Dermatologie & Aesthetik

Die ungeschminkte Wahrheit

Schönheit kommt von Innen, sagt man. Doch ein bisschen Arbeit gehört auch dazu. Wer ATTRAKTIVE HAUT haben will, sollte sie pflegen. Unsere Kolumnistin erzählt von teueren Crèmes – und wie sie gelernt hat, Gelassenheit zu entwickeln

Von Elisabeth Binder

Die Mutter cremte, die Oma mied Make-up – und die Tochter? Als Teenager trägt sie gründlich auf, doch mit den Jahren lernt sie Augenmaß. Schon in meinen frühen Teenager-Jahren habe ich regelmäßig Feuchtigkeitscreme benutzt. Die Mutter nahm mich immer mit zu der kleinen Drogerie zwei Häuser weiter. Dort kaufte sie selber ein, und irgendwann bekam auch ich eine Tube mit einer wohlriechenden Schweizer Creme. Seitdem habe ich mir das nie wieder abgewöhnt. Ohne spannt die Haut und überhaupt, kein gutes Gefühl.

Die Oma, die Mutter meines Vaters, war der Meinung, dass man von Make-up Falten bekommt, dass Lippenstift den Mund runzelig macht, und sie war stolz darauf, ein ganzes Leben ohne Kosmetik ausgekommen zu sein. Vielleicht hatte das auch mit den vielen schweren Zeiten zu tun, die sie durchmachen musste.

Ich hingegen begann schon als Teenager, mich zu schminken. Eine gut deckende Foundation war mir komischerweise gerade in den frühen Jahren extrem wichtig, als die Haut eigentlich noch makellos war. Irgendwie lag der Gedanke in der Luft, da liege der Schlüssel zum Erfolg bei Jungs, das Make-up mache mich erst richtig attraktiv. Ich sehe mich noch bei gleißendem Sonnenschein am Nordseestrand sitzen mit kratzenden Kontaktlinsen in den Augen und einem vollen Theater-Make-up auf der Haut. Das war sicher nicht der Hauptgrund, warum aus der Beziehung nichts geworden ist, aber an Stelle des Jungen hätte ich das ganz schön krampfig gefunden. Kürzlich offenbarte mir eine alter Studienfreund, dass er es immer seltsam gefunden habe, dass ich mich auch ohne Anlass dick geschminkt habe.
Erfahrung macht auch in dieser Hinsicht entspannter. In den frühen Erwachsenenjahren schienen viel zu teure Kosmetika glamourös wirkender großer Marken unwiderstehlich. Es dauerte, bis die Einsicht kam, dass ein besonders bei französischen Frauen beliebtes deutsches Drogerieprodukt den Job ganz genauso gut erledigt.

Natürlich kenne ich Frauen, die sich auch in späteren Jahren noch mit überteuerten Produkten pflegen und schminken in der Hoffnung, das erhöhe ihre Attraktivität. Vielleicht tut es das auch, denn die Psyche strahlt ja mit. Es gehört sicher auch einiges Selbstbewusstsein dazu, Testberichten über die Zusammensetzung von Produkten zu vertrauen und auf den von Werbung gehypten Mythos einer angesagten Marke mit den entsprechenden Botschafterinnen in der Filmwelt dankend zu verzichten.

So ganz gefeit ist man vermutlich nie vor sachfremden Einflüssen, aber die Vernunft ist inzwischen so gestählt, dass sie zuverlässig Siege davon trägt. Manchmal gerate ich auch heute noch in die Fänge von tüchtigen Kosmetik-Verkäuferinnen, besonders bei Ausflügen in die USA, die demnächst ja wieder möglich sein werden. Wenn diese oft ätherischen Geschöpfe warnend darauf hinweisen, dass glatte Haut nur erhalten kann, wer sie zweimal täglich mit fünf verschiedenen Produkten nacheinander behandelt, ist selbstbewusste Gegenwehr angezeigt. In der pädagogischen Variante offenbare ich meine Liebe zu All-in-one-Produkten. Das Geld für teure Pflege will schließlich auch erstmal verdient sein, da greift dann das Konzept „Zeit ist Geld“.

Selbst das Versprechen, den kleinen Fleck unter der Augenbraue zu eliminieren, der als potenzielle Vorhut von Altersflecken Angst erzeugt, würde keine Shopping-Attacke mehr auslösen. Sowieso hat der dazu befragte Arzt gesagt, man könne das lasern, aber nur im Herbst, weil es sonst Komplikationen geben könne. In der dunklen Jahreszeit fällt der Fleck freilich nie auf, er gerät dann ganz einfach in Vergessenheit. Ein bei einem Sturz zugezogenes blaues Auge hat ihn zusätzlich relativiert.

Meine Mutter hat in ihren letzten Jahren, bevor sie mit knapp 90 Jahren gestorben ist, für kaum etwas so viele Komplimente bekommen wie für ihre erstaunlich glatte Haut. Auf gute Gene will ich mich trotzdem nicht verlassen. Ich weiß schließlich, ein bisschen Arbeit gehört immer dazu.
Foto: Getty Images
Erschienen im Tagesspiegel am 25.09.2021