Der Kongress „Vision Zero“ diskutiert darüber, wie man die Zahl der Krebsneuerkrankungen auf Null bringen kann. Wie realistisch ist das? Eine Analyse
Von Adelheid Müller-Lissner
Eine gesundheitspolitische Veranstaltung mit dem Titel „Vision Zero“: Wer denkt da nicht sofort an die Initiative „Zero Covid“, die zu Beginn dieses Pandemie-Jahres forderte, die Inzidenzen mit strengen Maßnahmen möglichst schnell nahe Null zu bringen. Oder an den Aufruf von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von „No Covid“, die pragmatischen Vorschläge für eine drastische Senkung der Ansteckungszahlen machten. Bei der Veranstaltung „Vision Zero 2021“, die am 14. und 15. Juni in Berlin stattfindet, handelt es sich jedoch um das 7. Interdisziplinäre Symposium zur „Neuvermessung der Onkologie“, es wird vom Netzwerk gegen Darmkrebs veranstaltet. Es geht also um Krebs – um die Gruppe von Krankheiten, die in unserem Land nach Herz-Kreislauf-Leiden die zweithäufigste Todesursache darstellen. Jedes Jahr werden fast 500 000 Menschen mit der Diagnose konfrontiert. Gemeinsam mit ihren Ärzt:innen nehmen sie dann den Kampf gegen ihre Krankheit auf. Nahezu 220 000 Menschen verlieren ihn allein in Deutschland jährlich.
Anders als bei einigen Infektionskrankheiten ist es kein realistisches Ziel, die Menschheit völlig von diesen Leiden zu befreien. Schondeshalb, weil Krebs zu guten Teilen eine Erkrankung des höheren Lebensalters darstellt – und die Lebenserwartung bei guter medizinischer Versorgung zunimmt. „Nicht jeder Tod durch Krebs wird in Zukunft vermeidbar sein, aber sehr viele“, betonte Thomas Rahel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, anlässlich des letztjährigen „Vision Zero“-Symposiums in einem Interview. Es geht darum, das Mögliche zu tun.
Anders als bei einigen Infektionskrankheiten ist es kein realistisches Ziel, die Menschheit völlig von diesen Leiden zu befreien. Schondeshalb, weil Krebs zu guten Teilen eine Erkrankung des höheren Lebensalters darstellt – und die Lebenserwartung bei guter medizinischer Versorgung zunimmt. „Nicht jeder Tod durch Krebs wird in Zukunft vermeidbar sein, aber sehr viele“, betonte Thomas Rahel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, anlässlich des letztjährigen „Vision Zero“-Symposiums in einem Interview. Es geht darum, das Mögliche zu tun.
Das beginnt mit Vorbeugung, also zunächst einem möglichst gesunden Lebensstil, durch den nach Schätzungen des Deutschen Krebsforschungsinstituts (DKFZ) mindestens 37 Prozent aller Krebsfälle verhindert werden könnten. Neben den bekannten Ratschlägen, Übergewicht zu vermeiden, Gemüse, Obst und Vollkornprodukten in der Ernährung eine Hauptrolle einzuräumen, Alkohol nur maßvoll zu genießen, sich vor zu viel UV-Licht zu schützen und viel zu bewegen, spielt ein rauchfreies Leben die Hauptrolle. Neun von zehn Lungenkrebs-Erkrankungen bei Männern und mindestens sechs von zehn bei Frauen gehen nach Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Zentrums für Krebsregisterdaten (ZfKD) aufs Konto des Rauchens, auch bei anderen Krebsformen ist es als Risikofaktor mit im Spiel. Noch wenig bekannt ist, dass für die Vorbeugung auch Impfungen eine Rolle spielen: Mädchen und Jungen sollten nach Empfehlung der STIKO im Alter von neun bis zwölf Jahren gegen die Humanen Papillomviren (HPV) geschützt werden, alle Säuglinge im Rahmen der Kombi-Impfungen auch gegen das Hepatitis-B-Virus.
Doch Krebs ist kein strenger Schulmeister, der seine Strafen gerecht für „ungesunden“ Lebensstil und fehlende Vorsichtsmaßnahmen verteilen würde. Er geht auf Fehler bei der Zellteilung zurück, die zufällig passieren. Man kann nicht oft genug wiederholen, dass das jeden und jede treffen kann. Auch Nichtraucher bekommen Lungenkrebs. „Zufall und Altern lassen sich nicht beeinflussen“, schreibt Susanne Weg-Remers vom DKFZ, die eine lesenswerte Broschüre zur Vorbeugung verfasst hat. Dieser Wegweiser thematisiert auch „Krebsmythen“ und Geschäftemacherei mit der Krebsangst (www.krebsinformationsdienst.de/wegweiser/iblatt/krebsvorbeugung.pdf). Weil Fehler bei der Zellteilung vorkommen können, bedeutet Vorbeugung auch, schon Vorstufen und Frühformen von Tumoren zu entdecken. Als Paradebeispiel für effektive Früherkennung wird heute aus gutem Grund oft Darmkrebs genannt. Bei einer Darmspiegelung lassen sich Vorstufen von Tumoren erkennen, sie können entfernt und unter dem Mikroskop untersucht werden. Da Tumoren im Darm langsam wachsen, reicht es im Normalfall, sich ab 50 Jahren zweimal im Abstand von zehn Jahren untersuchen zu lassen. Für Menschen mit einer familiären Darmkrebs-Vorgeschichte gelten unter Umständen andere Regeln. Über die Angebote werden Versicherte ab 50 Jahren seit 2019 schriftlich informiert.
In der Initiative „Nationale Dekade gegen den Krebs“, die das Forschungs- und Gesundheitsministerium gemeinsam mit vielen anderen Akteuren, darunter DKFZ, Deutsche Krebshilfe, Vision Zero e.V., Felix Burda-Stiftung, 2019 ausgerufen hat, wurde auch eine Arbeitsgemeinschaft „Prävention“ gebildet. Ein Schwerpunkt ist die Forschung zur Prävention von Darmkrebs, auch in jüngeren Jahren und bei künftigen Generationen. Denn obwohl sich kaum ein Tumor so sicher und früh diagnostizieren lässt wie Darmkrebs, sterben in Deutschland immer noch jährlich rund 20 000 Menschen daran.
Auch die Forschung muss einen großen Beitrag leisten, wenn es um die Verhinderung von Todesfällen infolge einer ausgebrochenen Krebserkrankung geht. Zwar gibt es in dieser Hinsicht schon deutliche Fortschritte, und es wird auf der Grundlage von Registerdaten in der EU für das laufende Jahr bei den meisten Krebsarten mit weniger Todesfällen gerechnet als noch 2015. Doch eines der großen Sorgenkinder bleibt der Krebs an der Bauchspeicheldrüse, der deutlich seltener ist als Brust- oder Prostatakrebs, aber in der Todesstatistik den vierten Platz einnimmt.
Doch Krebs ist kein strenger Schulmeister, der seine Strafen gerecht für „ungesunden“ Lebensstil und fehlende Vorsichtsmaßnahmen verteilen würde. Er geht auf Fehler bei der Zellteilung zurück, die zufällig passieren. Man kann nicht oft genug wiederholen, dass das jeden und jede treffen kann. Auch Nichtraucher bekommen Lungenkrebs. „Zufall und Altern lassen sich nicht beeinflussen“, schreibt Susanne Weg-Remers vom DKFZ, die eine lesenswerte Broschüre zur Vorbeugung verfasst hat. Dieser Wegweiser thematisiert auch „Krebsmythen“ und Geschäftemacherei mit der Krebsangst (www.krebsinformationsdienst.de/wegweiser/iblatt/krebsvorbeugung.pdf). Weil Fehler bei der Zellteilung vorkommen können, bedeutet Vorbeugung auch, schon Vorstufen und Frühformen von Tumoren zu entdecken. Als Paradebeispiel für effektive Früherkennung wird heute aus gutem Grund oft Darmkrebs genannt. Bei einer Darmspiegelung lassen sich Vorstufen von Tumoren erkennen, sie können entfernt und unter dem Mikroskop untersucht werden. Da Tumoren im Darm langsam wachsen, reicht es im Normalfall, sich ab 50 Jahren zweimal im Abstand von zehn Jahren untersuchen zu lassen. Für Menschen mit einer familiären Darmkrebs-Vorgeschichte gelten unter Umständen andere Regeln. Über die Angebote werden Versicherte ab 50 Jahren seit 2019 schriftlich informiert.
In der Initiative „Nationale Dekade gegen den Krebs“, die das Forschungs- und Gesundheitsministerium gemeinsam mit vielen anderen Akteuren, darunter DKFZ, Deutsche Krebshilfe, Vision Zero e.V., Felix Burda-Stiftung, 2019 ausgerufen hat, wurde auch eine Arbeitsgemeinschaft „Prävention“ gebildet. Ein Schwerpunkt ist die Forschung zur Prävention von Darmkrebs, auch in jüngeren Jahren und bei künftigen Generationen. Denn obwohl sich kaum ein Tumor so sicher und früh diagnostizieren lässt wie Darmkrebs, sterben in Deutschland immer noch jährlich rund 20 000 Menschen daran.
Auch die Forschung muss einen großen Beitrag leisten, wenn es um die Verhinderung von Todesfällen infolge einer ausgebrochenen Krebserkrankung geht. Zwar gibt es in dieser Hinsicht schon deutliche Fortschritte, und es wird auf der Grundlage von Registerdaten in der EU für das laufende Jahr bei den meisten Krebsarten mit weniger Todesfällen gerechnet als noch 2015. Doch eines der großen Sorgenkinder bleibt der Krebs an der Bauchspeicheldrüse, der deutlich seltener ist als Brust- oder Prostatakrebs, aber in der Todesstatistik den vierten Platz einnimmt.
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Eine Arbeitsgruppe widmet sich im Rahmen der „Nationalen Dekade gegen Krebs“ ausdrücklich den „großen ungelösten Fragen der Krebsforschung“. Es geht dabei etwa um neue Unterteilungen von Krebserkrankungen, die zwar unter einem Namen firmieren, molekularbiologisch aber deutliche Unterschiede zeigen und differenzierte Behandlungen erfordern. So verbessert sich die Prognose von Patient:innen mit Lungenkrebs, wenn molekulare Tests Mutationen aufspüren, die für die Therapieentscheidung wichtig sind. Ebenfalls wichtig: Widerstände, die Tumore und ihre Absiedlungen (Metastasen) einer (Zweit-)Behandlung entgegensetzen. Ganz entscheidend ist für diese Forschungen, dass Kliniken ihre Daten vernetzen können. Von den Ergebnissen müssen Patienten und Patientinnen unabhängig vom Wohnort profitieren. Forschungserfolge tragen auch dazu bei, dass Krebs häufiger geheilt oder wenigstens langfristig beherrschbar wird. Damit entstehen „chronische“ Krankheiten, die eine neue Art der Betreuung erfordern.
„Vision Zero“ – der Begriff wurde ursprünglich weder auf Covid-19 noch auf Krebs gemünzt. Er stammt gar nicht aus der Medizin. Die erste derartige Initiative kam aus dem Bereich der Verkehrssicherheit der 1970er Jahren: Man wollte sich nicht mehr damit zufrieden geben, Unfälle pauschal als Folge „menschlichen Versagens“ hinzunehmen und begann, ihre Ursachen genauer zu analysieren. Aufklärungskampagnen, Maßnahmen wie Tempolimits, Promillegrenzen und die Anschnallpflicht folgten, die Zahl der tödlichen Unfälle sank.
Auch auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit sind die Möglichkeiten längst noch nicht ausgereizt, doch die von dort stammende Maxime „Jeder vermeidbare Tote ist zu viel“ ist auf die Medizin übertragbar. Der Kampf gegen den Krebs dürfe dabei ruhig „mit Vollgas“ geführt werden, unterstreicht der Onkologe und Hämatologe Michael Hallek von der Uni Köln, der sich in der „Nationalen Dekade gegen den Krebs“ engagiert.
— Vision Zero 2021“, 14.-15 Juni, digital auf www.vision-zero-symposium.de
„Vision Zero“ – der Begriff wurde ursprünglich weder auf Covid-19 noch auf Krebs gemünzt. Er stammt gar nicht aus der Medizin. Die erste derartige Initiative kam aus dem Bereich der Verkehrssicherheit der 1970er Jahren: Man wollte sich nicht mehr damit zufrieden geben, Unfälle pauschal als Folge „menschlichen Versagens“ hinzunehmen und begann, ihre Ursachen genauer zu analysieren. Aufklärungskampagnen, Maßnahmen wie Tempolimits, Promillegrenzen und die Anschnallpflicht folgten, die Zahl der tödlichen Unfälle sank.
Auch auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit sind die Möglichkeiten längst noch nicht ausgereizt, doch die von dort stammende Maxime „Jeder vermeidbare Tote ist zu viel“ ist auf die Medizin übertragbar. Der Kampf gegen den Krebs dürfe dabei ruhig „mit Vollgas“ geführt werden, unterstreicht der Onkologe und Hämatologe Michael Hallek von der Uni Köln, der sich in der „Nationalen Dekade gegen den Krebs“ engagiert.
— Vision Zero 2021“, 14.-15 Juni, digital auf www.vision-zero-symposium.de
Foto: Imago
Erschienen im Tagesspiegel am 14.06.2021
Erschienen im Tagesspiegel am 14.06.2021