Strampeln für Strom, Plakate kleben, Nachtwache schieben und auch mal einfach lostanzen: Unsere Autorin hat drei Wochen im Berliner Klimagerechtigkeitscamp gelebt. Hier ihr Bericht – und ihre Forderungen
Von Rusalka Galinat
Drei Wochen campen, mitten im Berliner Tiergarten. Dieser Traum ist für mich wahr geworden, im Klimagerechtigkeits- camp auf einer Wiese neben dem Kanzler*innenamt und dem Haus der Kulturen der Welt.
Seit Anfang August wurde der Ort bespielt, durch wechselnde Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung wie Extinction Rebellion, Ohne Kerosin nach Berlin, Fridays & Students For Future und am Ende Gerechtigkeit Jetzt!. Mein erster Besuch war nach dem riesigen globalen Klimastreik am 22. September mit über 100 000 Menschen. Einige Freundinnen und Freunde von mir wohnten da schon seit drei Wochen im Camp als Teil des Organisationsteams. Ich war gerade erst wieder nach Berlin gekommen und war froh, dass ich sie endlich besuchen und schauen konnte, ob noch helfende Hände gebraucht wurden.
An diesem Abend gab es eine Dia-Vorführung von fotografisch festgehaltenen Camp-Highlights der letzten Wochen. Das Besondere: Die Vorführung wurde durch acht bis zehn strampelnde Menschen mittels eines Fahrradkinos betrieben. Durchaus anstrengend, während des Zuschauens 20 Minuten lang gleichmäßig in die Pedale zu treten – aber ein weiteres Mal bewunderte ich die Integrität und Einfallsfreudigkeit von Menschen der ForFuture-Bewegung.
Das war auch in der Ausarbeitung und mühevollen Umsetzung der Hygienekonzepte sichtbar. Ich blieb im Camp und leistete der Nachtwache bei ihrer Schicht von ‚nur' drei bis sechs Uhr Gesellschaft. Das gewährte mir den Schimmer einer Ahnung, wie herausfordernd und zehrend die letzten Wochen für die Camp-Bewohner:innen gewesen sein mussten, Menschen, die nebenbei ja auch noch zur Schule gehen oder studieren, vielleicht auch noch arbeiten, Freunde und Familie haben.
Ihre Bereitschaft, Privatsphäre und Komfort zu opfern, um die Klimabewegung sichtbar zu machen, um Menschen zusammen und auf die Straße zu bringen, war für mich sehr inspirierend. Deswegen meldete ich mich, als beim Strategie-Plenum zur Zukunft des Camps gefragt wurde, wer in den drei folgenden Wochen bis zum nächsten Streik am 22. Oktober bei den Aktionen von Gerechtigkeit Jetzt! mitmachen könnte.
Seit Anfang August wurde der Ort bespielt, durch wechselnde Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung wie Extinction Rebellion, Ohne Kerosin nach Berlin, Fridays & Students For Future und am Ende Gerechtigkeit Jetzt!. Mein erster Besuch war nach dem riesigen globalen Klimastreik am 22. September mit über 100 000 Menschen. Einige Freundinnen und Freunde von mir wohnten da schon seit drei Wochen im Camp als Teil des Organisationsteams. Ich war gerade erst wieder nach Berlin gekommen und war froh, dass ich sie endlich besuchen und schauen konnte, ob noch helfende Hände gebraucht wurden.
An diesem Abend gab es eine Dia-Vorführung von fotografisch festgehaltenen Camp-Highlights der letzten Wochen. Das Besondere: Die Vorführung wurde durch acht bis zehn strampelnde Menschen mittels eines Fahrradkinos betrieben. Durchaus anstrengend, während des Zuschauens 20 Minuten lang gleichmäßig in die Pedale zu treten – aber ein weiteres Mal bewunderte ich die Integrität und Einfallsfreudigkeit von Menschen der ForFuture-Bewegung.
Das war auch in der Ausarbeitung und mühevollen Umsetzung der Hygienekonzepte sichtbar. Ich blieb im Camp und leistete der Nachtwache bei ihrer Schicht von ‚nur' drei bis sechs Uhr Gesellschaft. Das gewährte mir den Schimmer einer Ahnung, wie herausfordernd und zehrend die letzten Wochen für die Camp-Bewohner:innen gewesen sein mussten, Menschen, die nebenbei ja auch noch zur Schule gehen oder studieren, vielleicht auch noch arbeiten, Freunde und Familie haben.
Ihre Bereitschaft, Privatsphäre und Komfort zu opfern, um die Klimabewegung sichtbar zu machen, um Menschen zusammen und auf die Straße zu bringen, war für mich sehr inspirierend. Deswegen meldete ich mich, als beim Strategie-Plenum zur Zukunft des Camps gefragt wurde, wer in den drei folgenden Wochen bis zum nächsten Streik am 22. Oktober bei den Aktionen von Gerechtigkeit Jetzt! mitmachen könnte.
Für Rusalka Galinat waren die Wochen im Camp inspirierend, ermutigend
Die Infrastruktur vor Ort war super: Es gab Komposttoiletten, fließend Wasser, Strom über Solarpanele und guten Internetzugang, sodass es kein Problem war, von dort aus mein Studium weiterzuführen, alltäglichen Verpflichtungen nachzukommen und mich um die Verpflegung des Camps zu kümmern. Es freute mich, das vorherige Orga-Team entlasten zu können. Zuerst fielen einige Aufräum-Arbeiten an und wir bauten die Infrastruktur der Zelte etwas zurück. In diesen drei Wochen, die ich in sehr familiärer Atmosphäre mit zuerst komplett Fremden verbrachte, hatte das Camp eher die Funktion einer Mahnwache.
Unser Orga-Team bestand nur aus fünf Leuten, und es war schwierig, mit dem Programm und den Angeboten der vorherigen Tage mitzuhalten, zumal auch das Wetter ungemütlicher wurde und die Menschen Zeit für sich und ihre Regeneration brauchten. Aber es gab nach wie vor Workshops und Plena verschiedener Organisationen, wir gestalteten gemeinsam Plakate und Banner, und das Camp war weiterhin vor allem auch ein Ort für Austausch, Vernetzung und gegenseitiges Auffangen. Das fand ich persönlich besonders wertvoll und wichtig.
Bei der After-Wahl-„Party“ zum Beispiel haben wir einfach mal losgelassen und getanzt, obwohl die Wahlergebnisse von vornherein ernüchternd waren: Die Parteien zeigen einen Mangel an Handlungsbereitschaft und Ernsthaftigkeit, es bleibt bei Versprechen und Bekenntnissen zur 1,5-Grad-Politik, es fehlt der Mut zu benennen, welch große gesellschaftliche Transformation jetzt nötig ist und was dafür getan werden muss.
Aber es ist wichtig, all das auch einmal zu vergessen, sich zu erinnern, dass wir jung sind und wie wichtig es ist, im Kampf um unsere Zukunft und Lebensgrundlagen auch Spaß zu haben und mal loszulassen. Dass wir genau das dürfen, und sollen. Dass wir uns nicht immer rechtfertigen und wehren müssen, weil wir nicht perfekt sind.
Es ist schon erstaunlich, welche Auseinandersetzungen es auslösen kann, wenn man den eigenen Aktivismus auch nur erwähnt. Man eckt überall an, wenn man den Menschen um sich herum permanent erzählt, wie schmerzhaft und beängstigend es ist, dass wir mit unserem alltäglichen Handeln und den Werten, nach denen wir es ausrichten, eine Gesellschaft und Wirtschaft aufbauen, die nicht einmal ansatzweise zukunftsfähig sind. Niemand will hören, dass wir viele unserer Vorstellungen von Wohlstand ändern müssen. Dabei bleibt uns doch sogar ein beachtlicher Gestaltungsfreiraum bei der Transformation unseres Lebens! Eigentlich ist es doch ein schöner, hoffnungsvoller Prozess, bei dem wir miteinander entscheiden können, wie wir als Gesellschaft zusammenleben und was uns etwas bedeutet.
Unser Orga-Team bestand nur aus fünf Leuten, und es war schwierig, mit dem Programm und den Angeboten der vorherigen Tage mitzuhalten, zumal auch das Wetter ungemütlicher wurde und die Menschen Zeit für sich und ihre Regeneration brauchten. Aber es gab nach wie vor Workshops und Plena verschiedener Organisationen, wir gestalteten gemeinsam Plakate und Banner, und das Camp war weiterhin vor allem auch ein Ort für Austausch, Vernetzung und gegenseitiges Auffangen. Das fand ich persönlich besonders wertvoll und wichtig.
Bei der After-Wahl-„Party“ zum Beispiel haben wir einfach mal losgelassen und getanzt, obwohl die Wahlergebnisse von vornherein ernüchternd waren: Die Parteien zeigen einen Mangel an Handlungsbereitschaft und Ernsthaftigkeit, es bleibt bei Versprechen und Bekenntnissen zur 1,5-Grad-Politik, es fehlt der Mut zu benennen, welch große gesellschaftliche Transformation jetzt nötig ist und was dafür getan werden muss.
Aber es ist wichtig, all das auch einmal zu vergessen, sich zu erinnern, dass wir jung sind und wie wichtig es ist, im Kampf um unsere Zukunft und Lebensgrundlagen auch Spaß zu haben und mal loszulassen. Dass wir genau das dürfen, und sollen. Dass wir uns nicht immer rechtfertigen und wehren müssen, weil wir nicht perfekt sind.
Es ist schon erstaunlich, welche Auseinandersetzungen es auslösen kann, wenn man den eigenen Aktivismus auch nur erwähnt. Man eckt überall an, wenn man den Menschen um sich herum permanent erzählt, wie schmerzhaft und beängstigend es ist, dass wir mit unserem alltäglichen Handeln und den Werten, nach denen wir es ausrichten, eine Gesellschaft und Wirtschaft aufbauen, die nicht einmal ansatzweise zukunftsfähig sind. Niemand will hören, dass wir viele unserer Vorstellungen von Wohlstand ändern müssen. Dabei bleibt uns doch sogar ein beachtlicher Gestaltungsfreiraum bei der Transformation unseres Lebens! Eigentlich ist es doch ein schöner, hoffnungsvoller Prozess, bei dem wir miteinander entscheiden können, wie wir als Gesellschaft zusammenleben und was uns etwas bedeutet.
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Die Offenheit und Bereitschaft sich solchen Gedanken zu öffnen und geduldig zu sein, mit uns selbst und anderen, sind Prozesse, die primär in der Verantwortung von uns allen individuell liegen. Allerdings ist politisches Eingreifen unabdingbar, es müssen Grenzen festgelegt werden, die sich am Rahmen der Ökologie und Regenerationsfähigkeit unseres Planeten orientieren.
Ich würde mir sehr wünschen, dass weniger persönliche Eitelkeit und Statusprobleme im Vordergrund stünden. Wollen wir als Gesellschaft bestehen und Großeltern und Eltern uns Kindern die Chance auf ein Leben mit ähnlicher Sicherung der Grundbedürfnisse geben, brauchen wir ein Verständnis von Nachhaltigkeit, das die ökologischen Bedingungen als rahmengebend anerkennt, innerhalb derer wir uns sozial und ökonomisch entfalten können.
Da alles andere, wie sogar viele Unternehmende schon selbst bemerken, bereits auf kurze Sicht keine Beständigkeit bieten kann, hoffe ich, dass bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow klare Worte gefunden werden: für die absolute Dringlichkeit, dem Klimawandel mit maximaler Nutzung unserer Möglichkeiten zu begegnen und die Transformation von Gesellschaften und Wirtschaften voranzubringen. Für die unbestreitbare Verantwortung westlicher, fossil-kapitalistischer Nationen, unsere Wirtschaftsform zu erkennen als eine, die Wohlstand bringt und ihn gleichzeitig zerstört. Statt endloser Wachstumsspinnereien brauchen wir Alternativen, wie etwa Gemeinwohl- oder Post-Wachstums-Ökonomie.
Ich erhoffe mir von der UN-Klimakonferenz solche klaren Worte, die uns ermutigen zu hinterfragen, was wir unter Freiheit und Wohlergehen verstehen und wie viel Recht auf Selbstbereicherung wir beanspruchen können.
Ich bin dankbar für den Raum, der sich mir im Klimagerechtigkeitscamp geöffnet hat. Ein Raum, in dem ich diese Themen, um die ich im Kontext der Nachhaltigkeit, in Alltag und Studium permanent kreise, mit so vielen Menschen beleuchten und mal wieder neu einordnen konnte. Mit Vorbeigehenden verschiedenster Altersgruppen und Hintergründe darüber zu sprechen und Verständnis und Unterstützung von ihnen zu erhalten, war eine ermutigende Erfahrung: wenn Menschen klar wird, dass es bei diesen Fragen nicht wirklich um ideologische Rechthaberei geht, sondern schlicht um ein gutes Miteinander und gerechtes Leben in der Zukunft.
— Die Autorin ist 23 Jahre alt und studiert im fünften Semester Landschaftsnutzung und Naturschutz an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE).
Ich würde mir sehr wünschen, dass weniger persönliche Eitelkeit und Statusprobleme im Vordergrund stünden. Wollen wir als Gesellschaft bestehen und Großeltern und Eltern uns Kindern die Chance auf ein Leben mit ähnlicher Sicherung der Grundbedürfnisse geben, brauchen wir ein Verständnis von Nachhaltigkeit, das die ökologischen Bedingungen als rahmengebend anerkennt, innerhalb derer wir uns sozial und ökonomisch entfalten können.
Da alles andere, wie sogar viele Unternehmende schon selbst bemerken, bereits auf kurze Sicht keine Beständigkeit bieten kann, hoffe ich, dass bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow klare Worte gefunden werden: für die absolute Dringlichkeit, dem Klimawandel mit maximaler Nutzung unserer Möglichkeiten zu begegnen und die Transformation von Gesellschaften und Wirtschaften voranzubringen. Für die unbestreitbare Verantwortung westlicher, fossil-kapitalistischer Nationen, unsere Wirtschaftsform zu erkennen als eine, die Wohlstand bringt und ihn gleichzeitig zerstört. Statt endloser Wachstumsspinnereien brauchen wir Alternativen, wie etwa Gemeinwohl- oder Post-Wachstums-Ökonomie.
Ich erhoffe mir von der UN-Klimakonferenz solche klaren Worte, die uns ermutigen zu hinterfragen, was wir unter Freiheit und Wohlergehen verstehen und wie viel Recht auf Selbstbereicherung wir beanspruchen können.
Ich bin dankbar für den Raum, der sich mir im Klimagerechtigkeitscamp geöffnet hat. Ein Raum, in dem ich diese Themen, um die ich im Kontext der Nachhaltigkeit, in Alltag und Studium permanent kreise, mit so vielen Menschen beleuchten und mal wieder neu einordnen konnte. Mit Vorbeigehenden verschiedenster Altersgruppen und Hintergründe darüber zu sprechen und Verständnis und Unterstützung von ihnen zu erhalten, war eine ermutigende Erfahrung: wenn Menschen klar wird, dass es bei diesen Fragen nicht wirklich um ideologische Rechthaberei geht, sondern schlicht um ein gutes Miteinander und gerechtes Leben in der Zukunft.
— Die Autorin ist 23 Jahre alt und studiert im fünften Semester Landschaftsnutzung und Naturschutz an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE).
Fotos: Lukas Stratmann, FFF TU Berlin; privat
Erschienen im Tagesspiegel am 01.11.2021
Erschienen im Tagesspiegel am 01.11.2021