Ausgewogene, bunt gemischte Ernährung hilft dabei, Therapiestrapazen zu bewältigen und Beschwerden zu lindern. Doch seriöse Diätexperten sind rar
Von Aleksandra Lebedowicz
Als Marc das Pulver aus der Kräuterapotheke gegen die Wand warf und verzweifelt „Ich kann nicht mehr!“ rief, begriff Anne Blumers: So wird sie ihren besten Freund nicht retten. Wenige Monate zuvor hatte der 37-Jährige eine verheerende Diagnose bekommen: schwarzer Hautkrebs, Stadium vier. Ein hoffnungsloser Fall. Aber Marc war stark, er wog damals 98 Kilo. Gemeinsam kämpften sie, wechselten fünf Mal die Klinik, probierten etliche Tinkturen und Krebsdiäten aus. Mit fatalen Folgen: Innerhalb von zwölf Wochen wog Marc 30 Kilogramm weniger. „Wir fühlten uns mit der Suche alleingelassen“, erinnert sich Blumers heute. Sieben Monate nach der Diagnose starb ihr bester Freund. Bei seinem Tod hatte er die Hälfte seines ursprünglichen Gewichts verloren. „Leider stand uns in der Zeit kein Ernährungsberater zur Seite“, sagt Blumers. Dabei hätten sie dringend professionellen Rat gebraucht. Denn Betroffene, die in einem guten Ernährungszustand sind, erleiden erwiesenermaßen weniger Komplikationen.
„Jeder Krebspatient sollte eine kompetente Ernährungsberatung erhalten“, sagt Christine Reudelsterz. Die Diplom-Ökotrophologin führt eine Praxis in Berlin. Um die Therapiestrapazen überhaupt bewältigen zu können, müsse man den Körper optimal mit Nährstoffen versorgen, „und zwar mit allen!“, betont die Expertin. Nur eine ausgewogene, bunt gemischte Kost liefere die nötigen Makromoleküle, Vitamine und Mineralstoffe. Maßgeblich sind dabei die zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Demnach sollten die Mahlzeiten prinzipiell reich an Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten sein. Höchste Priorität sei es, Mangelernährung zu verhindern. „Wir wissen, dass unterversorgte Patienten einen schlechteren Outcome haben“, sagt Reudelsterz. So nennen Mediziner das Endergebnis einer Krebsbehandlung.
Wer trotzdem unfreiwillig Gewicht verliert, kann mit hochkalorischen Lebensmitteln wie Erdnussbutter, Sahne und hochprozentigen Milchprodukten gegensteuern. Doch es gibt Patienten, die sich damit schwer tun, vor allem dann, wenn der Krebs im Verdauungstrakt auftritt, etwa im Magen, Darm oder in der Speiseröhre. Besonders in solchen Fällen empfiehlt sich eine individuelle Beratung, die schon mit sanften Ernährungsumstellungen hilft, Beschwerden zu lindern, Muskelmasse zu erhalten und Betroffene bei Kräften zu halten. Reicht die normale Nahrung nicht aus, kommen Infusionslösungen, Energiedrinks und Nahrungskonzentrate wie die sogenannte Astronautenkost zum Einsatz.
„Jeder Krebspatient sollte eine kompetente Ernährungsberatung erhalten“, sagt Christine Reudelsterz. Die Diplom-Ökotrophologin führt eine Praxis in Berlin. Um die Therapiestrapazen überhaupt bewältigen zu können, müsse man den Körper optimal mit Nährstoffen versorgen, „und zwar mit allen!“, betont die Expertin. Nur eine ausgewogene, bunt gemischte Kost liefere die nötigen Makromoleküle, Vitamine und Mineralstoffe. Maßgeblich sind dabei die zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Demnach sollten die Mahlzeiten prinzipiell reich an Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten sein. Höchste Priorität sei es, Mangelernährung zu verhindern. „Wir wissen, dass unterversorgte Patienten einen schlechteren Outcome haben“, sagt Reudelsterz. So nennen Mediziner das Endergebnis einer Krebsbehandlung.
Wer trotzdem unfreiwillig Gewicht verliert, kann mit hochkalorischen Lebensmitteln wie Erdnussbutter, Sahne und hochprozentigen Milchprodukten gegensteuern. Doch es gibt Patienten, die sich damit schwer tun, vor allem dann, wenn der Krebs im Verdauungstrakt auftritt, etwa im Magen, Darm oder in der Speiseröhre. Besonders in solchen Fällen empfiehlt sich eine individuelle Beratung, die schon mit sanften Ernährungsumstellungen hilft, Beschwerden zu lindern, Muskelmasse zu erhalten und Betroffene bei Kräften zu halten. Reicht die normale Nahrung nicht aus, kommen Infusionslösungen, Energiedrinks und Nahrungskonzentrate wie die sogenannte Astronautenkost zum Einsatz.
Eine Unterversorgung kann gefährliche Folgen haben
Bloß nicht abnehmen, das hörten auch Anne Blumers und ihr bester Freund immer wieder von den Ärzten. Warum das gefährlich ist, hatte ihnen aber niemand erklärt. Sie wussten nicht, dass sich eine Unterversorgung mit einzelnen Nährstoffen schnell einschleichen kann, häufig schon zum Zeitpunkt der Diagnose. Dass Gewichtsabnahme oft durch Wassereinlagerungen verschleiert wird. Dass man bereits dann als mangelernährt gilt, wenn man fünf Prozent des Körpergewichts verliert. Dass schließlich jeder vierte Patient nicht am Tumor selbst, sondern an den Folgen der Mangelernährung stirbt. Denn im Kampf gegen den Krebs zählt jedes Kilo. Marc verbannte stattdessen als erstes Kohlenhydrate vom Speiseplan und stieg auf ketogene Diät um, die zu 80 Prozent aus Fett besteht. Er hoffte, durch die Vermeidung von Zucker schrumpfe der Tumor.
„Krebs lässt sich nicht aushungern, es ist ein weit verbreiteter Unsinn“, sagt Ernährungsexpertin Reudelsterz. Glukose sei ein wichtiger Energielieferant. Unser Körper brauche ihn. Der tägliche Bedarf von Gehirn und Rückenmark liege bei 120 Gramm. Die Keto-Diät verzichtet auf diese Energiequelle. Die Idee geht auf den sogenannten Warburg-Effekt zurück, benannt nach dem Biochemiker Otto Warburg. Er fand heraus, dass sich Krebszellen fast ausschließlich von Glukose ernähren. „Seine Erkenntnisse mögen für einzelne Zellen gelten, aber nicht für komplexe Organismen mit einem ausgeklügelten Immunsystem“, sagt Reudelsterz.
Heilung versprechen viele Diäten. Das Internet ist voll von Ernährungstipps für Krebsleidende. Aber welche Lebensmittel schützen und welche schaden? „Darüber herrscht im Alltag tatsächlich viel Unsicherheit“, sagt Stefanie Houwaart. Sie ist Referentin im Haus der Krebs-Selbsthilfe in Bonn und kennt die Sorgen der Patienten. Oft hätten sie Schuldgefühle und fragten sich, ob sie durch ungesundes Essen zur Erkrankung beigetragen haben könnten. Viele möchten selbst aktiv werden und vertrauen unter Umständen auf dubiose Heilpraktiker, die mit Mungbohnensuppen, Kurkumakapseln und teuren Nahrungsergänzungsmitteln behandeln. Vieles davon sei ungeprüft und bloße Scharlatanerie, warnt Houwaart und betont: „Patienten, die verunsichert sind, sollten Beratung einfordern, sie gehört zur umfassenden Krebstherapie dazu“. Schließlich müssen sie sich vor, während und nach der Behandlung neuen Gegebenheiten stellen. Eine Brustkrebspatientin habe andere Bedürfnisse als ein Kehlkopfoperierter, der zum Beispiel neu schlucken üben muss. Umso wichtiger ist es, in gute Hände zu gelangen, zumal die Berufsbezeichnung „Ernährungsberater“ nicht geschützt ist. Wer qualifizierte Fachleute sucht (siehe Kasten), sollte sich an Berufsverbände wenden. Auch Krankenkassen geben Tipps – und beteiligen sich an den Kosten. Bis zu fünf Beratungstermine werden erstattet.
Doch zertifizierte Experten sind hierzulande rar, der Bedarf dagegen ist enorm. Bei etwa vier Millionen Krebspatienten werden auf der Webseite des Berufsverbands Oecotrophologie e.V. kaum mehr als 800 Namen aufgelistet. „Ein Armutszeugnis für das deutsche Gesundheitssystem“, konstatiert Anne Blumers und wünscht sich mehr finanzielle Unterstützung seitens der Politik. Vor allem mit digitalen Lösungen könne man unkompliziert Aufklärung betreiben und mehr Menschen erreichen. Wie? Das hat sie bewiesen. Um den Zugang zu fundierten Informationen zu erleichtern, gründete Blumers gemeinsam mit der Softwareingenieurin Sandra Neubauer die Webseite was-essen-bei-krebs.de. Als Partner holten sich die beiden Frauen das Comprehensive Cancer Center in München und renommierte Ernährungswissenschaftler hinzu. Der Online-Beratungsdienst bietet etwa einen Selbsttest zur Mangelernährung und wertvolle Rezepte.
„Krebs lässt sich nicht aushungern, es ist ein weit verbreiteter Unsinn“, sagt Ernährungsexpertin Reudelsterz. Glukose sei ein wichtiger Energielieferant. Unser Körper brauche ihn. Der tägliche Bedarf von Gehirn und Rückenmark liege bei 120 Gramm. Die Keto-Diät verzichtet auf diese Energiequelle. Die Idee geht auf den sogenannten Warburg-Effekt zurück, benannt nach dem Biochemiker Otto Warburg. Er fand heraus, dass sich Krebszellen fast ausschließlich von Glukose ernähren. „Seine Erkenntnisse mögen für einzelne Zellen gelten, aber nicht für komplexe Organismen mit einem ausgeklügelten Immunsystem“, sagt Reudelsterz.
Heilung versprechen viele Diäten. Das Internet ist voll von Ernährungstipps für Krebsleidende. Aber welche Lebensmittel schützen und welche schaden? „Darüber herrscht im Alltag tatsächlich viel Unsicherheit“, sagt Stefanie Houwaart. Sie ist Referentin im Haus der Krebs-Selbsthilfe in Bonn und kennt die Sorgen der Patienten. Oft hätten sie Schuldgefühle und fragten sich, ob sie durch ungesundes Essen zur Erkrankung beigetragen haben könnten. Viele möchten selbst aktiv werden und vertrauen unter Umständen auf dubiose Heilpraktiker, die mit Mungbohnensuppen, Kurkumakapseln und teuren Nahrungsergänzungsmitteln behandeln. Vieles davon sei ungeprüft und bloße Scharlatanerie, warnt Houwaart und betont: „Patienten, die verunsichert sind, sollten Beratung einfordern, sie gehört zur umfassenden Krebstherapie dazu“. Schließlich müssen sie sich vor, während und nach der Behandlung neuen Gegebenheiten stellen. Eine Brustkrebspatientin habe andere Bedürfnisse als ein Kehlkopfoperierter, der zum Beispiel neu schlucken üben muss. Umso wichtiger ist es, in gute Hände zu gelangen, zumal die Berufsbezeichnung „Ernährungsberater“ nicht geschützt ist. Wer qualifizierte Fachleute sucht (siehe Kasten), sollte sich an Berufsverbände wenden. Auch Krankenkassen geben Tipps – und beteiligen sich an den Kosten. Bis zu fünf Beratungstermine werden erstattet.
Doch zertifizierte Experten sind hierzulande rar, der Bedarf dagegen ist enorm. Bei etwa vier Millionen Krebspatienten werden auf der Webseite des Berufsverbands Oecotrophologie e.V. kaum mehr als 800 Namen aufgelistet. „Ein Armutszeugnis für das deutsche Gesundheitssystem“, konstatiert Anne Blumers und wünscht sich mehr finanzielle Unterstützung seitens der Politik. Vor allem mit digitalen Lösungen könne man unkompliziert Aufklärung betreiben und mehr Menschen erreichen. Wie? Das hat sie bewiesen. Um den Zugang zu fundierten Informationen zu erleichtern, gründete Blumers gemeinsam mit der Softwareingenieurin Sandra Neubauer die Webseite was-essen-bei-krebs.de. Als Partner holten sich die beiden Frauen das Comprehensive Cancer Center in München und renommierte Ernährungswissenschaftler hinzu. Der Online-Beratungsdienst bietet etwa einen Selbsttest zur Mangelernährung und wertvolle Rezepte.
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Als nächster Schritt sei künftig einmal in der Woche eine telemediale Beratung mit Experten geplant. Gerade bei älteren Patienten, die Nebenerkrankungen haben, sei persönliche Begleitung nötig. Außerdem wird aktuell eine Datenbank zu Wechselwirkungen zwischen Lebensmitteln und Krebsmedikamenten aufgebaut. „Studien zeigen, dass etwa Leinsamen die Aufnahme im Darm stark behindert“, sagt Blumers.
Doch neben den medizinischen Aspekten hat Ernährung auch eine wichtige soziale und emotionale Komponente. Wer am Krebs erkrankt, steht ständig vor der Frage: Was darf ich denn noch essen? „Das kann sehr belastend sein“, sagt Stefanie Houwaart. Umso wichtiger sei es, die Freude am Essen nicht zu verlieren. Es kann helfen, sich in Selbsthilfegruppen mit Betroffenen auszutauschen. „Diese wertvolle Perspektive kann ja sonst keiner einnehmen“, sagt sie. Auch Freunde aber können ihren Beitrag leisten, indem sie Krebsleidende mal zum Brunch einladen oder gemeinsam kochen.
Heute, erzählt Anne Blumers, sei sie froh, dass ihr Freund Marc damals rebellierte. Es war für beide ein Befreiungsschlag. „Danach haben wir Burger-Restaurants in der Nachbarschaft getestet und die gemeinsame Zeit genossen.“
Doch neben den medizinischen Aspekten hat Ernährung auch eine wichtige soziale und emotionale Komponente. Wer am Krebs erkrankt, steht ständig vor der Frage: Was darf ich denn noch essen? „Das kann sehr belastend sein“, sagt Stefanie Houwaart. Umso wichtiger sei es, die Freude am Essen nicht zu verlieren. Es kann helfen, sich in Selbsthilfegruppen mit Betroffenen auszutauschen. „Diese wertvolle Perspektive kann ja sonst keiner einnehmen“, sagt sie. Auch Freunde aber können ihren Beitrag leisten, indem sie Krebsleidende mal zum Brunch einladen oder gemeinsam kochen.
Heute, erzählt Anne Blumers, sei sie froh, dass ihr Freund Marc damals rebellierte. Es war für beide ein Befreiungsschlag. „Danach haben wir Burger-Restaurants in der Nachbarschaft getestet und die gemeinsame Zeit genossen.“
Adressen im Netz
Kompetent beraten
Verlässliche Infos rund um Krebs gibt es bei der Deutschen Krebsgesellschaft (krebsgesellschaft.de), dem Krebsinformationsdienst Heidelberg (krebsinformationsdienst.de), dem Infonetz Krebs von der Deutschen Krebshilfe (krebshilfe.de) und auf dem Online-Portal gesundheitsinformation.de.
Zertifizierte Ernährungsberater Folgende Berufsverbände helfen bei der Suche: Deutsche Gesellschaft für Ernährung (dge.de), Verband der Diätassistenten (vdd.de), Berufsverband Oecotrophologie (vdoe.de), Verband für Ernährung und Diätetik (vfed.de). Patienten können sich auch an das Haus der Krebs-Selbsthilfe wenden (hausderkrebsselbsthilfe.de), Telefon: 0228 33 88 95 40. Der Dachverband vermittelt Kontakte zu Fachleuten.
Rezepte für Krebspatienten bietet die Webseite was-essen-bei-krebs.de und die kostenlose App „HealthFood“. aka
Zertifizierte Ernährungsberater Folgende Berufsverbände helfen bei der Suche: Deutsche Gesellschaft für Ernährung (dge.de), Verband der Diätassistenten (vdd.de), Berufsverband Oecotrophologie (vdoe.de), Verband für Ernährung und Diätetik (vfed.de). Patienten können sich auch an das Haus der Krebs-Selbsthilfe wenden (hausderkrebsselbsthilfe.de), Telefon: 0228 33 88 95 40. Der Dachverband vermittelt Kontakte zu Fachleuten.
Rezepte für Krebspatienten bietet die Webseite was-essen-bei-krebs.de und die kostenlose App „HealthFood“. aka
Foto: Getty Images
Erschienen im Tagesspiegel am 22.02.2020
Erschienen im Tagesspiegel am 22.02.2020