eine Brust aus. Die ursprüngliche Funktion des Rückenmuskels wird automatisch von anderen Rückenmuskeln übernommen.“

Auf der anderen Seite existieren Implantate. Die mit Silikonen oder Kochsalzlösung gefüllten Kissen gibt es in verschiedenen Formen und Größen und haben entweder glatte oder texturierte Oberflächen. Nachdem der Chirurg das Brustgewebe entfernt hat, schiebt er das Implantat durch einen schmalen Schnitt unter den Brustmuskel. Manchmal verwendet der Chirurg natürliches Hautgewebe oder ein Netz, das der Organismus mit der Zeit abbaut, um das Implantat an seinem Platz zu fixieren. „Für den grundsätzlichen Erfolg der Rekonstruktion ist der erste OP-Schritt der wichtigste“, sagt der Chirurg Schirmer. „Danach kann es aber sein, dass weitere Schritte nötig sind, um die endgültige Form der Brust zu erhalten oder die Symmetrie der beiden Brüste wiederherzustellen.“ Normalerweise tragen die Krankenkassen die Kosten für beide Rekonstruktionsverfahren, doch je nachdem, welche Methode verwendet wird, muss die Patientin möglicherweise einen höheren Zuschuss beantragen oder selbst zuzahlen.

Eine Studie im Fachmagazin JAMA Surgery aus dem Jahr 2018 zeigte, dass Frauen zufriedener sind, wenn die Brustrekonstruktion mit körpereigenem Gewebe erfolgte. „Vieles spricht für den Brustaufbau mit Eigengewebe“, sagt Schirmer. Der Eingriff sei zwar zeitintensiv, aber auch nachhaltiger. Während ein Implantat nach bestimmter Zeit – in der Regel nach zehn bis 20 Jahren, aber manchmal auch schon nach einem Jahr – mittels einer neuen Operation ausgetauscht werden muss, bleibt das Eigengewebe lebenslang stabil. Und die neue Brust fühle sich durch das körpereigene Gewebe natürlicher an. Sie sei weich, warm und passe sich dem Körper an. Nimmt die Patientin beispielsweise deutlich an Gewicht ab oder zu, verändert sich auch die rekonstruierte Brust mit. Das ist bei der künstlichen Alternative nicht der Fall. Das Implantat fühle sich eher unnatürlich und kalt an. „Als hätte man einen Tennisball unter der Haut“, sagt Schirmer. Außerdem reagiert der Körper, indem er das Implantat, das ja ein Fremdkörper ist, mit Bindegewebe umschließt. Die durch diese Immunreaktion entstandene Kapsel ist normalerweise weich und ähnelt dem normalen Brustgewebe. Doch manchmal verhärtet sie sich und drückt dadurch auf das Implantat, was Verformungen und Schmerzen auslösen kann – Mediziner nennen das Kapselfibrose. Um dieser Komplikation entgegenzuwirken, verwenden behandelnde Ärzte heutzutage häufig Implantate mit einer rauen Oberfläche. Diese Art Implantat steht jedoch unter dem Verdacht, eine seltene Art von Lymphdrüsenkrebs (BIA-ALCL) auszulösen, der erst viele Jahre nach der eigentlichen Rekonstruktion auftreten kann.

Trotzdem entscheiden sich 70 bis 80 Prozent der Frauen für eine Brustprothese. Und die Zahl steigt. Dass die meisten Frauen sich trotz aller Vorteile des Eigengewebes für ein Implantat entscheiden, ist möglicherweise nicht auf die Substanz, mit der die Brust aufgebaut wird, zurückzuführen, sondern auf die Brustrekonstruktion selbst. Denn ein deutlicher Vorteil der Brustrekonstruktion mit einem Implantat ist nämlich die weniger aufwendige Operation mit kürzerem Aufenthalt im Krankenhaus. Außerdem gibt es – anders als bei der Verpflanzung von Eigengewebe – keine weiteren Narben an anderen Körperstellen. Hodenkrebs ist zwar die häufigste Krebserkrankung bei Männern zwischen 25 und 45 Jahren, aber generell eher eine seltene: Pro Jahr erkranken nur rund 4000 junge Männer. Außerdem gehört

Hodenkrebs zu den am besten behandelbaren Krebsarten. Etwa 95 Prozent der Männer überlebt mehr als fünf Jahre nach der Diagnose. In der Regel wird direkt operiert und der befallene Hoden entfernt (Orchiektomie). Nach Entfernung eines Hodens oder beider Hoden kann der Patient sich für eine Hodenprothese entscheiden. Diese besteht aus einer Silikonhülle und ist entweder mit Kochsalzlösung oder einem Silikongel gefüllt. Die Prothese wird über einen kleinen Schnitt im Hodensack eingebracht und mittels eines dünnen Drahts befestigt. „Nach der Operation merkt man normalerweise kaum einen Unterschied zwischen der Prothese und dem echten Hoden“, sagt Schirmer. Die Hodenprothese wird in der Regel aber nicht von den Krankenkassen übernommen.
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Dr. Steffen Schirmer - Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie
Bei Mund- und Rachenkrebs können je nachdem, wo sich der Krebs befindet und in welchem Stadium er sich befindet, verschiedene Operationen zur Entfernung des Tumors durchgeführt werden. Ob der Mund- und Rachenbereich nach dem Eingriff tatsächlich anhand rekonstruktiver Chirurgie wiederhergestellt werden muss, hängt in der Regel vom Sitz des Tumors und von dessen Größe ab.

„Befindet sich der Tumor vorne im Mund, ist es relativ einfach, ihn über die Mundhöhle zu entfernen“, sagt Operateur Schirmer. „Ein größerer Tumor, der beispielsweise in den Rachen hineinwächst, muss möglicherweise durch einen größeren Schnitt im Hals entfernt werden.“ Manchmal gehe dabei Knochen aus dem Unterkiefer verloren, weil er auch befallen ist oder in unmittelbarer Nähe zum Tumor liegt. Der plastisch-rekonstruktive Chirurg nimmt dann Knochen aus der Hüfte oder aus dem Wadenbein, um den verlorengegangenen Kieferknochen zu ersetzen.

Damit sich die Schleimhäute erneuern können, transplantiert der Arzt Gewebe und Gefäße aus dem Unterarm oder Oberschenkel. „Man kann sogar die Zunge nach einem dortigen Tumor komplett wiederherstellen“, sagt Schirmer. Sie wird meist aus transplantiertem Unterarmgewebe geformt und dann am Mundboden fixiert. Die Haut des Gewebes wandelt sich in Schleimhaut um, doch die Geschmacksknospen bilden sich nicht wieder.
             

Brustkrebs

Immer mehr Frauen sterben nicht daran

Brustkrebs ist laut Deutscher Krebsgesellschaft mit rund 30 Prozent die häufigste Tumorerkrankung bei Frauen in den Industriestaaten. Seit den 1980er Jahren ist die Zahl der Fälle auf das Doppelte gestiegen: Ungefähr 69 000 Mal im Jahr stellen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland die Diagnose „Mammakarzinom“ bei einer Frau, über 18 000 Frauen sterben jährlich daran. Des Weiteren treten pro Jahr 6500 in-situ-Karzinome (Vorstufe von Brustkrebs) auf. Die Zahlen stammen von 2015/16, aktuellere gibt es nicht.

Auch Männer können an Brustkrebs erkranken, allerdings sehr selten: Auf 69 630 neu erkrankte Frauen im Jahr 2015 kamen 600 Männer mit Brustkrebs. Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei der Frau. Allerdings ist sie nicht die gefährlichste. Rechtzeitig erkannt und behandelt, sind die meisten Erkrankungen heilbar.

Die Zahl der Sterbefälle sinkt seit einigen Jahren, obwohl die Neuerkrankungen zunehmen. Das Mammakarzinom ist heute erfolgreicher behandelbar als früher – mit gezielteren und oft weniger belastenden Methoden. Immer mehr Frauen, die an Brustkrebs erkranken, sterben also nicht daran. Fünf Jahre nach der Diagnose sind rund 80 Prozent der Patientinnen noch am Leben. Die Heilungsrate ist in den letzten 10 Jahren durch eine verbesserte Früherkennung, neue Therapiekonzepte (operativ, strahlentherapeutisch und medikamentös) und die interdisziplinäre Betreuung in den zertifizierten Zentren gestiegen.

Derzeit erkrankt eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Dabei steigt das Risiko mit zunehmendem Alter. Jüngere Frauen sind nur selten betroffen, erst ab dem 40. und besonders ab dem 50. Lebensjahr erhöht sich das Risiko, um ab dem ca. 70. Lebensjahr wieder abzusinken. Das mittlere Erkrankungsalter für Brustkrebs liegt mit ca. 64 Jahren einige Jahre unter dem Durchschnitt aller Krebserkrankungen, wobei jede vierte Betroffene jünger als 55 Jahre und jede Zehnte jünger als 45 Jahre alt ist.

Psychosoziale Beratung finden betroffene Frauen bei den 16 Landeskrebsgesellschaften in Deutschland (www.krebsgesellschaft.de). Der Bundesverband hat eine Infobroschüre zur Brustrekonstruktion herausgegeben.

Kostenfreie telefonische Beratung bieten auch der Krebsinformationsdienst (www.krebsinformationsdienst.de) und das und beim Infonetz Krebs der Deutschen Krebshilfe (www.infonetz-krebs.de). uba

Foto: Getty Images
Erschienen im Tagesspiegel am 25.09.2021