Future Mobility 2019

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Wie fährt es sich zwei Wochen per App mit Leihautos durch die Stadt? Ein Selbstversuch

Von Antje Sirleschtov

Es ist Montagmorgen, kurz nach sieben Uhr. In einer Welt, in der ich kein eigenes Auto mehr besäße, gäbe es schon das erste Problem. Draußen regnet es in Strömen. Ich könnte das Fahrrad nehmen. Es steht im Hof, und in einer halben Stunde bin ich bequem im Büro. Hunderte, ach was, Tausende in dieser Stadt fahren jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit, bei Wind und Wetter. Es gibt Gummihosen und Allwetterjacken und Regencaps. Doch die Eitelkeit siegt. Ich stehe nicht auf Survival-Ausrüstung in Signalfarben. Aber ohne sie radeln? Wenn ich angekommen bin, werden die Schuhe nass, die Hosen bis zum Knie verdreckt sein und die einzige Chance gut gelaunt durch diesen Tag zu kommen, wäre ein sofortiger Friseurbesuch. Das fällt also aus, beschließe ich, und nehme doch – das Auto. Es steht ja, was selten genug vorkommt, gleich unten vor der Tür. Doch dazu später. Der erste Tag meines Selbstversuchs, ohne eigenes Auto durch den Tag zu kommen, beginnt schon mal mit einem herben Rückschlag.

Braucht eine berufstätige Frau Mitte Fünfzig in Berlin ein eigenes Auto? Eindeutig Nein, sagt Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) und erklärt es zu ihrem Ziel, das Auto, das persönliche Auto wohlgemerkt, in der Großstadt abzuschaffen. Die Leute sollen mit dem Bus und der Bahn fahren oder mit dem Fahrrad oder laufen oder Autos sharen. Geht alles – wenn man nur will, lautet ihre Botschaft. Zugegeben, das klingt ein bisschen wie die Aufforderungen, nur noch fair gehandelten Kaffee zu kaufen, am besten ausschließlich Biokost zu genießen und auf Fleisch zu verzichten. Gesünder ist es ja auf jeden Fall, und wer hat heute nicht wenigstens einen kleinen Anflug von schlechtem Gewissen, wenn er ein klimaschädliches Steak in die Pfanne legt? Doch ich will es versuchen. Zwei Wochen den normalen Alltag leben – aber ohne das Auto zu bewegen. Morgens ins Büro, abends nach Hause, einkaufen, ausgehen und am Wochenende die Kinder und Oma besuchen. Berlin hat ein hervorragend ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz, es gibt Taxis und seit einigen Tagen neben den Daimler-BMW-Carsharing-Möglichkeiten außerdem noch das Sixt-Angebot. Eine stattliche Zahl Autos stehen in der City herum und warten darauf, dass ich meinen Pin ins Handy tippe und losfahre. Und demnächst kommt noch Volkswagen dazu. Vielleicht ist die moderne Großstadtmobilität ja doch mehr als Selbstbeschränkung. Vielleicht ist gesellschaftliche und ökologische Verantwortung für den Einzelnen ein Gewinn, am Ende sogar finanziell. Berlin ist ein großes Labor für moderne Mobilität. Und wer weiß: Womöglich steht auch mein Auto demnächst beim Händler. „Sale for fun“.

Lehrreich ist das Experiment ohne Zweifel. Zunächst wegen der neuen Freiheiten. Auf mein Auto zu verzichten, befreit mich von der alljährlichen Last der Suche nach einer günstige Autoversicherung, ich müsste keine Parkvignetten mehr beantragen, nie wieder Werkstatttermine vereinbaren, durch Autowaschanlagen fahren und die allabendlichen Runden durch den Kiez, den immer überfüllten, auf der Suche nach einem Parkplatz: Das fällt auch weg. Das sind nur einige Argumente – gegen das eigene Auto. Stattdessen Fahren mit dem Handy: Einfach im Internet anmelden, Tarife vergleichen, Auto buchen und los geht’s. Kinderleicht, stelle ich fest. Dass man die Übersicht leicht verlieren kann bei all den Anbietern und Apps auf dem Handy, gehört wohl dazu. Und auch die Erkenntnis, dass das Handling von Anbieter zu Anbieter variiert. Am Anfang stehe ich einige Male hilflos auf dem Display wischend vor einem Fahrzeug, das sich partout nicht öffnen will. Ganz zu schweigen von Hightech-Armaturenbrettern und Future-Schaltungen. Anfängerfeeling nach 30 Jahren hinter dem Steuer. Aber kein wirkliches Argument, am eigenen fahrbaren Untersatz festzuhalten. Ich lerne viel über die Psyche des Carsharers in Berlin. Dass er glaubt in Autos rauchen zu können, die nicht ihm gehören. Oder seine skurrilen Fahrgewohnheiten hemmungslos auszuleben. Wie der Honk, der den Mini vor mir bei 25 Grad Celsius, Vollgebläse und dröhnendem Radio Paradiso gefahren ist. Vielleicht bin ich zu blöd, aber es ist mir nicht gelungen, die Einstellungen auf Normalmaß herunter zu dimmen.
Das Fazit fällt dennoch positiv aus: Die Autos sind weit überwiegend sauber und in erstklassigem Zustand. Mit jedem Anbieter sinkt die Gefahr weiter Fußmärsche bis zum nächsten Fahrzeug, und für fünf Euro kommt man im Innenstadtbereich überall hin. Ins Büro, zur Verabredung, ins Theater und auch für den größeren Wochenendeinkauf ist Carsharing eine tolle Sache.

In sich zusammen fällt das System jedoch, wenn man – wie ich – regelmäßig in äußere Stadtbezirke oder an den Rand Berlins muss. Sonntag zur Mutter zum Kaffeetrinken nach Köpenick fällt aus, weil die Einzugsgebiete der Anbieter, die Regionen also, in denen man die Autos parken kann, bis dahin nicht reichen und angebotene Tagesmieten von bis zu 80 Euro für mich jedenfalls keine annehmbare Alternative sind. Und eines ist leider auch klar: Carsharing ist etwas für Kinderlose. Wer kann schon ständig Kindersitze mit sich herum schleppen, nur weil die Enkeltochter abgeholt werden muss. Und wohnt die – wie bei mir – in Falkensee, findet moderne, flexible Mobilität ohnehin ihre Grenzen. Rasch mal Babysitten, weil die Kinder tanzen gehen, klappt nun einmal nicht ohne Auto. Zumindest nicht zum akzeptablen Preis mit Leihautos. Und nicht bequem. Denn nachts mit dem Bus zum Bahnhof, dort auf den Zug warten, am Alexanderplatz noch in die Straßenbahn: Sorry, aber Oma muss da passen.

Kommen wir zu einem weiteren wichtigen Argument: Zum ersten Mal habe ich mich konsequent mit den Kosten meines fahrbaren Untersatzes befasst. Von wegen Kaufpreis, Sprit und ein paar Durchsichten: Mehr als 550 Euro, rechnet mir der ADAC aus, kostet mein A3 alles in Allem in seinem Autoleben – jeden Monat. Fast 20 Euro sind das am Tag: Damit sollte sich doch mobilitätsmäßig einiges bewerkstelligen lassen.

Und wirklich, es funktioniert. Im Alltag nutze ich das Fahrrad, um ins Büro zu kommen, wenn das Wetter es zulässt. Sonst Carsharing. 20 Euro gebe ich selbst bei einem abendlichen Termin nur sehr selten aus. Ein bisschen elitär mag eine solche Betrachtung ja sein, das gebe ich zu. Schließlich könnte ich dem eigenen Rad das Fahren mit Straßenbahn, U-Bahn oder Bus hinzufügen. Preisgünstig allemal. Doch die Bahn fährt in meinen zwei Testwochen mal wieder nicht. Drängelei an den Ersatzbusstationen, und auch die U-Bahn ist übervoll. Von Mitreisenden ganz zu schweigen, die schon vor Sonnenaufgang fettreich Gesottenes essen und großzügig in ihrer Umgebung verteilen müssen.

Am Ende meines Mobilitäts-Experiments steht eindeutig: Hoffnung. Darauf, dass die öffentlichen Verkehrsbetriebe immer pünktlicher und vor allem zuverlässiger werden und endlich mehr Augenmerk auf die Kundenströme bei der Steuerung der Taktungen von Bussen und Bahnen und der Koordinierung der Anschlüsse legen. Und darauf, dass die Vielzahl der Wettbewerber, die es bald im Carsharing-Markt gibt, mit flexibleren Angeboten und Erreichbarkeit in allen Regionen der Stadt reagieren.

Bis dahin werde ich mein Auto behalten, als liebgewordenen Teil meiner ganz persönlichen modernen Großstadt-Mobilität. Doch auch dieses Auto hat ein endliches Leben. Und wer weiß, vielleicht wird es keinen Nachfolger mehr geben.
Foto: oatawa/Getty Images
Erschienen im Tagesspiegel am 08.04.2019