Masern sind deutlich ansteckender als Coronaviren. Doch auch hier gibt es sehr gute Vakzine. Statt Millionen sterben heute „nur“ noch rund 100 000 Menschen jährlich – die meisten ungeimpft
Von Roland Knauer
Viel besser kann eine Bilanz kaum ausfallen: Allein im 21. Jahrhundert hat die Impfung gegen Masern weit über 20 Millionen Tote auf dem Globus verhindert, während bisher kein einziger Todesfall durch die Impfung selbst nachgewiesen wurde. Offensichtlich kann dieses Vakzin einem gefährlichen Erreger und einer brutalen Geißel der Menschheit den Schrecken nehmen. Schließlich sind Masern viel mehr als eine Kinderkrankheit, die noch ansteckender und kaum weniger gefährlich als Covid-19 ist. Und beide Infektionen bringen vielen Infizierten einen qualvollen Tod.
Ein Blick auf die einsam zwischen Schottland, Norwegen und Island im Nord-Atlantik liegenden Färöer-Inseln zeigt, wie hart eine Masern-Epidemie zuschlagen kann - und erinnert durchaus an die Covid-19-Pandemie. Dort ging im Färöer-Hauptort Torshavn am 28. März 1846 ein Tischler nach einer achttägigen Fahrt mit einem Segelschiff an Land. Kurz vor seiner Abreise aus Kopenhagen hatte der Mann einen Masernkranken besucht, und kurz nach seiner Ankunft auf den Färöern brannten ihm die Augen, er hustete und bekam Fieber. Am 3. April zeigten sich in seinem Gesicht rote Flecken, der Mann hatte die Masern auf die Inseln eingeschleppt.
Weil die damals verstreut auf 17 Inseln lebenden 7782 Einwohner nur ganz selten Kontakt mit dem Rest der Welt hatten, war der Tischler der erste Masernfall seit 65 Jahren. Der Mann selbst erholte sich rasch, vorher aber hatten ihn wenige Bekannte besucht, die sich ansteckten und das Virus danach über die Inseln verteilten.
Ein Blick auf die einsam zwischen Schottland, Norwegen und Island im Nord-Atlantik liegenden Färöer-Inseln zeigt, wie hart eine Masern-Epidemie zuschlagen kann - und erinnert durchaus an die Covid-19-Pandemie. Dort ging im Färöer-Hauptort Torshavn am 28. März 1846 ein Tischler nach einer achttägigen Fahrt mit einem Segelschiff an Land. Kurz vor seiner Abreise aus Kopenhagen hatte der Mann einen Masernkranken besucht, und kurz nach seiner Ankunft auf den Färöern brannten ihm die Augen, er hustete und bekam Fieber. Am 3. April zeigten sich in seinem Gesicht rote Flecken, der Mann hatte die Masern auf die Inseln eingeschleppt.
Weil die damals verstreut auf 17 Inseln lebenden 7782 Einwohner nur ganz selten Kontakt mit dem Rest der Welt hatten, war der Tischler der erste Masernfall seit 65 Jahren. Der Mann selbst erholte sich rasch, vorher aber hatten ihn wenige Bekannte besucht, die sich ansteckten und das Virus danach über die Inseln verteilten.
Wichtige Erkenntnisse gewann die Forschung den Faröer-Inseln
Als am 2. Juli jenes Jahres der 26-jährige Arzt Peter Ludwig Panum eines dieser meist sehr einsamen Dörfer auf den Färöern besuchte, lagen von den hundert Einwohnern achtzig mit hohem Fieber und Masern im Bett. Weil an den oft mutterseelenallein in einem Fjord liegenden Bauernhöfen auf den Inseln nur extrem selten Nachbarn oder gar weiter weg lebende Insulaner vorbei kamen, erinnerten sich die Menschen dort hervorragend an alle ihre Besuche. Mit diesen Informationen konnte Peter Panum daher die Geschichte der Epidemie nachverfolgen und entdeckte so die grundlegenden Mechanismen einer Masern-Infektion.
98 ältere Menschen erinnerten sich gut an die vorherige Masern-Epidemie des Jahres 1781. Jeder von ihnen war damals selbst erkrankt und keiner einziger von ihnen steckte sich 1846 bei der von einem Tischler eingeschleppten Epidemie an. Von den unter 65-Jährigen, die 1781 noch gar nicht geboren waren, aber steckten sich weit über 6000 Menschen und damit fast die gesamte Bevölkerung auf den Färöern an, viele von ihnen erlagen ihrer Krankheit. Offensichtlich schützt also eine frühere Infektion das restliche Leben lang zuverlässig vor Masern, die sich bei den nie vorher infizierten Menschen rasant verbreitet. Wenige Tage, bevor sich die verräterischen Flecken auf der Haut zeigen, kann eine infizierte Person andere anstecken. Das macht Masern zu einer ähnlich heimtückischen Erkrankung wie Covid-19, bei der ebenfalls Infizierte ohne typische Symptome den Erreger übertragen können.
„Ein einziger mit Masern infizierter Mensch steckt durchschnittlich zwölf bis 18 Gesunde an“, fasst der Masernforscher Jürgen Schneider-Schaulies von der Universität Würzburg die heutigen Erkenntnisse zusammen. Die Masern sind damit deutlich ansteckender als die bisher bekannten Varianten des Covid-19-Erregers Sars-CoV-2. Ähnlich wie bei der Corona-Pandemie sterben auch bei einer Masern-Infektion vor allem vorgeschädigte Menschen. Bei Unterernährten fallen zum Beispiel bis zu zehn Prozent aller Infizierten der Krankheit zum Opfer, meldet die Weltgesundheitsorganisation WHO. In afrikanischen Ländern südlich der Sahara stirbt daher noch heute rund ein Prozent der Masern-Infizierten an ihrer Krankheit. Aber auch bei vorher Gesunden enden Masern bisweilen tödlich: „Rund jeder tausendste Infizierte bekommt vier bis sieben Tage nach dem Auftreten des Hautausschlags eine Gehirn-Entzündung", fasst Jürgen Schneider-Schaulies die traurige Bilanz zusammen. Rund jeder fünfte Betroffene stirbt an dieser Gehirnentzündung, etliche der Überlebenden behalten bleibende Schäden.
98 ältere Menschen erinnerten sich gut an die vorherige Masern-Epidemie des Jahres 1781. Jeder von ihnen war damals selbst erkrankt und keiner einziger von ihnen steckte sich 1846 bei der von einem Tischler eingeschleppten Epidemie an. Von den unter 65-Jährigen, die 1781 noch gar nicht geboren waren, aber steckten sich weit über 6000 Menschen und damit fast die gesamte Bevölkerung auf den Färöern an, viele von ihnen erlagen ihrer Krankheit. Offensichtlich schützt also eine frühere Infektion das restliche Leben lang zuverlässig vor Masern, die sich bei den nie vorher infizierten Menschen rasant verbreitet. Wenige Tage, bevor sich die verräterischen Flecken auf der Haut zeigen, kann eine infizierte Person andere anstecken. Das macht Masern zu einer ähnlich heimtückischen Erkrankung wie Covid-19, bei der ebenfalls Infizierte ohne typische Symptome den Erreger übertragen können.
„Ein einziger mit Masern infizierter Mensch steckt durchschnittlich zwölf bis 18 Gesunde an“, fasst der Masernforscher Jürgen Schneider-Schaulies von der Universität Würzburg die heutigen Erkenntnisse zusammen. Die Masern sind damit deutlich ansteckender als die bisher bekannten Varianten des Covid-19-Erregers Sars-CoV-2. Ähnlich wie bei der Corona-Pandemie sterben auch bei einer Masern-Infektion vor allem vorgeschädigte Menschen. Bei Unterernährten fallen zum Beispiel bis zu zehn Prozent aller Infizierten der Krankheit zum Opfer, meldet die Weltgesundheitsorganisation WHO. In afrikanischen Ländern südlich der Sahara stirbt daher noch heute rund ein Prozent der Masern-Infizierten an ihrer Krankheit. Aber auch bei vorher Gesunden enden Masern bisweilen tödlich: „Rund jeder tausendste Infizierte bekommt vier bis sieben Tage nach dem Auftreten des Hautausschlags eine Gehirn-Entzündung", fasst Jürgen Schneider-Schaulies die traurige Bilanz zusammen. Rund jeder fünfte Betroffene stirbt an dieser Gehirnentzündung, etliche der Überlebenden behalten bleibende Schäden.
Zusätzlich infizieren Masern-Viren die Zellen des Immunsystems und schwächen so die Abwehrkräfte des Körpers. Daher sind Menschen kurz nach überstandener Krankheit erheblich anfälliger für Infektionen mit Bakterien und Viren. „Dabei bevorzugen die Erreger die Gedächtniszellen des Immunsystems“, erklärt Jürgen Schneider-Schaulies. Wenn die Infektion aber solche Gedächtniszellen ausschaltet, erinnert sich das Immunsystem nicht mehr an frühere Infektionen, kann die betroffenen Erreger nicht mehr zügig bekämpfen und die Immunität verschwindet: Der Organismus droht den Kampf gegen Viren und Bakterien zu verlieren, gegen die er vor der Masern-Infektion gut gerüstet war. Auch an solchen Infektionen sterben daher noch etliche Betroffene.
Und dann gibt es noch eine SSPE genannte Spätfolge, bei der Masernviren im Gehirn überdauert haben und sich zwei bis 16 Jahre nach der Infektion dort wieder vermehren. Diese Krankheit ist relativ selten und tritt nur bei jeder zehntausendsten Infektion auf, während unter Fünfjährige dreimal häufiger betroffen sind. Eine solche schwere Gehirnentzündung endet zwar immer in einem qualvollen Tod, kündigt sich aber nur langsam an. Bei Schulkindern und jungen Erwachsenen fallen zunächst geistige Ausfälle auf, die Betroffenen scheitern plötzlich an Aufgaben, die sie vorher gut lösen konnten. „Im Gehirn werden bei einer SSPE mit der Zeit immer mehr Nervenzellen zerstört“, erklärt Masern-Forscher Jürgen Schneider-Schaulies die Ursachen dieser Ausfälle. Nach einiger Zeit führt dieser Schwund auch zu körperlichen Symptomen, Krämpfe schütteln die Betroffenen, ein zunehmender geistiger und körperlicher Verfall beginnt. Manche Angehörige empfinden es als Erlösung, wenn die Betroffenen schließlich ins Koma fallen und sterben.
Und dann gibt es noch eine SSPE genannte Spätfolge, bei der Masernviren im Gehirn überdauert haben und sich zwei bis 16 Jahre nach der Infektion dort wieder vermehren. Diese Krankheit ist relativ selten und tritt nur bei jeder zehntausendsten Infektion auf, während unter Fünfjährige dreimal häufiger betroffen sind. Eine solche schwere Gehirnentzündung endet zwar immer in einem qualvollen Tod, kündigt sich aber nur langsam an. Bei Schulkindern und jungen Erwachsenen fallen zunächst geistige Ausfälle auf, die Betroffenen scheitern plötzlich an Aufgaben, die sie vorher gut lösen konnten. „Im Gehirn werden bei einer SSPE mit der Zeit immer mehr Nervenzellen zerstört“, erklärt Masern-Forscher Jürgen Schneider-Schaulies die Ursachen dieser Ausfälle. Nach einiger Zeit führt dieser Schwund auch zu körperlichen Symptomen, Krämpfe schütteln die Betroffenen, ein zunehmender geistiger und körperlicher Verfall beginnt. Manche Angehörige empfinden es als Erlösung, wenn die Betroffenen schließlich ins Koma fallen und sterben.
Die Wirksamkeit der Vakzine wird seit den 60er Jahren beobachtet
Die Masern sind also kaum weniger gefährlich als Covid-19. Und beide Infektionen haben eine weitere Gemeinsamkeit: Es gibt einen sehr guten und zuverlässigen Impfstoff. Bei einer solchen bereits in den 1960er Jahren angewendeten Masern-Impfung bereiten intakte, aber deutlich abgeschwächte Viren das Immunsystem eines Menschen ohne schwere Erkrankung auf eine Infektion vor. Die Covid-19-Vakzine verwenden dagegen nur die genetische Information für die markanten, „Spikes“ genannten Stachel auf der Oberfläche des Sars-CoV-2-Erregers und ähneln damit Impfstoffen, die mit nicht mehr vermehrungsfähigen Teilen eines Erregers das Immunsystem trainieren.
Und es gibt eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den beiden Impfstoffen: Die Wirksamkeit der Masern-Vakzine wird bereits seit den 1960er Jahren beobachtet – und gilt genau wie die mRNA-Impfungen gegen Covid-19 als hervorragend. Starben vor der Zulassung der ersten Impfstoffe in den 1960er Jahren jedes Jahr weltweit einige Millionen Menschen an Masern, sind es heute nur noch rund hunderttausend jährliche Masern-Tote, von denen die allermeisten nie geimpft wurden. Obendrein registrierten die Behörden in England und Wales, in Dänemark und in den USA nach Masern-Impfkampagnen jeweils ungefähr eine Halbierung der Todesfälle durch Nicht-Masern-Infektionen. Schließlich löscht die Infektion mit den Wildtyp-Viren das immunologische Gedächtnis, die Impfung mit den harmlosen Erregern tut das aber nicht.
Zwar gab es Behauptungen, dass Masern-Impfungen Autismus, entzündliche Darmerkrankungen, geistige Einschränkungen, Typ-1-Diabetes, Multiple Sklerose, Leukämien oder Asthma und Heuschnupfen auslösen können. Diese Überlegungen wurden aber alle oft sogar von mehreren ausführlichen Studien widerlegt. Und auch an der Annahme, die abgeschwächten Impf-Viren könnten die tödliche Langzeitfolge SSPE auslösen, ist nichts dran: Zwar gab es vereinzelte Fälle von SSPE bei Personen, bei denen die Impfung nicht angeschlagen hatte. Das passiert nach Angaben des Robert-Koch-Instituts nur in einem bis zwei Prozent aller Fälle. Diese Menschen können sich dann mit Masern infizieren. „In allen diesen SSPE-Fällen wurde im Gehirn das normale Masern-Virus gefunden, kein einziges Mal gab es Hinweise auf das abgeschwächte Impf-Virus“, erklärt Jürgen Schneider-Schaulies. Die Masern-Impfung gilt daher wie die Covid-19-Vakzine als einer der größten Erfolge der modernen Naturwissenschaften.
Und es gibt eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den beiden Impfstoffen: Die Wirksamkeit der Masern-Vakzine wird bereits seit den 1960er Jahren beobachtet – und gilt genau wie die mRNA-Impfungen gegen Covid-19 als hervorragend. Starben vor der Zulassung der ersten Impfstoffe in den 1960er Jahren jedes Jahr weltweit einige Millionen Menschen an Masern, sind es heute nur noch rund hunderttausend jährliche Masern-Tote, von denen die allermeisten nie geimpft wurden. Obendrein registrierten die Behörden in England und Wales, in Dänemark und in den USA nach Masern-Impfkampagnen jeweils ungefähr eine Halbierung der Todesfälle durch Nicht-Masern-Infektionen. Schließlich löscht die Infektion mit den Wildtyp-Viren das immunologische Gedächtnis, die Impfung mit den harmlosen Erregern tut das aber nicht.
Zwar gab es Behauptungen, dass Masern-Impfungen Autismus, entzündliche Darmerkrankungen, geistige Einschränkungen, Typ-1-Diabetes, Multiple Sklerose, Leukämien oder Asthma und Heuschnupfen auslösen können. Diese Überlegungen wurden aber alle oft sogar von mehreren ausführlichen Studien widerlegt. Und auch an der Annahme, die abgeschwächten Impf-Viren könnten die tödliche Langzeitfolge SSPE auslösen, ist nichts dran: Zwar gab es vereinzelte Fälle von SSPE bei Personen, bei denen die Impfung nicht angeschlagen hatte. Das passiert nach Angaben des Robert-Koch-Instituts nur in einem bis zwei Prozent aller Fälle. Diese Menschen können sich dann mit Masern infizieren. „In allen diesen SSPE-Fällen wurde im Gehirn das normale Masern-Virus gefunden, kein einziges Mal gab es Hinweise auf das abgeschwächte Impf-Virus“, erklärt Jürgen Schneider-Schaulies. Die Masern-Impfung gilt daher wie die Covid-19-Vakzine als einer der größten Erfolge der modernen Naturwissenschaften.
Fotos: Alejandro Ernesto/dpa, Roland Knauer
Erschienen im Tagesspiegel am 22.12.2021
Erschienen im Tagesspiegel am 22.12.2021