Future Mobility 2019

Der richtige Mix fürs Klima

Welcher alternative Antrieb hat die beste Ökobilanz? Wir rechnen nach

Von Jens Tartler


Für Gegner der Elektromobilität war es zunächst wie ein Geschenk des Himmels: Eine Studie des schwedischen Umweltforschungsinstituts IVL hatte ergeben, dass die Produktion eines E-Auto-Akkus mehr als 17 Tonnen CO2 verursacht. Die sogenannte Schweden-Studie wurde begierig aufgegriffen, zum Beispiel in der „Welt“. Auch Industrievertreter bezogen sich auf das Werk.

Das Problem: Die Zahl tauchte in der Studie gar nicht auf, sondern wurde von einem schwedischen Journalisten in Umlauf gebracht. Der gab später zu, dass es völlig falsch war, den Akku eines Tesla Model S mit einer Kapazität von 100 Kilowattstunden (kWh) als Maßstab für ein durchschnittliches E-Auto heranzuziehen – ganz abgesehen davon, dass Teslas Gigafactory mit erneuerbaren Energien arbeitet, wie Unternehmenschef Elon Musk empört twitterte.

Selbst wenn man nicht 100 Prozent Ökostrom annimmt, schneidet das E-Auto nicht schlecht ab. Der koreanische Batteriezellen-Hersteller LG Chem legte seine Daten offen: Für die Herstellung des Akkus mit einer Kapazität von 24 kWh für den elektrischen Ford Focus wurden 3,2 Tonnen CO2 freigesetzt. Diese Menge stößt ein Benziner mit knapp sieben Litern Verbrauch auf einer Strecke von 20 000 Kilometern aus.

Das Fachmagazin „Edison“ vom Handelsblatt hat in einer Modellrechnung untersucht, wie viel CO2 Kompaktwagen mit Elektroantrieb, Benzin- oder Dieselmotor über ihre gesamte Fahrstrecke von 200 000 Kilometern emittieren. Der Benziner mit einem Verbrauch von sieben Litern auf hundert Kilometer kommt über 200 000 Kilometer auf gut 32 Tonnen, der Diesel bei 5,5 Litern Verbrauch auf 29 Tonnen. Der Stromer benötigt 14 Kilowattstunden für hundert Kilometer und stößt in seinem Autoleben 14 Tonnen CO2 aus. Dabei wurde der deutsche Strommix von 2017 zugrunde gelegt. Würde man das Elektroauto mit Ökostrom betreiben, läge der Ausstoß bei nur 1,4 Tonnen.
Rohstoffe wie Kassiterit stecken weltweit in Elektronikbauteilen – und werden teils ausbeuterisch gewonnen.
Rohstoffe wie Kassiterit stecken weltweit in Elektronikbauteilen – und werden teils ausbeuterisch gewonnen.
Das ist der Normalfall: Die Betreiber von Ladesäulen wie Ionity – das Joint Venture der Autohersteller VW, BMW, Daimler und Ford – arbeiten ohnehin mit Strom aus erneuerbaren Energien. BMW bietet seinen E-Auto-Käufern Elektrizität von Naturstrom an und produziert seine Modelle i3 und i8 CO2-neutral. Das planen auch VW und Porsche für ihre künftigen Elektroautos. Die Klimabilanz ist also positiv. Aber wie sieht es aus mit Rohstoffen wie Lithium, Kobalt oder Nickel, die für die Produktion der Akkus gebraucht werden? Die benötigten Mengen werden enorm steigen, wenn zwischen den Jahren 2020 und 2030 Millionen E-Autos auf die Straßen kommen. Die Reserven dieser Rohstoffe werden zu einem deutlich höheren Prozentsatz als heute angegriffen, sagen Experten. Sie schlagen deshalb aber nicht Alarm: Es werden immer neue Vorkommen und Techniken zum Abbau entdeckt. Außerdem versuchen die Forscher, die knappen Materialien durch andere wie Magnesium, Natrium und Aluminium zu ersetzen. Und was den Abbau von Kobalt angeht – der vor allem im Kongo teilweise mit Kinderarbeit betrieben wird –, so haben sich viele Autohersteller wie BMW und VW dazu verpflichtet, nur Batteriezellen einzukaufen, die unter einwandfreien Bedingungen hergestellt wurden. Sie waren zuvor etwa von Amnesty International kritisiert worden, nicht sorgfältig genug bei der Auswahl ihrer Zulieferer vorgegangen zu sein.

Wer immer noch nicht von der E-Mobilität überzeugt ist, verweist gern auf den Brennstoffzellenantrieb oder synthetische Kraftstoffe, die mithilfe von Ökostrom produziert werden könnten. Aber Autos, die mit Wasserstoff oder E-Fuels laufen, verbrauchen wesentlich mehr Strom als E-Autos mit batterieelektrischem Antrieb. Die so genannten Umwandlungsverluste bei der Produktion von grünem Wasserstoff und E-Fuels sind hoch: Bei synthetischen Kraftstoffen sind vier bis fünf kWh Strom nötig, um eine kWh Fahrenergie im Auto zu bekommen. „Deshalb sollten wir diese Treibstoffe nur dort einsetzen, wo wir mit Batterien nicht weiterkommen: in Flugzeugen und großen Schiffen“, sagt Christian Hochfeld, Leiter des Thinktanks Agora Verkehrswende. Nach dessen Auswertung wissenschaftlicher Studien ist der Gesamtenergieverbrauch beim Einsatz von synthetischen Kraftstoffen sieben bis neun Mal so hoch wie bei batterieelektrischen Autos, die direkt mit Ökostrom aus Windkraft geladen werden. Würde Deutschland überwiegend auf strombasierte Kraftstoffe setzen, wäre der Bedarf allein des Verkehrs in Deutschland im Jahr 2050 höher als die gesamte Erzeugung im Jahr 2016. Bei der Direktnutzung des Stroms in Batterieautos sähe die Bilanz viel besser aus.

Unterstützung bekommt Agora von Dietmar Oeliger, Programmdirektor Transport bei der European Climate Foundation: „Wenn wir überwiegend auf E-Fuels setzen würden, müssten wir in Deutschland unfassbar große Flächen mit Windrädern und Fotovoltaik-Anlagen zubauen. Das wird hier nicht machbar sein.“ Wenn die Treibstoffe stattdessen in Ländern wie Marokko hergestellt würden, müsse man auf Nachhaltigkeit achten, etwa bei der Herkunft des Wassers für die Produktion des Wasserstoffs, sagt Oeliger. Ob Batterien oder E-Fuels – einfache Lösungen wird es auch in Zukunft nicht geben.
Foto: Jürgen Bätz/dpa
Erschienen im Tagesspiegel am 08.04.2019