Vererben & Stiften 2020

Bei Erbschaft Mord

In Kriminalromanen und -filmen steht am Anfang der verbrecherischen Handlung häufig ein Testament

Von Andreas Conrad

Eine der ersten Erbschleichereien der Menschheitsgeschichte ist im Alten Testament dokumentiert, gleich am Anfang, im 1. Buch 5. Kapitel. Die Beteiligten: Erzvater Isaak und seine beiden Söhne, der Erstgeborene Esau und der jüngere Jakob. Esau war passionierter Jäger, kam oft mit Kohldampf nach Hause, so auch an einem Tag, als Jakob gerade gekocht hatte. Laut Luthers Übersetzung war es ein rotes Linsengericht. Offenbar sah es appetitlich aus und duftete gut, und so bat Esau um einen Teller voll, den Jakob auch zu geben versprach – gegen das Erstgeburtsrecht. An sich eine Unverschämtheit, doch Esau war einverstanden, beschwor es sogar. „Da gab ihm Jakob Brot und das Linsengericht, und er aß und trank und stand auf und ging davon.“

Erbrechtlich wäre solch ein Vorgang heute belanglos, die Position als Erstgeborener verschafft keine Vorteile mehr. Aber die im Buch der Bücher festgeschriebene Geschichte bietet doch ein frühes Beispiel der Probleme, die das Thema Erbschaft mit sich bringen kann und oft genug gebracht hat, im Großen wie im Kleinen. Allein 20 militärische Auseinandersetzungen verzeichnet Wikipedia unter dem Stichwort „Erbfolgekrieg“. Und wie oft führen Streitigkeiten in Erbengemeinschaften zum Zerfall familiärer Bindungen, münden in Verleumdungen, Prozessen, mitunter gar Betrug und Mord.

Eine unerfreuliche Nebenwirkung der erblichen Übertragung von Eigentumsrechten, doch andererseits auch ungemein unterhaltsam, nicht nur bei Lektüre des biblischen Falls Esau, dessen Dusseligkeit amüsiertes Kopfschütteln auslöst. Ja, man kann sagen, dass die Literatur- und die von ihr oft abgeleitete Filmgeschichte ohne den Handlungsfaktor Erbschaft erheblich ärmer gewesen wäre.

Eine der ersten Erbschleichereien findet sich bereits in der Bibel

Ungezählt die Liste der Kriminalromane und verwandter Druckwerke, die sich um Erblasser und Erbnehmer in den unmöglichsten, juristisch fragwürdigen Konstellationen drehen. Nicht mal Lucky Lukes Begleiter Rantanplan, der dümmste Hund des Wilden Westens, ist davor sicher, würde doch die ihm in Heft Nr. 53 unverhofft zugefallene Riesenerbschaft im Falle seines Todes an Joe Dalton weitergereicht werden. Klar, dass der Erzschurke, unterstützt durch seine drei Brüder, da nachzuhelfen versucht.

Solch ein Plan muss misslingen, denn Rantanplan darf nicht sterben, wie auch in Robert Louis Stevensons Roman „Entführt. Die Abenteuer des David Balfour“ schon aus literarischen Gründen der Mordversuch scheitern muss, mit dem sich der tückische Onkel Ebenezer seines Neffen, des Titelhelden und rechtmäßigen Erben des Familienlandguts, zunächst zu entledigen sucht. Anderenfalls hätte sich Stevenson die ganze folgende, Mitte des 18. Jahrhunderts spielende Geschichte samt der titelstiftenden Entführung auf der Brigg „Covenant“ und Davids Flucht durchs schottische Hochland sparen müssen. Apropos Stevenson: Geht es nicht schon in seiner „Schatzinsel“ um eine Erbschaft, um die vom Seeräuber Flint zusammengerafften Reichtümer, die herrenlos auf einem einsamen Eiland herumliegen, bestimmt für den, der sie als erster zu fassen kriegt?

Juristisch mag das Erbrecht weder bei den Schatzsuchern um Jim Hawkins noch bei den Piraten um Long John Silver gegriffen haben. Und unter heutiger Sicht wäre so ein Fall wohl „eine der billigen Sensationsaffären, bei denen ein Konzernanwalt, der Wert auf guten Ruf legte, zahlen würde, um sie nicht übernehmen zu müssen“. Einer wie der Schneider-Johnson-Fall, den George Carey, in Eric Amblers Roman „Schirmers Erbschaft“ junger Sozius in der Firma Lavater, Powell und Sistrom in Philadelphia, dann aber doch übernehmen muss. Ein Fall um ein Riesenvermögen ohne bekannten rechtmäßigen Erben, dessen Verwicklungen mit der Desertion des Sergeanten Franz Schirmer von den Ansbacher Dragonern nach der Schlacht von Preußisch-Eylau 1807 beginnen und sich bis ins nördliche, vom Bürgerkrieg zerrissene Griechenland um 1949 hinziehen. Erst dort kann Carey den rechtmäßigen Erben aufstöbern, einen ehemaligen, nun bei kommunistischen Partisanen kämpfenden Feldwebel der Wehrmacht. Der schlägt das Erbe aber aus, zugunsten des nun als Erbnehmer profitierenden Bundesstaates Pennsylvania.

Der späte Nachfahre des Sergeanten Schirmer, darin eine literarische Ausnahmefigur, erliegt also nicht dem verführerischen Reiz, den solch ein Erbe, ein bereitstehendes oder erst herbeizuführendes, darstellt. Ganz anders da der talentierte Mr. Ripley in Patricia Highsmiths gleichnamigen Roman: ein skrupelloser Glücksritter, der Dickie Greenleaf, den haltlosen Sohn eines schwerreichen amerikanischen Werftbesitzers, mit vermeintlicher Freundschaft umgaukelt, ihn ermordet, dessen Identität übernimmt, dann Dickies Selbstmord vortäuscht und das Testament fälscht, selbstverständlich zu seinen eigenen Gunsten. Und so haarsträubend es auch klingen mag: Er kommt durch, und Patricia Highsmith kann vier weitere Ripley-Romane folgen lassen.

Den Freund ermorden und dessen Testament fälschen? Für Mr. Ripley kein Problem

Ebenso unmoralisch, doch ohne Mord läuft dagegen die Erbschleicherei ab, die George Simenon berühmter Kommissar in „Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet“ als Vorgeschichte des vermeintlichen Mordfalls aufzudecken vermag. Der betrügerische Handlungsreisende Émile Gallet heißt eigentlich Tiburce de Saint-Hilaire, ein verarmter französischer Adliger, dem einst ohne sein Wissen eine große Erbschaft bevorstand. Der wahre Gallet dagegen, ein Betrüger, Hallodri und Frauenheld, wusste es besser, kaufte dem mittellosen Schlossherrn Namen und Identität ab, lebte dank der tatsächlich erfolgten Erbschaft in Saus und Braus, während der eigentliche Erbe zum armen Gallet absank.

Ohne Erbschaften und ihre Folgen hätten Krimifans also auf viele spannende Geschichten verzichten müssen. Für den Film gilt das nicht weniger. Ja, oft haben die einschlägigen Bücher auch den Weg ins Kino gefunden, aber zwingend ist dieser Ursprung nicht. Man denke nur an Alfred Hitchcocks „Bei Anruf Mord“, in dem Grace Kelly fast einem von ihrem geldgierigen Ehemann initiierten Mordanschlag zum Opfer fällt. Zum Glück liegt eine Schere bereit.

Doch weichen Romanverfilmungen ohnehin oft von der Vorlage ab. Während Anthony Minghella in „Der talentierte Mr. Ripley“ Patricia Highsmith weitgehend getreu folgt, mit Matt Damon als unmoralischer Tom, wurde ihr in René Cléments „Nur die Sonne war Zeuge“ von Alain Delon gespielter Mörder zum Schluss doch noch überführt, als die Leiche seines Opfers überraschend auftaucht.

Sogar den Austausch der den Fall lösenden Hauptfigur haben Erbschaftskrimis beim Wechsel auf die Leinwand gut überstanden. In Agatha Christies Roman „Der Wachsblumenstrauß“ klärte Superhirn Hercule Poirot den Fall, in der gleichnamigen Verfilmung ist es Margaret Rutherford als Miss Marple. Wieder beginnt es mit Mord, ein schwerreicher Eigenbrötler wird auf perfide Weise zu Tode gebracht. War es einer aus der geldgierigen Verwandtschaft? Der Erblasser traute ihr offenbar allerhand zu, wie aus dem Testament zu erahnen ist: „Das hinterlassene Geld ist sofort allen betreffenden Parteien auszuzahlen, in der Hoffnung, das es sie alle so unglücklich wie nur möglich machen werde.“ Der Zank ums Erbe kann beginnen.
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Urteile

Unterschrift unter notariellem Testament kann unleserlich sein
Ein Testament kann handschriftlich oder bei einem Notar aufgesetzt werden. Auch das notarielle Testament muss vom Erblasser unterzeichnet werden. Die Unterschrift muss aber nicht geeignet sein, den Erblasser zu identifizieren. Bei einer krankheitsbedingten Schwächung kann es genügen, wenn der Erblasser versucht, seinen Familiennamen zu schreiben. Selbst wenn die Unterschrift aus einem Buchstaben und einer anschließenden geschlängelten Linie besteht, kann dadurch zum Ausdruck gebracht werden, die notarielle Erklärung als eigene zu wollen, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln (AZ.: 2 Wx 102/20). In dem verhandelten Fall haben sich eine Frau und ihr Mann in einem notariell beurkundeten Testament wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt. Zu Erben des Letztversterbenden haben sie die Geschwister des Ehemannes eingesetzt. Die Schlusserbeneinsetzung sollte für den Überlebenden frei änderbar sein. Die Ehefrau machte davon nach dem Tod ihres Mannes Gebrauch und bestimmte ihren Großcousin zum Alleinerben. Nach dem Tod der Ehefrau beantragten die Geschwister des Ehemannes indes einen Erbschein, da die notarielle Niederschrift von der Erblasserin nicht vollständig unterschrieben worden sei.
Handarbeit. Ein Testament darf nicht am Computer entstehen.
Handarbeit. Ein Testament darf nicht am Computer entstehen.
Zu Unrecht, urteilen die Richter. Mit der Unterschrift werde dokumentiert, dass sich die Beteiligten ihre Erklärungen zurechnen lassen. Ihre Identifizierbarkeit ist hingegen nicht Sinn der Unterschrift. Zwar genüge eine bloße Unterzeichnung mit dem Vornamen nicht, hier hingegen hat die Erblasserin zumindest angesetzt, ihren Familiennamen zu schreiben, was in der Urkunde in dem „K“ und der anschließenden geschlängelten Linie erkennbar war. dpa


Nottestament braucht nicht immer einen Vermerk
Ausnahmsweise kann laut Gesetz auch ein Nottestament vor dem Bürgermeister errichtet werden. Dann ist aber ein Vermerk erforderlich, berichtet die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Darin soll bestätigt werden, dass dem Erblasser das Testament vorgelesen und es von ihm durch seine Unterschrift genehmigt wurde. In der Praxis kann davon aber abgewichen werden, wie das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf (AZ.: I-3 Wx 12/20) entschied. Im verhandelten Fall hatte der Eigentümer eines Grundstückes kurz vor seinem Tod ein Nottestament errichtet. Unterzeichnet wurde es vom Erblasser, dem Vertreter des Bürgermeisters und den beiden Zeugen, die nicht im Testament bedacht wurden. Der testamentarische Erbe beantragte, das Grundbuch auf sich umschreiben zu lassen. Das Grundbuchamt verweigerte dies. Das Nottestament sei formnichtig, weil der Vermerk fehle, dass es dem Erblasser vorgelesen, von ihm genehmigt und unterschrieben wurde. Zu Unrecht, urteilen die Richter: Auch aufgrund eines gültigen Nottestaments kann das Grundbuch auf den Erben umgeschrieben werden, ohne dass ein Erbschein erforderlich ist. dpa
Fotos: imago images/M. Evans; Silvia Marks/dpa
Erschienen im Tagesspiegel am 13.09.2020